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zählte mir's ſelber, daß Du eine Tänzerin ſeieſt, wie
wir in der Stadt keine zweite haben, neben der ſelbſt
unſere Brechta ſich verſtecken kann“, neckte ſie,
werde mir aber uicht ſtolz auf dieſe Fertigkeit, von der
wir gar nicht wiſſen, wo ſie hergekommen iſt.“
„Es iſt das Geſchenk einer guten Fee!“ ſcherzte der
Magiſter.
Erröthend beugte das Mädchen ſich nieder, um die
bebenden, runzelvollen Hände zu küſſen. „Als Kind habe
ich ja oft mit Fräulein Brechta und Herrn Sigismund
getanzt“
Der Eintritt des Hausherrn und der Neuvermählten
unterbrach das vertrauliche Geplauder. Nach wenigen
Worten kam die Rede auf die Predigt, die nun ſo gründ-
lich erörtert wurde, daß es geraume Zeit erforderte
Sigismund ſah inzwiſchen einige Mal auf die Gaſſe
hinunter, Engelbrechta kam noch nicht.
Ihr Ausbleiben erregte die Verwunderung auch der
anderen Verwandten, nur die junge Frau meinte: ſie
werde ſo viel über das geſtrige Feſt zu plaudern haben,
daß ſie nicht loskäme von der Freundin. Endlich meldete
der Diener, das Eſſen ſei fertig. Die jüngere Schweſter
des Hausherrn war als roch rüſtige Wittwe nach dem
Tode ſeiner Frau ins Haus gekommen, demſelben ſo
lange vorzuſtehen, bis Wenzels Frau ſich der großen
Wirthſchaft gebührend annehme. Sie hatte mittlerweile
in Küche und Speiſekammer gewaltet.
Benigna wollte ſich entſfernen, ward aber von allen
Seiten ſo zum Bleiben genötyigt, daß in dem ſonſt ſo
ſtillen Zimmer ein ungewöhnlicher Tumult entſtand.
„Sie ißt bei mir“, entſchied endlich die Aeltermutter,
die ſich ſchon lange vom Familientiſch zurückgezogen hatte,
und das Wenige, deſſen ſie noch bedurfte, zu ihrem
Stuhl bringen ließ. „Das heißt, wenn ſie mir alten
Frau Geſellſchaft leiſten will.“
Sie wollte es natürlich und hatte von der Mutter
Erlaubniß zum Verweilen. Daß Käthe nach dieſer ſah
und ſie ſelber abzurufen kam, wenn die Mutter es ver-
langte, wußte ſie ja. ö
„Was ift denn das?“ hatte Sigismund gefragt und
ſo fragte auch ſein Bruder. In dem Hauſe, worin
ſonſt eine vornehme Ruhe herrſchte, war es plötzlich laut
geworden. Schwere ſporenklirrende Tritte ſchallten auf
der Treppe, dann im anſtoßenden Gemach. Als man
die Thür öffnete ſtand ein hoher, reichgekleideter Mann
von einigen vierzig Jahren faſt ſchon auf der Schwelle.
Im nächſten Angenblick hatte er ſie überſchritten mit dem
Ausruf: „Da ich hörte, man hochzeite hier, gönnte ich
mir keine Nachtruhe, um doch wenigſtens etwas von der
Nachfeier zu koſten.“
Der Rathsherr trat ihm freudig überaſcht entgegen,
aber er ſchüttelte nur mit einem „Grüß Gott, Vater —
Großmutter!“ flüchtig ſeine Hand. Der Blick ſchweifte
verlangend umher und hatte ſogleich gefunden, was er
ſuchte. „Mein Kind, mein liebes Töchterlein!“ Feſt um-
ſchloſſen ſeine Arme Benigna, die in ihrer Ueberraſch-
ung keinen Verſuch des Widerſtandes machen und keinen
„Nun
Laut hervorzubringen vermochte. Mit faſt ſhoͤrbar klo-
pfendem Herzen lag ſie an ſeiner Bruſt wie im Traume,
mehr als halb willenlos.
Raſch hatte der Ankömmling weiter geſprochen: „Sieh
mich doch an. Ich hätte Dich gleich unter wer weiß
wie Vielen herauserkannt, obwohl Du überraſchend groß
geworden biſt. So groß, daß wir wohl nächſtens wie-
der an eine Hochzeit denken müſſen. Nun, einen Bräuti-
gam wüßte ich ſchon, wenn —“ ö ö
„Ihr irrt, Herr!“ Benigna verſuchte, ſich der Um-
armung zu entziehen.
Die Andern waren bisher ſprachlos geweſen — erſt
jetzt ſagte der Rathsherr: „Es iſt nicht Deine Tochter,
Vohtal.“
„Nicht meine Tochter? Aber dieſe Augen!“ Er
Sui wie um ſich zu beſinnen, mit der Hand über die
tirn.
Der Purpur der Beſchämung brannte auf Benigna's
Wangen, um den Mund zuckte es wie tiefes Weh und
nicht um den Mund allein, auch im Herzen. Sie ſenkte
die Wimpern, dennoch konnten ja die Anweſenden die
Farbe ihrer Augen. Und Herr von Vohtal, der könig-
liche Rath, hatte ganz dieſelben ſchönen großen, dunkel-
blauen Augen, wie ſie, oder vielmehr ſie ſolche Augen
wie er. Nur daß die ſeinen ſcharf und durchdringend
funkelten, während die ihrigen ſanft glänztien, jetzt vol-
lends von aufſteigenden Thränen verſchleiert.
Eine nur ſekundenlange, doch peinliche Pauſe folgte.
Jeder ſammelte ſeine verwirrten Gedanken.
„Mein Vater iſt angekommen?“ tönte in dieſe Stille
eine klare helle Stimme.
Vohtal wandte ſich, überlief erſt mit den Augen die
auf der Zimmerſchwelle Stehende, die den ſeidenen Mantel
von den Schultern zur Erde fallen ließ und ihm dann
näher trat.
Er umarmte ſie — freilich nicht mit der faſt zum
Ungeſtüm geſteigerten Lebhaftigkeit, welche ihre Stellver-
treterin einmal vorweggenommen hatte. An die Stelle
des Vaters ſchien der Hofmann getreten zu ſein. Ein
Zug von Selbſtironie ſpielte um ſeine Lippen, als ſein
Blick dabei zufällig Benigna traf, die eben leiſe den
Mantel aufhob. Wie hatte er ſo ſeltſam irren können!
Deren Anzug mußte ihm ja gleich ſagen, daß ſie nicht
ſeine Tochter, ſondern ein Handwerkerkind ſei— Dennoch
folgte ſein Auge nachdenklich und mit unwillkürlichem
Wohlgefallen der edlen Geſtalt, den leichten anmuthigen
Bewegungen des jungen Mädchens, um ſich darin ver-
gleichend zu Engelbrechta zurückzuwenden. Dieſe hielt die
Prüfung ruhig, ja ſelbſtbewußt aus und betrachtete ihn
ihrerſeits forſchend. ö
Seine Begrüßung hatte ſie erwidert, wie ſich das
ziemte: mit pflichtmäßiger Achtung ohne jede Beimiſchung
von urſprünglicher Empfindung; eine gewiße Zerſtreut-
heit und Befangenheit, welche die Erinnerung an die
jüngſte Vergangenheit hervorruſen mochte, verbarg ſie ge-
ſchickt unter der Formengewandheit, welche im Daſein ſo
Vieles verdecken kann und verdecken muß.
zählte mir's ſelber, daß Du eine Tänzerin ſeieſt, wie
wir in der Stadt keine zweite haben, neben der ſelbſt
unſere Brechta ſich verſtecken kann“, neckte ſie,
werde mir aber uicht ſtolz auf dieſe Fertigkeit, von der
wir gar nicht wiſſen, wo ſie hergekommen iſt.“
„Es iſt das Geſchenk einer guten Fee!“ ſcherzte der
Magiſter.
Erröthend beugte das Mädchen ſich nieder, um die
bebenden, runzelvollen Hände zu küſſen. „Als Kind habe
ich ja oft mit Fräulein Brechta und Herrn Sigismund
getanzt“
Der Eintritt des Hausherrn und der Neuvermählten
unterbrach das vertrauliche Geplauder. Nach wenigen
Worten kam die Rede auf die Predigt, die nun ſo gründ-
lich erörtert wurde, daß es geraume Zeit erforderte
Sigismund ſah inzwiſchen einige Mal auf die Gaſſe
hinunter, Engelbrechta kam noch nicht.
Ihr Ausbleiben erregte die Verwunderung auch der
anderen Verwandten, nur die junge Frau meinte: ſie
werde ſo viel über das geſtrige Feſt zu plaudern haben,
daß ſie nicht loskäme von der Freundin. Endlich meldete
der Diener, das Eſſen ſei fertig. Die jüngere Schweſter
des Hausherrn war als roch rüſtige Wittwe nach dem
Tode ſeiner Frau ins Haus gekommen, demſelben ſo
lange vorzuſtehen, bis Wenzels Frau ſich der großen
Wirthſchaft gebührend annehme. Sie hatte mittlerweile
in Küche und Speiſekammer gewaltet.
Benigna wollte ſich entſfernen, ward aber von allen
Seiten ſo zum Bleiben genötyigt, daß in dem ſonſt ſo
ſtillen Zimmer ein ungewöhnlicher Tumult entſtand.
„Sie ißt bei mir“, entſchied endlich die Aeltermutter,
die ſich ſchon lange vom Familientiſch zurückgezogen hatte,
und das Wenige, deſſen ſie noch bedurfte, zu ihrem
Stuhl bringen ließ. „Das heißt, wenn ſie mir alten
Frau Geſellſchaft leiſten will.“
Sie wollte es natürlich und hatte von der Mutter
Erlaubniß zum Verweilen. Daß Käthe nach dieſer ſah
und ſie ſelber abzurufen kam, wenn die Mutter es ver-
langte, wußte ſie ja. ö
„Was ift denn das?“ hatte Sigismund gefragt und
ſo fragte auch ſein Bruder. In dem Hauſe, worin
ſonſt eine vornehme Ruhe herrſchte, war es plötzlich laut
geworden. Schwere ſporenklirrende Tritte ſchallten auf
der Treppe, dann im anſtoßenden Gemach. Als man
die Thür öffnete ſtand ein hoher, reichgekleideter Mann
von einigen vierzig Jahren faſt ſchon auf der Schwelle.
Im nächſten Angenblick hatte er ſie überſchritten mit dem
Ausruf: „Da ich hörte, man hochzeite hier, gönnte ich
mir keine Nachtruhe, um doch wenigſtens etwas von der
Nachfeier zu koſten.“
Der Rathsherr trat ihm freudig überaſcht entgegen,
aber er ſchüttelte nur mit einem „Grüß Gott, Vater —
Großmutter!“ flüchtig ſeine Hand. Der Blick ſchweifte
verlangend umher und hatte ſogleich gefunden, was er
ſuchte. „Mein Kind, mein liebes Töchterlein!“ Feſt um-
ſchloſſen ſeine Arme Benigna, die in ihrer Ueberraſch-
ung keinen Verſuch des Widerſtandes machen und keinen
„Nun
Laut hervorzubringen vermochte. Mit faſt ſhoͤrbar klo-
pfendem Herzen lag ſie an ſeiner Bruſt wie im Traume,
mehr als halb willenlos.
Raſch hatte der Ankömmling weiter geſprochen: „Sieh
mich doch an. Ich hätte Dich gleich unter wer weiß
wie Vielen herauserkannt, obwohl Du überraſchend groß
geworden biſt. So groß, daß wir wohl nächſtens wie-
der an eine Hochzeit denken müſſen. Nun, einen Bräuti-
gam wüßte ich ſchon, wenn —“ ö ö
„Ihr irrt, Herr!“ Benigna verſuchte, ſich der Um-
armung zu entziehen.
Die Andern waren bisher ſprachlos geweſen — erſt
jetzt ſagte der Rathsherr: „Es iſt nicht Deine Tochter,
Vohtal.“
„Nicht meine Tochter? Aber dieſe Augen!“ Er
Sui wie um ſich zu beſinnen, mit der Hand über die
tirn.
Der Purpur der Beſchämung brannte auf Benigna's
Wangen, um den Mund zuckte es wie tiefes Weh und
nicht um den Mund allein, auch im Herzen. Sie ſenkte
die Wimpern, dennoch konnten ja die Anweſenden die
Farbe ihrer Augen. Und Herr von Vohtal, der könig-
liche Rath, hatte ganz dieſelben ſchönen großen, dunkel-
blauen Augen, wie ſie, oder vielmehr ſie ſolche Augen
wie er. Nur daß die ſeinen ſcharf und durchdringend
funkelten, während die ihrigen ſanft glänztien, jetzt vol-
lends von aufſteigenden Thränen verſchleiert.
Eine nur ſekundenlange, doch peinliche Pauſe folgte.
Jeder ſammelte ſeine verwirrten Gedanken.
„Mein Vater iſt angekommen?“ tönte in dieſe Stille
eine klare helle Stimme.
Vohtal wandte ſich, überlief erſt mit den Augen die
auf der Zimmerſchwelle Stehende, die den ſeidenen Mantel
von den Schultern zur Erde fallen ließ und ihm dann
näher trat.
Er umarmte ſie — freilich nicht mit der faſt zum
Ungeſtüm geſteigerten Lebhaftigkeit, welche ihre Stellver-
treterin einmal vorweggenommen hatte. An die Stelle
des Vaters ſchien der Hofmann getreten zu ſein. Ein
Zug von Selbſtironie ſpielte um ſeine Lippen, als ſein
Blick dabei zufällig Benigna traf, die eben leiſe den
Mantel aufhob. Wie hatte er ſo ſeltſam irren können!
Deren Anzug mußte ihm ja gleich ſagen, daß ſie nicht
ſeine Tochter, ſondern ein Handwerkerkind ſei— Dennoch
folgte ſein Auge nachdenklich und mit unwillkürlichem
Wohlgefallen der edlen Geſtalt, den leichten anmuthigen
Bewegungen des jungen Mädchens, um ſich darin ver-
gleichend zu Engelbrechta zurückzuwenden. Dieſe hielt die
Prüfung ruhig, ja ſelbſtbewußt aus und betrachtete ihn
ihrerſeits forſchend. ö
Seine Begrüßung hatte ſie erwidert, wie ſich das
ziemte: mit pflichtmäßiger Achtung ohne jede Beimiſchung
von urſprünglicher Empfindung; eine gewiße Zerſtreut-
heit und Befangenheit, welche die Erinnerung an die
jüngſte Vergangenheit hervorruſen mochte, verbarg ſie ge-
ſchickt unter der Formengewandheit, welche im Daſein ſo
Vieles verdecken kann und verdecken muß.