Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0629

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
RUNDSCHAU

DAS PROBLEM DER
ROMANTIK
Pforr in den Mittelpunkt einer Untersu-
chung über das Wesen der bildenden Ro-
mantik zu stellen, war zweifellos ein glück-
licher Gedanke. Man konnte so zu anderen
Resultaten kommen, als wenn man von
Runge oder C. D. Friedrich ausging. Das
Verdienst von Fri z Herbert Lehr ist es,
eine so scharfsichtige Methode an diese
Analyse zu wenden, daß sich ein Stilbegriff
der Romantik ergibt, gegen den wissen-
schaftlich kaum etwas einzuwenden wäre;
der das viel umstrittene und immer etwas
unklar gebliebene Problem dieser deutschen
Romantik mit Verstandeskühle und Klar-
heit ein für allemal zu lösen scheint1.
Sein Buch greift recht weit aus. Leben
und Schaffen Franz Pforrs, des mit 24 Jah-
ren gestorbenen, wird mit einer Akribie be-
schrieben, wie man sie bisher eigentlich
nur an die berühmtesten alten Meister zu
wenden pflegte. Man mag einwenden, daß
ein starker Band von 365 Seiten, mit einem
üppigen Apparat von ungedruckten Brie-
fen, Künstleraufsätzen, historischen Exkur-
sen, Katalogen und Registern ein wenig
viel sei für die schmächtige Gestalt des
jungen Malers. Aber er wird gerechtfertigt
durch das erreichte Resultat, das er nach
all dem Aufwand zieht: die Stilbestimmung
des Romantischen, für die ihm Pforr am
Ende nur Paradigma gewesen ist.
Dies Buch hat gar nichts von den Män-
geln eines Erstlings; es ist erstaunlich fer-
tig und zeigt eine bis in den letzten Winkel
bestimmte Überlegenheit inallem Konstruk-
tiven. eine so lückenlose Durchdenkung
und Beherrschung des Stoffes, wie sie uns
nur bei wenigen kunstkritischen Büchern
überhaupt begegnet ist.
Die logische Klarheit im Durchschauen
der Begriffe und Zusammenhänge verführt
Lehr nun aber zu einem Übermaß an Kri-
tik, die als der Punkt erscheint, wo er etwas
jugendlich wirkt. Keiner findet Gnade vor
seinen Augen, von Wölfflin angefangen bis
herab zu den Unglücklichen, die das Pech
gehabt haben, die Zeit der Romantiker vor
Lehr systematisch zu behandeln: Kuhn,
Christoffel, Eberlein, P. F. Schmidt. Mit be-
sonderer Erbitterung nimmt er sich des
Letzten an, von dem er sogar sechs (statt
drei) Bücher über die Zeit gesehen haben
will (kleiner Prestidigitateur!); aber die Ge-
rechtigkeit gebietet zu sagen, daß er nicht
1 F. H. Lehr, Die Blütezeit romantisch er Bild-
kunst. Franz Pforr, der Meister des Lukasbundes. Verlag
des Kunsthistorischen Seminars der Universität Marburg.
1924.

einmal seinen Lehrer R. Hamann verschont,
in dessen Seminar sein Werk entstand und
verlegt wurde. Gott ja: Lehr hat immer
recht, wenn er von Leder zieht. Aber ist es
unbedingt von nöten, immer und unent-
wegt von Leder zu ziehen, wenn man recht
hat? Und die Form seiner Polemik macht
sie nicht liebenswürdiger.
Ja, wir werden alle umlernen müssen, die
wir uns die Finger am heißen Suppentopf
der Romantik verbrannt haben; einschließ-
lich der Literarhistoriker, von denen weder
Ricarda Huch noch Fritz Stich vor Lehrs
Augen Gnade finden, allerhöchstens Heym
und Mehlis. Und hier gewinnt die Angele-
genheit einen hochdramatisch-nationalen
Anstrich. Denn der Weisheit letzter Schluß
ist kein anderer als der, daß Goethe den
eigentlichen Gipfel der Romantik bedeutet,
und daß es gar keinen Gegensatz zwischen
„Klassik“ und „Romantik“ gibt. Daß Klas-
sik schlechthin der Höhepunkt der Roman-
tik sei.
Was ist denn Romantik? Bisher, sagt
Lehr, hat darüber ein wildes Chaos ver-
schwommener Meinungen geherrscht. Es
gab nur ein „Zerrbild der Romantik“ in den
Köpfen der deutschen Forscher, das etwa
so aussah: „Schwärmender unpraktischer
Idealist und Phantast — reaktionärer Pie-
täts- und Traditionsdusler, — lebensuntüch-
tiger Ästhet, nur das Geschmackvolle erstre-
bend, nur beschauend und genießend.“ (Wir
wollen nicht darüber streiten, wo und wie
weit dieses alberne „Zerrbild“ auf die Un-
tersucher der Romantischen zutrifft: im
Negativen ist eben auch Lehr nur negativ).
Aber nun kommt seine eigene Definition,
aus dem Wesen der Pforrschen Kunst ge-
zogen. Der Begriff des Romantischen darf
nicht vom Inhaltlichen und Assoziativen
ausgehen, sondern vom Formalen, wie jede
Stildefinition. Und dieser Stilbegriff lautet:
Durchdringung des Gefühls (des Unbewuß-
ten, der Anschauung) mit dem Verstand,
mit höchster geistiger Bewußtheit; Roman-
tik ist „intellektuelle Anschauung oder in-
tuitiver Verstand“.
Die Anwendung dieser knappen Formel
auf die Werke der echten Romantiker —
von denen Lehr die „fragmentarischen“
wie Overbeck oder Tieck mit Strenge ab-
sondert — erscheint bei ihm ungefähr un-
fehlbar. Allerdings: aber es wird nicht ge-
leugnet werden können, daß dieses Resul-
tat nur eine Teilwahrheit darstellt. Wenn
Runge und Carstens und Genelli außerhalb
des erreichten Begriffes fallen und zu Über-
gangserscheinungen werden, wenn wirk-
lich nur Pforr, Fohr »und Friedrich ihm

Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 12

29

605
 
Annotationen