Die B i 1 d t e p p i ch m a nu f a k t u f
Fl 1 j • Von HEINRICH GÖBEL / Mit
enetin drei Abbildungen auf drei Tafeln
DIE Geschicke Felletins sind politisch und wirtschaftlich auf das engste
mit der Nachbarstadt Aubusson verknüpft. Die erste urkundliche Er-
wähnung eines Wirkers (Jacques Bennyn) fällt in das Jahr 1456. Es ist jedoch
mit Sicherheit anzunehmen, daß die Anfänge der Bildwirkerei noch ein Jahr-
hundert und länger zurückgehen, daß wir es in Felletin wie in anderen Orten
der Marche mit einer uralten, eingesessenen Technik zu tun haben. Es spricht
vieles dafür, in Felletin den führenden Ort der Bildwirkerei zu erblicken, so-
weit das 15. und 16. Jahrhundert in Frage kommen. Die Erzeugnisse Felle-
tins sind zunächst fast bäuerlicher Art, lediglich auf die Bedürfnisse des
Bürgerstandes und des Kleinadels eingestellt. Es fehlt an dem feineren Roh-
material — Seide gehört in der ersten Zeit zu den unerschwinglichen Luxus-
gegenständen —, es mangelt an Farbdrogen; geeignete Kartons sind infolge
des Nichtvorhandenseins einer in nächster Nähe erreichbaren Malerkolonie
schwer zu erlangen, eine straffe zünftige Organisation, die verständnisvoll auf
qualitative Hebung der Erzeugnisse drängt, ist zu missen. Ähnlich wie in den
ländlichen Orten Flanderns und Brabants ist der Tapissier zugleich Ackerbauer
und Wirker. Die erkleckliche Zahl der Gesellen führt ein denkbar kümmer-
liches Dasein, das Verdienst bannt nur mühsam die Gefahr des Verhungerns.
Die Arbeitszeit wird ohne jede gesundheitliche Rücksicht auf das Höchstmaß
angespannt, Kinder im zartesten Alter — in den Niederlanden war der Ausbil-
dungsbeginn auf das achte (siebente) Lebensjahr festgesetzt — arbeiten in
harter Fron, Lungenkrankheiten dezimieren bereits in den zwanziger und drei-
ßiger Jahren die Reihen der Wirker. Von einem Streben nach künstlerischer
Vollendung ist in Felletin noch weniger die Rede als in Aubusson. Es gilt die
Vorlage in denkbar kürzester Zeit durchzuführen, schon der Mangel an geld-
lichen Mitteln, an ausgedehntem Kredit, läßt jede qualitative Entwicklung
im Keime ersticken. Während Aubusson im 17. und 18. Jahrhundert dank der
Tatkraft der führenden Firmen, die Lager in fast allen namhaften Städten
Frankreichs errichten, die in mühsamen Reisen den Boden des Vaterlandes
nach Aufträgen abgrasen, die den erbitterten Kampf um Gleichberechtigung
mit den Pariser Fachgenossen führen, die den Regierungsmaßnahmen (seit
Colbert) ein eifriges Verständnis entgegenbringen, verzettelt Felletin seine
Kraft in nutzlosen Streitereien mit der erstarkenden Nachbarstadt, sucht mit
betrügerischen Maßnahmen den jungen Ruhm Aubussons zu schmälern. Die
Bildwirkerei in Felletin ist naturgemäß in hohem Maße von der Entwicklung
der Stadt selbst, von ihrem finanziellen Gebahren, abhängig. Der geldliche
Wohlstand, den Felletin im 16. Säkulum gegenüber Aubusson behauptet, be-
dingt verhältnismäßig frühzeitig eine Kristallisation der Betriebe. Einzelne
kaufkräftige Händler — die strenge Zunfttrennung wie in Oudenaarde oder gar
in Brüssel war nicht vorhanden — versahen die ländlichen Wirker mit Vor-
schüssen, erleichterten die Arbeit durch Hergabe geeigneter Rohmaterialien;
kurz, wir finden einen Zustand, wie ihn Aubusson noch im 17. Jahrhundert
zeigt. Aus den selbständigen Heimwirkern werden Lohnarbeiter, die im Dienste
einiger Unternehmer fronen. Die Tatsache, daß eine ganze Anzahl dieser
Kaufmann-Wirker zu dem Kleinadel des Landes zählt und den Titel eines
Lehnsherrn führt, spricht dafür, daß zum mindesten im 16. Säkulum der Ab-
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Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 19
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DIE Geschicke Felletins sind politisch und wirtschaftlich auf das engste
mit der Nachbarstadt Aubusson verknüpft. Die erste urkundliche Er-
wähnung eines Wirkers (Jacques Bennyn) fällt in das Jahr 1456. Es ist jedoch
mit Sicherheit anzunehmen, daß die Anfänge der Bildwirkerei noch ein Jahr-
hundert und länger zurückgehen, daß wir es in Felletin wie in anderen Orten
der Marche mit einer uralten, eingesessenen Technik zu tun haben. Es spricht
vieles dafür, in Felletin den führenden Ort der Bildwirkerei zu erblicken, so-
weit das 15. und 16. Jahrhundert in Frage kommen. Die Erzeugnisse Felle-
tins sind zunächst fast bäuerlicher Art, lediglich auf die Bedürfnisse des
Bürgerstandes und des Kleinadels eingestellt. Es fehlt an dem feineren Roh-
material — Seide gehört in der ersten Zeit zu den unerschwinglichen Luxus-
gegenständen —, es mangelt an Farbdrogen; geeignete Kartons sind infolge
des Nichtvorhandenseins einer in nächster Nähe erreichbaren Malerkolonie
schwer zu erlangen, eine straffe zünftige Organisation, die verständnisvoll auf
qualitative Hebung der Erzeugnisse drängt, ist zu missen. Ähnlich wie in den
ländlichen Orten Flanderns und Brabants ist der Tapissier zugleich Ackerbauer
und Wirker. Die erkleckliche Zahl der Gesellen führt ein denkbar kümmer-
liches Dasein, das Verdienst bannt nur mühsam die Gefahr des Verhungerns.
Die Arbeitszeit wird ohne jede gesundheitliche Rücksicht auf das Höchstmaß
angespannt, Kinder im zartesten Alter — in den Niederlanden war der Ausbil-
dungsbeginn auf das achte (siebente) Lebensjahr festgesetzt — arbeiten in
harter Fron, Lungenkrankheiten dezimieren bereits in den zwanziger und drei-
ßiger Jahren die Reihen der Wirker. Von einem Streben nach künstlerischer
Vollendung ist in Felletin noch weniger die Rede als in Aubusson. Es gilt die
Vorlage in denkbar kürzester Zeit durchzuführen, schon der Mangel an geld-
lichen Mitteln, an ausgedehntem Kredit, läßt jede qualitative Entwicklung
im Keime ersticken. Während Aubusson im 17. und 18. Jahrhundert dank der
Tatkraft der führenden Firmen, die Lager in fast allen namhaften Städten
Frankreichs errichten, die in mühsamen Reisen den Boden des Vaterlandes
nach Aufträgen abgrasen, die den erbitterten Kampf um Gleichberechtigung
mit den Pariser Fachgenossen führen, die den Regierungsmaßnahmen (seit
Colbert) ein eifriges Verständnis entgegenbringen, verzettelt Felletin seine
Kraft in nutzlosen Streitereien mit der erstarkenden Nachbarstadt, sucht mit
betrügerischen Maßnahmen den jungen Ruhm Aubussons zu schmälern. Die
Bildwirkerei in Felletin ist naturgemäß in hohem Maße von der Entwicklung
der Stadt selbst, von ihrem finanziellen Gebahren, abhängig. Der geldliche
Wohlstand, den Felletin im 16. Säkulum gegenüber Aubusson behauptet, be-
dingt verhältnismäßig frühzeitig eine Kristallisation der Betriebe. Einzelne
kaufkräftige Händler — die strenge Zunfttrennung wie in Oudenaarde oder gar
in Brüssel war nicht vorhanden — versahen die ländlichen Wirker mit Vor-
schüssen, erleichterten die Arbeit durch Hergabe geeigneter Rohmaterialien;
kurz, wir finden einen Zustand, wie ihn Aubusson noch im 17. Jahrhundert
zeigt. Aus den selbständigen Heimwirkern werden Lohnarbeiter, die im Dienste
einiger Unternehmer fronen. Die Tatsache, daß eine ganze Anzahl dieser
Kaufmann-Wirker zu dem Kleinadel des Landes zählt und den Titel eines
Lehnsherrn führt, spricht dafür, daß zum mindesten im 16. Säkulum der Ab-
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Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 19
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