Neue Bücher
Naturvölker usw. Die Formkategorien, Ku-
bismus und Organizismus, treten also an
die Stelle der unexakteren Kategorien „Idea-
lismus und Naturalismus“. So ausgezeich-
net diese Abgrenzung ist, so bedauerlich
bleibt, daß das Wort „Kubismus“ eine an-
dere Deutung schon enthält durch die heu-
tige Kunstbewegung, dem sie ihren Titel
gibt.
Ein drittes Gestaltungsprinzip Coellens
sind die Gegensätze zwischen dynamischer
und statischer Stilhaltung. Der statische
Stil ist ruhendes Sein, der dynamische Stil
entspricht einem Weltbegriff, der sich im
Gegensatz zur Allheit fühlt und nach der
Vereinigung zum unendlichen Grund im
Räumlich-Sinnlichen, zur Totalität, hin-
strebt.
Wie weit man Coellens folgerichtigen De-
duktionen zustimmen kann, ist eine Welt-
anschauungsfrage. Philosophisch geht Coel-
len von Hegel aus, über ihn hinaus, in-
dem für ihn die Dialektik nur Form ist, in
welcher „die immanent teleologische Pro-
duktivität des Lebens auf ihr Ziel, die voll-
endete oder absolute Selbstoffenbarung, ge-
richtet ist“. Sascha Schwabacher.
Ernst Zierer, Kunst und Weltgesetze.
Neue Wege zu ihrer Erforschung. Erste
Auflage. Nordiska Boktryckeriet. Stock-
holm 1924.
Früher, als noch die Naturwissenschaf-
ten Trumpf waren, erschienen hin und wie-
der Bücher (meist waren es aber Broschü-
ren), in denen für alle Probleme der Physik
eine einfache und — nach Ansicht des Ver-
fassers — einzig mögliche Lösung zu fin-
den war. Sie erschienen im Selbstverläge
oder in Kommission und waren nach eini-
ger Zeit zu zurückgesetzten Preisen eine
amüsante Lektüre für Psychologen. Jetzt,
da die Kunstwissenschaft die große Mode
ist, kann es nicht ausbleiben, daß auch hier
sich jene Käuze einnisten, die manchmal
viel gelesen haben, aber in edler Ungenüg-
samkeit an dem Fragmentarischen aller
Wissenschaft ein voreiliges System ent-
werfen und — weil es für sie eine Erleuch-
tung bedeutete — mit einer Unerschütter-
lichkeit daran glauben, daß sie nicht davor
zurückschrecken, ihr gutes Geld an die Ver-
breitung ihrer Lehren in Buchform zu
setzen.
Zierer gehört zu den belesensten und
zweifellos intelligenten Dilettanten, und
das macht den kritisch eingestellten Leser
zunächst stutzig. In der Kunsterkenntnis
das Gefühl an die Stelle des Verstandes
setzen zu wollen, ist für den Anfang jeden-
falls vielversprechend, auch durchaus nicht
ohne weiteres von der Hand zu weisen, und
die selbstbewußten Ausfälle gegen herr-
schende Anschauungen der Gegenwart —
ganz im Stile großer Geister — mahnen
an Größen, die gegen eine Welt von Un-
verstand sich behaupten mußten. Das Pe-
riodizitätsgesetz, das den Ablauf der Be-
wegungs- (Quantitäts-) und Qualitätsge-
fühle für die Kunstabwicklung im Sinne
dieser Tabelle
Form
Qualitative Quantitative
1. Schwarz Punkt
2.
Violett
Horizontale
3-
Blau
Kreis
4-
Rot
Vertikale
5-
Grün
Ellipse
6.
Gelb
Diagonale
7-
Weiß
Spirale
(Stabiles Weltgefühl)
Merowing.-karolingisch
Romantik
Gotik
Frühbarock
18. Jahrhundert
19. u. 20. Jahrhundert
formuliert, ist zwar spekulativ, doch nicht
ohne eine gewisse innere Berechtigung und
dürfte, insofern es bisher wohl begründete
Einsichten involviert, Anstoß geben zu
besser fundierten Systemen.
Aber die Art, wie dieses in alle Dinge,
vom Molekül bis zum Fixsternsystem, in
Raum und Zeit, in Natur und Geschichte,
in Schönheit und Harmonie, in alles Mög-
liche und Unmögliche hineinprojiziert und
-praktiziert wird, dieses Ausschlachten von
Analogien hat den bittern Geschmack des
Unreifen. „Auf der Suche nach dem Welt-
gesetze fand ich den Schlüssel zu ihm, er
heißt ,Kunst', ein Universalschlüssel, der
nicht nur ein Privileg des Kunstwissen-
schaftlers ist, sondern Gemeingut aller
Menschen, mögen es nun Philosophen
oder Psychologen oder Handwerker sein;
hier findet der Philosoph das richtige Er-
kenntnismittel, der Psychologe entdeckt
das eigentliche Verkehrsmittel der Seele.
Die Nichtwissenschaftler aber haben die
Genugtuung, daß gesunde Gefühle genü-
gen, um die Kunst- und Weltgesetze zu
erkennen. Will man mich verstehen oder
prüfen, der Weg über die Kunst ist uner-
lässlich. Der Philosoph muß Kunstphilo-
soph, der Pychologe muß Kunstpsycho-
loge und der Laie muß Kunstbetrachter
werden. Und weiter: Der Philosoph muß
auf seine Logik verzichten, der Kunstpsy-
chologe auf die Gefühlsrekonstruktionen
und auf die Lust-Unlustgefühle und der
Laie muß seinen Verstand zu Hause las-
sen.“ (Seite 121.) Einen solchen Gallima-
chias redet nur ein Prophet, der in seinem
Vaterlande (sc. Kunstwissenschaft) nichts
gilt.
Dabei wird sich der Verfasser keinen
Augenblick der ironischen Situation bewußt,
daß die Bewegungsformen der Gefühle,
573
Naturvölker usw. Die Formkategorien, Ku-
bismus und Organizismus, treten also an
die Stelle der unexakteren Kategorien „Idea-
lismus und Naturalismus“. So ausgezeich-
net diese Abgrenzung ist, so bedauerlich
bleibt, daß das Wort „Kubismus“ eine an-
dere Deutung schon enthält durch die heu-
tige Kunstbewegung, dem sie ihren Titel
gibt.
Ein drittes Gestaltungsprinzip Coellens
sind die Gegensätze zwischen dynamischer
und statischer Stilhaltung. Der statische
Stil ist ruhendes Sein, der dynamische Stil
entspricht einem Weltbegriff, der sich im
Gegensatz zur Allheit fühlt und nach der
Vereinigung zum unendlichen Grund im
Räumlich-Sinnlichen, zur Totalität, hin-
strebt.
Wie weit man Coellens folgerichtigen De-
duktionen zustimmen kann, ist eine Welt-
anschauungsfrage. Philosophisch geht Coel-
len von Hegel aus, über ihn hinaus, in-
dem für ihn die Dialektik nur Form ist, in
welcher „die immanent teleologische Pro-
duktivität des Lebens auf ihr Ziel, die voll-
endete oder absolute Selbstoffenbarung, ge-
richtet ist“. Sascha Schwabacher.
Ernst Zierer, Kunst und Weltgesetze.
Neue Wege zu ihrer Erforschung. Erste
Auflage. Nordiska Boktryckeriet. Stock-
holm 1924.
Früher, als noch die Naturwissenschaf-
ten Trumpf waren, erschienen hin und wie-
der Bücher (meist waren es aber Broschü-
ren), in denen für alle Probleme der Physik
eine einfache und — nach Ansicht des Ver-
fassers — einzig mögliche Lösung zu fin-
den war. Sie erschienen im Selbstverläge
oder in Kommission und waren nach eini-
ger Zeit zu zurückgesetzten Preisen eine
amüsante Lektüre für Psychologen. Jetzt,
da die Kunstwissenschaft die große Mode
ist, kann es nicht ausbleiben, daß auch hier
sich jene Käuze einnisten, die manchmal
viel gelesen haben, aber in edler Ungenüg-
samkeit an dem Fragmentarischen aller
Wissenschaft ein voreiliges System ent-
werfen und — weil es für sie eine Erleuch-
tung bedeutete — mit einer Unerschütter-
lichkeit daran glauben, daß sie nicht davor
zurückschrecken, ihr gutes Geld an die Ver-
breitung ihrer Lehren in Buchform zu
setzen.
Zierer gehört zu den belesensten und
zweifellos intelligenten Dilettanten, und
das macht den kritisch eingestellten Leser
zunächst stutzig. In der Kunsterkenntnis
das Gefühl an die Stelle des Verstandes
setzen zu wollen, ist für den Anfang jeden-
falls vielversprechend, auch durchaus nicht
ohne weiteres von der Hand zu weisen, und
die selbstbewußten Ausfälle gegen herr-
schende Anschauungen der Gegenwart —
ganz im Stile großer Geister — mahnen
an Größen, die gegen eine Welt von Un-
verstand sich behaupten mußten. Das Pe-
riodizitätsgesetz, das den Ablauf der Be-
wegungs- (Quantitäts-) und Qualitätsge-
fühle für die Kunstabwicklung im Sinne
dieser Tabelle
Form
Qualitative Quantitative
1. Schwarz Punkt
2.
Violett
Horizontale
3-
Blau
Kreis
4-
Rot
Vertikale
5-
Grün
Ellipse
6.
Gelb
Diagonale
7-
Weiß
Spirale
(Stabiles Weltgefühl)
Merowing.-karolingisch
Romantik
Gotik
Frühbarock
18. Jahrhundert
19. u. 20. Jahrhundert
formuliert, ist zwar spekulativ, doch nicht
ohne eine gewisse innere Berechtigung und
dürfte, insofern es bisher wohl begründete
Einsichten involviert, Anstoß geben zu
besser fundierten Systemen.
Aber die Art, wie dieses in alle Dinge,
vom Molekül bis zum Fixsternsystem, in
Raum und Zeit, in Natur und Geschichte,
in Schönheit und Harmonie, in alles Mög-
liche und Unmögliche hineinprojiziert und
-praktiziert wird, dieses Ausschlachten von
Analogien hat den bittern Geschmack des
Unreifen. „Auf der Suche nach dem Welt-
gesetze fand ich den Schlüssel zu ihm, er
heißt ,Kunst', ein Universalschlüssel, der
nicht nur ein Privileg des Kunstwissen-
schaftlers ist, sondern Gemeingut aller
Menschen, mögen es nun Philosophen
oder Psychologen oder Handwerker sein;
hier findet der Philosoph das richtige Er-
kenntnismittel, der Psychologe entdeckt
das eigentliche Verkehrsmittel der Seele.
Die Nichtwissenschaftler aber haben die
Genugtuung, daß gesunde Gefühle genü-
gen, um die Kunst- und Weltgesetze zu
erkennen. Will man mich verstehen oder
prüfen, der Weg über die Kunst ist uner-
lässlich. Der Philosoph muß Kunstphilo-
soph, der Pychologe muß Kunstpsycho-
loge und der Laie muß Kunstbetrachter
werden. Und weiter: Der Philosoph muß
auf seine Logik verzichten, der Kunstpsy-
chologe auf die Gefühlsrekonstruktionen
und auf die Lust-Unlustgefühle und der
Laie muß seinen Verstand zu Hause las-
sen.“ (Seite 121.) Einen solchen Gallima-
chias redet nur ein Prophet, der in seinem
Vaterlande (sc. Kunstwissenschaft) nichts
gilt.
Dabei wird sich der Verfasser keinen
Augenblick der ironischen Situation bewußt,
daß die Bewegungsformen der Gefühle,
573