Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

DOI chapter:
Nr. 1- Nr. 8 (5. Januar - 29. Januar)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.44635#0022

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
18

Bittend, liebkoſend, beſchwichtigend, wie einem kran-

ken Kinde, ſprach die Tochter ihr zu und brachte ſie zu
Bett. Plötzlich fuhr ſie empor vom Lager. „Biſt Du
mir wirklich nicht böſe?“
„Ich böſe? Wie könnte ich Dir böſe
rum?“ Benigna küßte ſie herzlich.
„Warum — ja, warum?“ ächzte die Frau wie
geiſtesabweſend. Noch einmal richtete ſie ſich auf. „Ver-
ſprich mir, nicht das Engernſtein'ſche Hans zu betre-
ten, wenn — wenn der — der Herr von Vohtal erſt
da iſt.“
Benigna verſprach es gehorſam und ſponn dann
fleißig, beſorgt den ſchweren Athemzügen der Mutter
lauſchend. Nichts unterbrach die Stille, als dieſe Athem-
züge, das Summen des Rädchens und das Hämmern
des geſpenſtiſchen Nachtſchmieds. Das letztere ſchien mit
jeder Minute lauter zu werden und durchdröhnten wahr-
haft das Haus ſo, daß die kleinen Fenſterſcheiben in
der Bleifaſſuug zu klirren begannen.
Sltöhnend wälzte ſich die Leineweberwittwe auf
zihrem Lager.
Benigna erhob leiſe ihre Stimme und ſang das
Lied des Wittenberger Mönches: „Ein' feſte Burg iſt
unſer Gott!“
Das Geräuſch unten verſtummte plötzlich, wie be-
ſchworen durch die lieblichen Töne. Ruhiger wurden
die Athemzüge der Frau — ſie entſchummerte ſanft.
Da erklangen andere Laute von unten, vom Platz
herauf. Ein Zitherſchläger handhabte künſtlich ſein In-
ſtrument, enie Männerſtimme ſang ein Lied, deſſen
Inhalt die fleißige Spinnerin nicht verſtand. Dennoch
ſchoß ihr das Blut ſiedendheiß ins Geſicht. Raſch
ueb. ſie das Lämpchen, lauſchte dann regungslos
hinab. ö
Der Wächter auf dem nahen Reichenbacher Thurm
traute ſeinen Sinnun kaum; er hielt das Fackellicht
und vor die Muſik dem Spuckhauſe ſür ein geſpenſti-
ges Stückchen des Nachtſchmieds oder vielmehr des Jun-
kers mit der rothen Hahnenſeder, den er zur Nachtzeit
nicht bei ſeinem Namen zu nennen wagte. Wer konnte

ſein und wa-

denn an eine ſpaniſche Serenade in kalter, finſterer

Winternacht auf dem Ringe einer der ehrſamen Sechs-
ſtädte denken? Wie das in allen Gauen üblich war,
hatten auch die bedeutendſten Städte der Laufitz zum
Schutz ihrer Vorrechte und gegen die Bergewaltigung
der Fürſten und des Adels ein Bündniß geſchloſſen,
das von der Zahl der daran theilnehmenden Orte der
Sechsſtädtebund hieß und in ſeiner Blüthezeit
eine anſehnlicht Macht entfaltete. Görlitz, Löbau und
Zittau waren die größten und reichſten der „Sechs-
ſtädte.“ Görlitz iſt übrigens noch heute ſo reich, daß
die Bewohner armer, d. h. abgabenreicher Communen
die Görlitzer beneiden können. ö
Dem Spielmann erſtarrten auch gar bald die Fin-
ger; Geſang und Muſik verſtummte, der Lichtſchein ver-
ſchwand. „Alle guten Geiſter!“ der Thürmer bekreuzte
ſich. Daſſelbe ſagte und that der Nachtwächter, der

eben, mit Keulenſpieeß und Fauſthammer bewaffnet, die

Runde machte, ſich aber möglichſt ſfern von dem Spuk
gehalten hatte. ö
Eben ſchlug es auf der Brüderkirche lzur Drei-
ſaltigkeit; der Rathszeiget und die Uhren der andern
Thürme folgten — dumpfer oder heller. Sechs Uhr
ſchlug es — Mitternacht.

4.

Die Mutter hatte Benigna nicht in die Kirche be-
gleitet, weil ſie ſich, wie ſie ſagte, zu ſchwach fühlte
nach dem geſtrigen Fieberanfall. Mit ganzer Seele ſo-
wohl bei der Predigt, wie bei dem Geſange, gewahrte
das Mädchen nicht, daß es in ziemlich auffälliger Weiſe
den Zielpunkt der Blicke eines jungen Mannes bildete.
Engelbrechta bemerkte das um ſo beſſer. Der fremde
Magiſter befand ſich zwar nicht in der Nähe der En-
gernſtein'ſchen Kirchenſitze, ſondern fern ab vom Altar
nahe dem großen Eingangsportal, doch ſo, daß ſie deut-
lich ihn und die Richtung ſeiner Augen gewahren konnte.
Eine Blutwelle nach der andern überfluhtete das Antlitz
der jungen Potrizierin. Die Augen blickten zuerſt
zornig und verächtlich — dann mit einer Beimiſchung
von Vorwurf hin nach dem Fremden. Da es nicht das
Mindeſte fruchtete, er vielmehr fortfuhr, die Hand-
werkertochter anzuſtarren, wendete ſie ſich endlich ab
und that, als ſähe ſie es nicht.
Nach der Predigt erhob ſie ſich geräuſchvoll und ver-
ließ, wie viele Andere auch, mit ihrem jüngſten Oheim
das Gotteshaus. Herr von Keudelitz, der gleichfalls
im Gange ſtand, folgte ihr — ſein Begleiter neigte ſich
nur tief vor dem Fräul in, blieb aber zurück, da Be-
nigna andächtig das deutſche Lied mitſang, das zum
Schluß des Gottesdienſtes angeſtimmt worden.
„Euer Freund, Herr Ritter, hat ſich da ja eine
hübſche Beſchäftigung auserwählt“, redete Engelbrechta
Keudelitz ſpöttiſch an. „Allein eine vergebliche — ſagt
ihm doch, nebſt einem Gruß von mir, da er ſelber nicht
Luſt zu haben ſcheint, mir die Zeit zu bieten: das
Mädchen, das er mit ſeinen Blicken beſchießt, wie der
Geſchützmeiſter mit ſeiner Donnerbüchſe eine feindliche
Mauer, ſei nicht ſo leicht zu erobern. Eine ehrſame
Bürgertochter gibt darauf überhaupt nicht viel. “—
Der Ritter lachte etwas erzwungen. „Er iſt ein
Schwärmgeiſt, nach Allem, was ich von ihm geſehen
und gehört habe. Großes Glück bei den Frauenzimmern
hat er freilich auch immer — weiß 'es darnach anzu-
fangen.“ Ein ſchlauer Blick ſchoß hinter den rothen
Wimpern hervor. „Denket Euch doch nur, was ihm
geſtern noch einfiel: er brachte dem Mädchen eine Se-
renade, wie ſie in Spanien üblich iſt und dort entweder
ſüßen Lohn oder aber — einen Dolchſtoß von einem
eiferſüchtigen Nebenbuhler einträgt.“ ö
Engeldrechta biß ſich auf die Lippen, erwiderte je-
doch nichts. Sigismund, der mit Bekannten geſprochen
hatte, wendete ſich wieder ihr und ihrem Begleiter zu.
„Ihr kommt doch mit uns, ſeid heute unſer Gaſt?“
fragte ſie nach augenblicklichem Nachdenken in freund-
lichem Ton. Geſtern, nach der Entfernung der Hand-
 
Annotationen