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Gaſt iſt. Er brachte dem Fräulein Engelbrechta Grüße
von Herrn Waler und wurde darum mit ſeinem Be-
gleiter zur Hochzeit geladen.“
„Am Ende gar der künftige Herr Gemahl! Neben
dem verſchwindet der fremde Magiſter ſreilich, mit dem
ſie vorhin ſo freundlich that, wie wir von draußen
ſahen!“ flüſterte Käthe.
Benigna war offenbar nicht der Meinung, verrieth
das indeß nur durch ein Lächeln. Der Anzug des Frem-
den von den mit Brillantenroſetten geſchmücklen Schuhen
bis zu den weißen Straußfedern am Sammetbarett,
war allerdings prächtig, blendete ſie jedoch nicht, wie
ihre Freundin, welche ſich gar nicht darüber beruhigen
konnte, daß in dieſen Pluderhoſen gewiß einige hundert
Ellen Seide und Sammet ſich bauſchten. Der dunkel-
äugige Magiſter gefiel ihr im Gegentheil ſehr gut und
ſie betrachtete ihn ſogar mit regem Antheil. Die ſtolze
Engelbrechta hatte mit ihm em Spiel getrieben, wie
ſie es liebte jungen Männern gegenüber, um ſie dann
kühl zurückzuweiſen, wenn ſie in Liebe zu ihr entbrannt
waren. Doch mußte ſie die Augen bald abwenden, da
er ſelber nach ihr blickte.
Die Muſik verſtummte und Benigna winkte ihrer
Begleiterin. Dieſe hatte indeß noch nicht Luſt zum
Gehen. Sigismund bejaht eben etwas widerwillig eine
Frage ſeines Geſellſchafters. Thymo gab dann Keude-
litz ein Zeichen, worauf ſich dieſer ſo eilig zu ihm ver-
fügte, daß er den ſchuldigen Reſpekt gegen ſeine Tän-
zerin faſt aus den Augen ſetzte. Auf einige leiſe Worte
Rächer's wandte der Edelmann ſich nach dem Braut ⸗
vater und fragte ihn mit erhobener Stimme:
„Iſt es mir und meinem Begleiter vergönnt, Je-
mand von den Zuſchauern mit einem Tanz zu ver-
ehren?“
Es wurde nicht verweigert, obwohl in dieſem Kreiſe
ein Hereinziehen der Zuſchauer nicht häufig ſtattfand.
Keudelitz trat zu Katharina, die zu träumen glaubte
und deutete ihr durch ein 2. Wend Kopfnicken an.
daß er mit ihr tanzen wolle, Während Thymo ſich ſo
ehrerbietig vor Benigna neigte und ſie zum Tanz bat,
als wäre ſie ein Edelfräulein.
Benigna zögerte verwirrt, faſt beſtürzt. Allein eine
Weigerung war beleidigend und gegen Sitte und An-
ſtand. Die Hochzeitsordnung beſagte ausdrücklich: „Es
foll ſich Keiner ungeladen, Manns⸗ oder Weibsper-
ſon, Geſelle oder Jungfrau, Knecht oder Magd, Jung
oder Alt, mit Nichten unterſtehen, in den Tanz ein-
zuſpringen oder umzulaufeu, die Gäſte zu bedrän-
gen, bei einem Schock Groſchen Buße. Wer aber von
einem Gaſte mit einem Tanze verehret oder aufgezogen
wird, der ſoll ihm ohne Entgeld und Beſchwerde zu
thun zugelaſſen und vergunſt ſein.“
Im niedern Bürgerſtande kamen dergleichen Tanz-
verehrungen öfters vor; je ſeltener es bei Patriciern
geſchah, um ſo größer war natürlich die Ehre. Sich
dagegen zu ſträuben, wäre undankbar geweſen. Und
zugleich kindiſch — einer verſtändigen Junzfrau nicht
geziemend. So folgte Benigna dem Fremden, denn in
die Reihen — verſchämt erröthend, doch mit dem ruhi-
trifft.
gen Anſtand, der die Leinewebertochter nicht allein vor
den meiſten Mädchen ihres Standes auszeichnete, ſon-
dern auch vor vielen höher Gebornen.
Käthe hatte nicht gezögert. Sie ſtolperte zwar zu-
erſt in ihrem freudigee Schrecken über den großen Fuß
ihres Tänzers, gewann aber bald ihre Sicherheit wie-
der und ſchwang ſich ſo wacker umher, wie bei einem
Quartalsfeſt auf der Tanzlaube. Die Anweſenden achte-
ten jedoch nicht auf ſie und ihren Führer. Alle Blicke
hingen an dem andern Paar. ö
3.
„Verzeih, daß ich ſo lange fortblieb!“ Damit trat
Benigna haſtiger als ſonſt in das Stübchen,
mit ihrer Mutter bewohnte.
Dieſe fuhr empor aus der gebeugten Stellung,
welche ſie am Tiſch mit der kleinen Lampe eingenommen
hatte. Die Zeit während der Abweſenheit der Tochter
war ihr offenbar nicht lang geworden, wenigſtens blickte
ſie dieſelbe mit einem Ausdruck an, als verſtehe ſie
die Entſchuldigung nicht. So beſchäftigt war fie auch
jetzt noch mit ſich ſelber, daß ſie nicht einmal gewahrte,
welch' ungewöhnliche Röthe auf der Tochter Wangen
glühte, wie die dunkelblauen, ſonſt ſo kindlich ruhigen
Augen leuchteten, in wie raſchen Athemzügen die Bruſt
ſich hob.
Benigna nutledigte ſich des Mantels und Korbes,
packte die Wolle aus und ſetzte“ ſich zum Spinnrad.
Allein ihre Gedanken waren nicht bei der Arbeit, ſon-
dern in dem kerzenhellen Feſtſaal. Statt der Hammer-
ſchläge, 'die drunten in der Schmiede Katharinas flei-
ßiger Vater noch auf den Ambos fallen ließ, klang in
ihren Ohren das Spiel des Stadtpfeifers und ſeiner
kunſtbefliſſenen Geſellen. Ja, ſtatt der vorzeitig altern-
den Frau, die müde, in ſich zuſammengeſunken, den
Kopf in die Hand ſtützte, ſah ie den jungen Mann mit
dunkeln Augen und langem braunen Haar, dieſer Zierde
des freien Mannes, die damals ſo hoch geſchätzt ward,
daß die Unfreien ſich das Haupt ſcheeren mußten. Sah.
wie er ſich zu ihr nieder neigte, um ihrem Blick zu
begegnen, und empfand noch den Druck ſeiner Hand.
Erſchrocken über ſich ſelber, über dieſe Lebhaftigkeit
ihres Erinnerungsvermögens, die Vergangenheit in
Gegenwart wandelte, erhob ſie den zur Spule nieder-
gebeugten Kopf und begann, nach einem Uebergang
ſuchend zu dem Geſtändniß, daß ſie bei dem Hochzeits-
feſte geweſen ſei, etwas unſicher: „Im En geruſtein“
ſchen Hauſe ſteht viel Frohes bevor. Engelbrechta“'s
Vater hat geſchrieben, daß er nächſtens in Vudiſſin ein-
Hätte Herr Wenzel gewußt“ — betreten ver-
das ſie
ſtummte ſie. ö
Ihre Mutter, vorher ſo theilnahmlos, war heftig
aufgefahren. Zwar konnte die Tochter an dieſes jähe
Weſen ſeit Jahren gewöhnt ſein, es erſchreckte ſie doch
noch immer jedes Mal und um ſo mehr, wenn ſie
ſelber die Veranlaſſung dazu gab. Selten fand ſie
einen Grund dafür, noch ſeltener begriff ſie den Grund
davon — heute auch nicht.
Gaſt iſt. Er brachte dem Fräulein Engelbrechta Grüße
von Herrn Waler und wurde darum mit ſeinem Be-
gleiter zur Hochzeit geladen.“
„Am Ende gar der künftige Herr Gemahl! Neben
dem verſchwindet der fremde Magiſter ſreilich, mit dem
ſie vorhin ſo freundlich that, wie wir von draußen
ſahen!“ flüſterte Käthe.
Benigna war offenbar nicht der Meinung, verrieth
das indeß nur durch ein Lächeln. Der Anzug des Frem-
den von den mit Brillantenroſetten geſchmücklen Schuhen
bis zu den weißen Straußfedern am Sammetbarett,
war allerdings prächtig, blendete ſie jedoch nicht, wie
ihre Freundin, welche ſich gar nicht darüber beruhigen
konnte, daß in dieſen Pluderhoſen gewiß einige hundert
Ellen Seide und Sammet ſich bauſchten. Der dunkel-
äugige Magiſter gefiel ihr im Gegentheil ſehr gut und
ſie betrachtete ihn ſogar mit regem Antheil. Die ſtolze
Engelbrechta hatte mit ihm em Spiel getrieben, wie
ſie es liebte jungen Männern gegenüber, um ſie dann
kühl zurückzuweiſen, wenn ſie in Liebe zu ihr entbrannt
waren. Doch mußte ſie die Augen bald abwenden, da
er ſelber nach ihr blickte.
Die Muſik verſtummte und Benigna winkte ihrer
Begleiterin. Dieſe hatte indeß noch nicht Luſt zum
Gehen. Sigismund bejaht eben etwas widerwillig eine
Frage ſeines Geſellſchafters. Thymo gab dann Keude-
litz ein Zeichen, worauf ſich dieſer ſo eilig zu ihm ver-
fügte, daß er den ſchuldigen Reſpekt gegen ſeine Tän-
zerin faſt aus den Augen ſetzte. Auf einige leiſe Worte
Rächer's wandte der Edelmann ſich nach dem Braut ⸗
vater und fragte ihn mit erhobener Stimme:
„Iſt es mir und meinem Begleiter vergönnt, Je-
mand von den Zuſchauern mit einem Tanz zu ver-
ehren?“
Es wurde nicht verweigert, obwohl in dieſem Kreiſe
ein Hereinziehen der Zuſchauer nicht häufig ſtattfand.
Keudelitz trat zu Katharina, die zu träumen glaubte
und deutete ihr durch ein 2. Wend Kopfnicken an.
daß er mit ihr tanzen wolle, Während Thymo ſich ſo
ehrerbietig vor Benigna neigte und ſie zum Tanz bat,
als wäre ſie ein Edelfräulein.
Benigna zögerte verwirrt, faſt beſtürzt. Allein eine
Weigerung war beleidigend und gegen Sitte und An-
ſtand. Die Hochzeitsordnung beſagte ausdrücklich: „Es
foll ſich Keiner ungeladen, Manns⸗ oder Weibsper-
ſon, Geſelle oder Jungfrau, Knecht oder Magd, Jung
oder Alt, mit Nichten unterſtehen, in den Tanz ein-
zuſpringen oder umzulaufeu, die Gäſte zu bedrän-
gen, bei einem Schock Groſchen Buße. Wer aber von
einem Gaſte mit einem Tanze verehret oder aufgezogen
wird, der ſoll ihm ohne Entgeld und Beſchwerde zu
thun zugelaſſen und vergunſt ſein.“
Im niedern Bürgerſtande kamen dergleichen Tanz-
verehrungen öfters vor; je ſeltener es bei Patriciern
geſchah, um ſo größer war natürlich die Ehre. Sich
dagegen zu ſträuben, wäre undankbar geweſen. Und
zugleich kindiſch — einer verſtändigen Junzfrau nicht
geziemend. So folgte Benigna dem Fremden, denn in
die Reihen — verſchämt erröthend, doch mit dem ruhi-
trifft.
gen Anſtand, der die Leinewebertochter nicht allein vor
den meiſten Mädchen ihres Standes auszeichnete, ſon-
dern auch vor vielen höher Gebornen.
Käthe hatte nicht gezögert. Sie ſtolperte zwar zu-
erſt in ihrem freudigee Schrecken über den großen Fuß
ihres Tänzers, gewann aber bald ihre Sicherheit wie-
der und ſchwang ſich ſo wacker umher, wie bei einem
Quartalsfeſt auf der Tanzlaube. Die Anweſenden achte-
ten jedoch nicht auf ſie und ihren Führer. Alle Blicke
hingen an dem andern Paar. ö
3.
„Verzeih, daß ich ſo lange fortblieb!“ Damit trat
Benigna haſtiger als ſonſt in das Stübchen,
mit ihrer Mutter bewohnte.
Dieſe fuhr empor aus der gebeugten Stellung,
welche ſie am Tiſch mit der kleinen Lampe eingenommen
hatte. Die Zeit während der Abweſenheit der Tochter
war ihr offenbar nicht lang geworden, wenigſtens blickte
ſie dieſelbe mit einem Ausdruck an, als verſtehe ſie
die Entſchuldigung nicht. So beſchäftigt war fie auch
jetzt noch mit ſich ſelber, daß ſie nicht einmal gewahrte,
welch' ungewöhnliche Röthe auf der Tochter Wangen
glühte, wie die dunkelblauen, ſonſt ſo kindlich ruhigen
Augen leuchteten, in wie raſchen Athemzügen die Bruſt
ſich hob.
Benigna nutledigte ſich des Mantels und Korbes,
packte die Wolle aus und ſetzte“ ſich zum Spinnrad.
Allein ihre Gedanken waren nicht bei der Arbeit, ſon-
dern in dem kerzenhellen Feſtſaal. Statt der Hammer-
ſchläge, 'die drunten in der Schmiede Katharinas flei-
ßiger Vater noch auf den Ambos fallen ließ, klang in
ihren Ohren das Spiel des Stadtpfeifers und ſeiner
kunſtbefliſſenen Geſellen. Ja, ſtatt der vorzeitig altern-
den Frau, die müde, in ſich zuſammengeſunken, den
Kopf in die Hand ſtützte, ſah ie den jungen Mann mit
dunkeln Augen und langem braunen Haar, dieſer Zierde
des freien Mannes, die damals ſo hoch geſchätzt ward,
daß die Unfreien ſich das Haupt ſcheeren mußten. Sah.
wie er ſich zu ihr nieder neigte, um ihrem Blick zu
begegnen, und empfand noch den Druck ſeiner Hand.
Erſchrocken über ſich ſelber, über dieſe Lebhaftigkeit
ihres Erinnerungsvermögens, die Vergangenheit in
Gegenwart wandelte, erhob ſie den zur Spule nieder-
gebeugten Kopf und begann, nach einem Uebergang
ſuchend zu dem Geſtändniß, daß ſie bei dem Hochzeits-
feſte geweſen ſei, etwas unſicher: „Im En geruſtein“
ſchen Hauſe ſteht viel Frohes bevor. Engelbrechta“'s
Vater hat geſchrieben, daß er nächſtens in Vudiſſin ein-
Hätte Herr Wenzel gewußt“ — betreten ver-
das ſie
ſtummte ſie. ö
Ihre Mutter, vorher ſo theilnahmlos, war heftig
aufgefahren. Zwar konnte die Tochter an dieſes jähe
Weſen ſeit Jahren gewöhnt ſein, es erſchreckte ſie doch
noch immer jedes Mal und um ſo mehr, wenn ſie
ſelber die Veranlaſſung dazu gab. Selten fand ſie
einen Grund dafür, noch ſeltener begriff ſie den Grund
davon — heute auch nicht.