kommenden Stilforschung sein, tief einzudringen einmal in die formalen Be^
wegungsrichtungen der prähistorischen Kunst, zweitens in ihre geistigen
Triebkräfte und in die richtunggebenden Impulse.
Die Stilbewegungen der historischen Zeit sind begleitet von der Kenntnis
des Vergangenen; der Rückblick auf einen ähnlich gerichteten Stilwillen (etwa
Renaissance — Antike) erleichtert der späteren Zeit die Ausbildung ihres
Stils. Ganz anders ist das in den prähistorischen Zeiten. Hier ist jede Stil-
bewegung einfacher, klarer, fester in ihrem Willen; ohne die Kenntnis der
vorhergegangenen Stilarten erwächst folgerichtig der neue Stil, der sich an
die Stelle des alten stellt. Will die Stilforschung der Kunstgeschichte zu all-
gemeingültigen Gesetzen der Stilbewegung gelangen, so wird sie ihren Hebel
anzusetzen haben bei der prähistorischen Kunst. Es ist deshalb Scheltema
zuzustimmen, wenn er sagt1: „Wir ... können behaupten, daß gerade die vor-,
geschichtlichen, d.h. die frühesten Kunsterscheinungen ganz besonderen An-
spruch auf Beachtung durch die moderne Kunstwissenschaft erheben. . . . Es
sind gerade die frühesten, unscheinbarsten Kunstformen, die für die Unter-
suchung der künstlerischen Entwicklungsgesetze in allererster Linie in Be-
tracht kommen.“
Kann so die prähistorische Kunst erstens durch direkten Zusammenhang
neue Wege weisen, zweitens durch die Stilbeziehungen, deren einfachste For-
men sie zu zeigen vermag, so kann sie drittens auch den Grund legen für eine
ganz hervorragende Erweiterung der Erkenntnis: sie ist imstande, die Grund-
lage zu bieten für die Beantwortung einer Frage, die immer wieder laut gewor-,
den ist, die aber ohne Einbeziehung der prähistorischen Kunst eine eindeutige
Lösung noch nicht erfahren konnte: die Frage nach der Notwendigkeit des
künstlerischen Stilwandels.
Man hat den Stilwandel entweder aus Ermüdung oder aus Erfindung
erklärt. Beide Formen reichen nicht aus, den Wandel der Stile zu deuten,
schon Wundt2 hat darauf hingewiesen, daß diese Theorie aus der Reflexion
über individuelle Erfahrungen gewonnen ist.
Mag man als Grundlage des Stilwandels den Wandel des geistigen Lebens
sehen, wie es vielfach geschieht, mag man die Wandlungen der Ökonomie als
Basis betrachten oder nur die Korrelation von Kunststil, geistigem Leben und
Wirtschaft feststellen, in jedem Fall wird auch für diese Forschungen die prä- t
historische Kunstgeschichte die geeigneten Ausgangspunkte liefern.
Die prähistorische Wirtschaftsform ist ebenso eindeutig wie die Kunstform.
Eine Korrelation von Kunststil und Wirtschaft für die prähistorischen Epochen
ist schon früh3 beobachtet worden. Der sensorischen Kunst entspricht eine
bestimmte Wirtschaftsform, und damit ein bestimmtes Denken in Religion,
Recht und Staat und der imaginativen Kunst entspricht ein bestimmtes Wirt-
schaftssystem mit ganz anders gerichtetem Denken in denselben Gebieten.
Der Wirtschaftsform, die Bücher4 die vorwirtschaftliche nennt, Hoernes5 die
parasitische, der Stufe, auf der der Mensch nicht produziert, sondern aufnimmt,
was er findet, auf der er Pflanzen sammelt und Tiere jagt, entspricht ein wenig
problematisches, nur magisches Denken6 und eine einfache sensorische natur-
nachahmende Kunst. Eine — wenn ich so sagen darf — konsumtive Kunst —
1 Adama von Scheltema, Die altnordische Kunst, Berlin 1923, S. IX.
2 Wilh. Wundt, Völkerpsychologie, III. Bd., S. 321, Leipzig 1923, 4. Aufl.
8 Am deutlichsten bei Hoernes, Urgeschichte der bildenden Kunst, Wien 1898, 1. Aufl.
4 Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft, Tübingen 1919, 12. Aufl.
5 Hoernes, Natur und Urgeschichte des Menschen, Wien und Leipzig 1919.
6 Vgl. Graebner, Das Weltbild der Primitiven, München 1924, S. 14—31.
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wegungsrichtungen der prähistorischen Kunst, zweitens in ihre geistigen
Triebkräfte und in die richtunggebenden Impulse.
Die Stilbewegungen der historischen Zeit sind begleitet von der Kenntnis
des Vergangenen; der Rückblick auf einen ähnlich gerichteten Stilwillen (etwa
Renaissance — Antike) erleichtert der späteren Zeit die Ausbildung ihres
Stils. Ganz anders ist das in den prähistorischen Zeiten. Hier ist jede Stil-
bewegung einfacher, klarer, fester in ihrem Willen; ohne die Kenntnis der
vorhergegangenen Stilarten erwächst folgerichtig der neue Stil, der sich an
die Stelle des alten stellt. Will die Stilforschung der Kunstgeschichte zu all-
gemeingültigen Gesetzen der Stilbewegung gelangen, so wird sie ihren Hebel
anzusetzen haben bei der prähistorischen Kunst. Es ist deshalb Scheltema
zuzustimmen, wenn er sagt1: „Wir ... können behaupten, daß gerade die vor-,
geschichtlichen, d.h. die frühesten Kunsterscheinungen ganz besonderen An-
spruch auf Beachtung durch die moderne Kunstwissenschaft erheben. . . . Es
sind gerade die frühesten, unscheinbarsten Kunstformen, die für die Unter-
suchung der künstlerischen Entwicklungsgesetze in allererster Linie in Be-
tracht kommen.“
Kann so die prähistorische Kunst erstens durch direkten Zusammenhang
neue Wege weisen, zweitens durch die Stilbeziehungen, deren einfachste For-
men sie zu zeigen vermag, so kann sie drittens auch den Grund legen für eine
ganz hervorragende Erweiterung der Erkenntnis: sie ist imstande, die Grund-
lage zu bieten für die Beantwortung einer Frage, die immer wieder laut gewor-,
den ist, die aber ohne Einbeziehung der prähistorischen Kunst eine eindeutige
Lösung noch nicht erfahren konnte: die Frage nach der Notwendigkeit des
künstlerischen Stilwandels.
Man hat den Stilwandel entweder aus Ermüdung oder aus Erfindung
erklärt. Beide Formen reichen nicht aus, den Wandel der Stile zu deuten,
schon Wundt2 hat darauf hingewiesen, daß diese Theorie aus der Reflexion
über individuelle Erfahrungen gewonnen ist.
Mag man als Grundlage des Stilwandels den Wandel des geistigen Lebens
sehen, wie es vielfach geschieht, mag man die Wandlungen der Ökonomie als
Basis betrachten oder nur die Korrelation von Kunststil, geistigem Leben und
Wirtschaft feststellen, in jedem Fall wird auch für diese Forschungen die prä- t
historische Kunstgeschichte die geeigneten Ausgangspunkte liefern.
Die prähistorische Wirtschaftsform ist ebenso eindeutig wie die Kunstform.
Eine Korrelation von Kunststil und Wirtschaft für die prähistorischen Epochen
ist schon früh3 beobachtet worden. Der sensorischen Kunst entspricht eine
bestimmte Wirtschaftsform, und damit ein bestimmtes Denken in Religion,
Recht und Staat und der imaginativen Kunst entspricht ein bestimmtes Wirt-
schaftssystem mit ganz anders gerichtetem Denken in denselben Gebieten.
Der Wirtschaftsform, die Bücher4 die vorwirtschaftliche nennt, Hoernes5 die
parasitische, der Stufe, auf der der Mensch nicht produziert, sondern aufnimmt,
was er findet, auf der er Pflanzen sammelt und Tiere jagt, entspricht ein wenig
problematisches, nur magisches Denken6 und eine einfache sensorische natur-
nachahmende Kunst. Eine — wenn ich so sagen darf — konsumtive Kunst —
1 Adama von Scheltema, Die altnordische Kunst, Berlin 1923, S. IX.
2 Wilh. Wundt, Völkerpsychologie, III. Bd., S. 321, Leipzig 1923, 4. Aufl.
8 Am deutlichsten bei Hoernes, Urgeschichte der bildenden Kunst, Wien 1898, 1. Aufl.
4 Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft, Tübingen 1919, 12. Aufl.
5 Hoernes, Natur und Urgeschichte des Menschen, Wien und Leipzig 1919.
6 Vgl. Graebner, Das Weltbild der Primitiven, München 1924, S. 14—31.
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