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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 1- Nr. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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Willenlos folgte Benigna — Käthe lebhaft erfreut.
Auf der Schwelle nickte dieſe leiſe: „Derr Herr Ma-
giſter erkennt Dich ſogar bei ſtockfinſterer Nacht und in
der Verhüllung der verheiratheten Frauen. Ei, ei!“
Benigna hatte das Tuch entfernt ung heftete einen
Blick voll ſo jungfräulichen Stolzes auf die Schwätze-
rin, daß dieſe betroffen zurückwich, ſich ſelber fragend?
Iſt das die arme Leinweberwaiſe, die ihre Mutter auf
dem Rücken aus dem fernen Franken heimtrug?“
Dabei gab ſie ihren und der Gefährtin Korb den
Aufwärtern, die achtungsvoll Platz machten vor den Zu ⸗

ſchauerinnen, die des Hochzeiters Bruder ſelbſt herein-

führte. Auch die Schaube von Macheyer, einemgrauen
Wollenſtoff, ließ ſie von den Schultern fallen und war
Benigna bei dem Ablegen der ihrigen behilflich, während
der junge Herr einem Aufwärter befahl, ſüßes Gebäck
und Wein zu bringen. Wieder lächelte Käthe übermüthig.
Ihre Worte nie erwägend, erhob ſie den Mund zum
Ohr Benignaͤ's und flüſterte: „Die Vohtalin verſteht
es kaum, ſolche Augen zu machen! Wer es ſah, müßte
wahrlich glauben, Deine Mutter wäre auf dem Locus
Ppeccatorum, wie die Gelehrten ſagen, getraut worden.“
Betroffen über ſich ſelbſt ſchloß Käthe feſt die Lip-
pen, als ſollte ihr weiter kein unbedachtes Wort ent-
ſchlüpfen. Zum Glück hatte Benigna ſie nicht verſtan-
den. Lag ihr doch nichts ferner, als die Abſicht, ihre
Freundin zu kränken, obwohl ſie oft mit einer Art Un-
muth empfand, wie wenig dieſe ihr gleiche. Und ihre
Worte enthielten das Schimpflichſte, was ſich von einer
Frau überhaupt ſagen ließ. Locus peccatorum hieß

die Stelle abſeits vom Altar, auf welcher damals von

toleranten Geiſtlichen, des Kranzes unwürdige Bräute
getraut wurden; denn vor mehr als dreihundert Jah-
ren hielt man noch darauf, nur Ehre zu geben, wem
ſie gebührte. Strenge Prediger vollzogen die ehliche
Einſegnung beſcholtener Mädchen ganz außerhalb der
Kirche und dieſelben mußten einen Strohkranz tragen.
Die Hochzeit der Frau Elſabe Kerbelin aber hatte ſeiner
Zeit mit allen ziemlichen Ehren ſtattgefunden, wie
Käthe von ihrem Vater wußte, der als Gaſt dabei ge-
weſen und deren Brautkränzlein von künſtlichen Blu-
men galt anderthalb Thaler, wie es die Hochzeitsord-
nung dem Handwerkerſtande vorſchrieb.
Es gab zu viel zu ſchauen, als daß Käthe daran
denken konnte. Allein necken mußte ſie ihre Begleite-
rin wieder: „Sieh, der junge Herr, der vorhin mit

dem Fräulein redete, blickt hierher — nach welcher von
uns Beiden?“

2.—

„In den Räumen, worin die Feſtlichkeiten der Groß-
bürger und ſtädtiſchen Geſchlechter abgehalten wurden,
herrſchte heute eine wahrhaft blendende Pracht- Be-
fanden ſich hier doch Gäſte zu zehn Tiſchen, jeder Tiſch
zu zwölf Perſonen — und zwar die reichſten Bewohner
der reichen, alten Stadt Görlitz. Der Sinn für „ge-
brecht und gegoſſen gülden Geſchmeide“, für „Perlen
und Edelgeſteine“, war in jener Zeit eben ſo rege, wie

ö
ſpäter, obwohl der Geſchmack im Ganzen noch wenig

gebildet, kaum über jene Stufe hinaus, welche heute

halbwilde Völkerſchaften einnehmen. Wie bei dieſen
noch jetzt, galten Münzen, zumal Goldmünzen, durch-
löchert aufgereiht oder zuſammengeſchlagen, für einen
prächtigen Schmuck, zierten Hals und Bruſtlatz maucher
ſtolzen Frau und Jungfrau „ſammetne, atlaſſene, da-
maſchkene“ und andere Seidenſtoffe in allen Farben,
glänzten, reich verbrämt mit Gold und Silber, oder
wohl gar mit Perlen geſtickt, als Röcke, Mieder und
Hauben. Oder auch als Schäubchen oder kurze ſpa-
niſche Mäntel, als Wämſer und Beinkleider, häufig be-
ſetzt mit koſtbarem Pelzwerk, das dem niedern Bürger-
ſtande als „auswärtiges gethiertes Gebräme“, gänzlich
verpönt war. Die reiche, farbige Tracht der Männer
verlieh allein ſchon einem Feſte den heiterſten Anblick.
Das ſchöne Geſchlecht bemühte ſich, neben den belieb-
ten Pluderhoſen, in denen hunderte von Ellen Zeug
ſich bauſchten und den zierlich gepufften oder geſchlitz-
ten und koſtbar gefütterten, lang herabfallenden „ver-

börderten“ Aermeln der Männer, durch irgend Etwas

ſich auszuzeichnen. Zwar waren die „übermäßigen,
ausgeſtopften Umſchweife, Schwänze und Gebräme“ an
den Kleidern verboten und die eben aufkommenden
„Wülſte“, auf tragende Eiſen und Draht unter den
Röcken“ erfreuten ſich auch des beſonderen Wohlwollens
der väterlich ſorgenden Obrigkeit, eines edlen Rathes
und derjenigen ſeiner Frauen und Töchter, ſo dieſen
„alamodiſchen Aufwand“ nicht mitmachen konnten. Al-

lein es war zuweilen ſchwer zu unterſcheiden, was

übermäßig ſei oder nicht, ſo ſchwer, daß man ſich
unter Umſtänden dieſer Unterſuchung gar nicht erſt
unterzog.
Hier war das offenbar der Fall. Die Familie En-
gernſtein entſtammte den „Adelingen“, die ſich bei Ent;
ſtehung der Stadt um die Burg Görlitz angeſiedelt
hatten, war im Beſitz des Braurechtes und mehrerer
Landgüter und ſtets im Rathe geſeſſen. Da durfte die
Braut des Herrn Wenzel, gleichfalls einer Patricier-
ſamilie entſproſſen, wie die Engerſtein's, und von jeher
nur mit ſolchen vermiſchet, wohl eine Brautkrone und
Schleppe haben, wie Beides in Städten, wo keine fürſt-
liche Hofhaltung, kaum jemals geſehen. Und die Enke-
lin des alten Rathsherrn Kunz Engernſtein, Engel-
brechta Vohtalin, durfte ſonder „Pön“ einen dieſer
ſeltſamen. Drahtkäſige unter ihrem goldgeſtickten, mit
Sammet verbrämten rothſeidenen Damaſtkleide präſen-
tiren, wie ein folcher in der Lauſitz ganz unerhört

war. Ihr Herr Vater, ein reichsfreier Edelmann aus

Franken, der am kaiſerlichen Hofe in großer Gunſt
ſtand, hatte ihr denſelben ſammt anderer reichen Frau
enzier aus der Hauptſtadt Spaniens geſandt, wohin
er in Geſchäften verſchickt worden.
ö Cortſetzung folgt.)

—2.—.9 ——
 
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