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Mittlerweile war die Abendmahlzeit Leendet; der Pa-
ſtor klingelte dem Mädchen, damit fie ihm die Studir-
lam pe in ſeinem Zimmer anzünde und die Frau Paſtorin
ſetzte ſich mit gevohntem Eiſer an ihre Handarbeit, ihre
Gedanken blieben aber mit der traurigen Geſchichte be-
ſchäftigt, in der ſoehen ein neuer Abſchnitt begonnen
hatte.
It deſſen hatten die beiden Menſchen, deren Schick-
ſah alle Gemüthrr in Eſtebrügge ſo in Aufregung ver-
ſetzte, die ganze Welt über ihr eigenes Glück vergeſſen.
Eliſabeth hatte faſt ihr ganzes, kurzes Leben in dem
ſogenannten „alten Pfarrhure“ verbracht, einem male-
riſchen, epheuum wachſenen klinen Häuschen neben dem
Kirchhofe. Hier haite ihre Großmutter, die Mutter des
früheren Predigers, ſie als hilfloſe Waiſe bei ſich auf-
genommen; hier hatte ihr junger Gatte ſie zuerſt ge-
ſehen, ihr uyſchuldiges Herz gewonnen, ſie jubelnd die
Seine genannt, und das Alles im Sturm, während eines
vierzehntägigen Aufenthaltes; hier hatte ſie gehofft und
gezagt während jener Reiſe, die ſo verhängnißvoll für ſie
enden ſollte; hier hatte ſie als junge Wittwe um ihn
getrauert, anfangs keſchirmt durch die liebevolle Sorge
ihrer Großmutter, und dann, als der Tod ihr auch
dieſes treue Herz genommen, ganz verlaſſen und allein;
hier ſaß ſie auch jetzt auf einem niedrigen Seſſel, nahe
dem Ofen, der dos trauliche, enge Stübchen mit behag-
licher Wärme erfüllte. Sie ſah ſehr jung aus, ſo jung,
daß es faſt unmoͤglich ſchien, dies holde Weſen habe be-
reits die höchſte Wonne und den hoͤchſten Schmerz des
Weibes erfahren. Sie war von jener lieblichen, ſanften
blumengleichen Schönheit, die ſonſt nur dem Kindesalter
eigen iſt. Man konnte kaum glauben, daß das ſchwarze
Gewond, welches ihre zarte Geſtalt anmuthig umſchloß,
dem Andenken des verſtorbenen Gatten galt, und daß
die herrliche Lockenfülle noch vor Kurzem von dem dich-
ten Wittwenſchleier bedeckt war. Wohl hatte ſie qual-
volle Tage und ſchlafloſe Nächte durchlebt, aber ſie hat-
ten keine Spuren in dies junge, ſchöne Antlitz gegraben.
Es lag ein lieblicher, ſinnender Ernſt in ihrem geſenk-
ten, von langen, dunkeln Wimpern umſchatteten Blick, in
ihrem feſt geſchloſſenen Munde, aber die zarte Färbung
ihrer Wangen war friſch und blühend und nicht eine
einzige Furche auf ihrer reinen Stirn bekundete das tiefe
Herzeleid geſtörter Hoffnungen. Ihr Verlobter ſaß ne-
ben ihr auf einem niedrigen Seſſel ihr faft zu Füßeu.
Es war ein ſeltſom⸗r Kontraſt zwiſchen ihrer zarten,
jugendlichen Schönheit und ſeinem männlichen, düſtern
Ernſt, der ihn viel älter erſcheinen ließ, als er wirk-
lich war.
„Laß uns den Fünfzehnten feſtſetzen, Elsbeth“, bat
er, „das Leben iſt ſo kurz und die Qual der letzten vier
Jahre war mehr, als ich ertragen konnte. So lange
Ou nicht ganz mir gebörſt, verzehre ich mich in banger
Sorge.“
„Aber was kann Dich ſo beunruhigen?“ fragte ſie.
„Ich weiß es ſelber nicht! Ich zittere vor Allem!
Schon als Schulknabe bildete ich mir immer ein, wenn
irgend ein Feſt herannahte, ich würde es nicht mehr er-
leben. Ebenſo geht es mir jetzt mit unſerem Hechzeits-
tage.“
„Beſtimme Alles, wie Du willſt, Robert“, ſagte
Elsbeth weich und ſchüchtern. „Ich liebe Dich und Du
ahnſt nicht, welcher Troſt und welche Zuverſicht in dem
Gedanken für mich liegt, an Deiner Seite ein neues
Leben zu beginnen; beſchirmt durch Deine Liebe und ganz
erfüllt von der Sorge für Dein Wohl! Ach, ich war
ſo lange verlaſſen und unglücklich.“
Thränen füllten ihre Augen und rollten langſam
über ihre Wangen herab.
Er ſchloß ſie feſt in ſeine Arme und rief Gott zum
Zeugen an, daß keine Wolke ihren Himmel je trüben
ſolle, wenn ſie erſt ſein Weib ſein würde; er gelobte ihr,
daß, ſoweit es in ſeiner Macht läge, ihr ganzes künfti-
ges Leben nur einem ſonnigen Frühlingstage glei-
chen ſolle. Sein Ungeſtüm ſchien ſte zu erſchrecken; ſie
machte ſich bebend los von den ſie feſt umſtrickenden Ar-
men und wich ſcheu von ihm zurück.
„Sprich nicht ſo“, ſagte fie; „Du ängſtigſt mich.
Wer kann wiſſen, was der Himmel über uns verhängt
hat. Ich babe gelernt, nicht zu feſt auf Glück zu rech-
nen und nicht über die Zukunft zu grübeln, denn ſie
liegt außer unſerer Macht.“ ö
ö CFortſetzung folgt.)
Verleugnunet.
(Schluß.)
„Sie haben einen unglücklichen Zeitpunkt gewählt,
aber Ihr Wunſch iſt mir heilig, und ich werde Wera
darauf vorbereiten, ihre Mutter zu begrüßen. Bis jetzt
wußte ſie nicht einmal, daß ſie nicht mein leibliches Kind
tſt. Ich hatte mich bisher nicht entſchließen können, es
ihr mitzutheilen. Aber einmal und gerade jetzt, ehe ſie
mein Haus verließ, hätte ſie es doch erfahren müſſen.
Warten Sie einen Augenblick, ich bin bald zurück.“
Es vergehen lange, lange Minuten. Ob das bleiche
Weib dort, das erwartangspoll und ängfilich horchend
den Kopf auf die Hand geſtützt hat, die Pendelſchwin-
gungen der Wanduhr drüben zählt? *
Unverwandt hat ſie den Blick auf die Thür geheftet,
durch welche ihr Kind kommen muß. Bewegungslos
horcht ſie nach jener Seite hin; was ſollts ſie aber dort
kören? Weite Säle und feſtſchließende Thüren trennen
Mutter und Kind, — vielleicht noch mehr.
Endlich geht die Thüre auf und die alte Dame trat
wieder ein. ö
Doch der Blick des bleichen Weibes bleibt noch im-
mer an der wieder verſchloſſenen Thür haften, aber ſie
öffnet nicht von Neuem.
Lebe Fran⸗ „ſazt mitleidigen Tones die Gräfin,
„ſeien Sie nicht traurig! — Wera will Sie nicht ſehen!
Ich habe ihr Alles offenbart und ſie ſitzt jetzt dort in
ihrem fröhlichen Brantſchmuck und weint. Aber ſie will
Mittlerweile war die Abendmahlzeit Leendet; der Pa-
ſtor klingelte dem Mädchen, damit fie ihm die Studir-
lam pe in ſeinem Zimmer anzünde und die Frau Paſtorin
ſetzte ſich mit gevohntem Eiſer an ihre Handarbeit, ihre
Gedanken blieben aber mit der traurigen Geſchichte be-
ſchäftigt, in der ſoehen ein neuer Abſchnitt begonnen
hatte.
It deſſen hatten die beiden Menſchen, deren Schick-
ſah alle Gemüthrr in Eſtebrügge ſo in Aufregung ver-
ſetzte, die ganze Welt über ihr eigenes Glück vergeſſen.
Eliſabeth hatte faſt ihr ganzes, kurzes Leben in dem
ſogenannten „alten Pfarrhure“ verbracht, einem male-
riſchen, epheuum wachſenen klinen Häuschen neben dem
Kirchhofe. Hier haite ihre Großmutter, die Mutter des
früheren Predigers, ſie als hilfloſe Waiſe bei ſich auf-
genommen; hier hatte ihr junger Gatte ſie zuerſt ge-
ſehen, ihr uyſchuldiges Herz gewonnen, ſie jubelnd die
Seine genannt, und das Alles im Sturm, während eines
vierzehntägigen Aufenthaltes; hier hatte ſie gehofft und
gezagt während jener Reiſe, die ſo verhängnißvoll für ſie
enden ſollte; hier hatte ſie als junge Wittwe um ihn
getrauert, anfangs keſchirmt durch die liebevolle Sorge
ihrer Großmutter, und dann, als der Tod ihr auch
dieſes treue Herz genommen, ganz verlaſſen und allein;
hier ſaß ſie auch jetzt auf einem niedrigen Seſſel, nahe
dem Ofen, der dos trauliche, enge Stübchen mit behag-
licher Wärme erfüllte. Sie ſah ſehr jung aus, ſo jung,
daß es faſt unmoͤglich ſchien, dies holde Weſen habe be-
reits die höchſte Wonne und den hoͤchſten Schmerz des
Weibes erfahren. Sie war von jener lieblichen, ſanften
blumengleichen Schönheit, die ſonſt nur dem Kindesalter
eigen iſt. Man konnte kaum glauben, daß das ſchwarze
Gewond, welches ihre zarte Geſtalt anmuthig umſchloß,
dem Andenken des verſtorbenen Gatten galt, und daß
die herrliche Lockenfülle noch vor Kurzem von dem dich-
ten Wittwenſchleier bedeckt war. Wohl hatte ſie qual-
volle Tage und ſchlafloſe Nächte durchlebt, aber ſie hat-
ten keine Spuren in dies junge, ſchöne Antlitz gegraben.
Es lag ein lieblicher, ſinnender Ernſt in ihrem geſenk-
ten, von langen, dunkeln Wimpern umſchatteten Blick, in
ihrem feſt geſchloſſenen Munde, aber die zarte Färbung
ihrer Wangen war friſch und blühend und nicht eine
einzige Furche auf ihrer reinen Stirn bekundete das tiefe
Herzeleid geſtörter Hoffnungen. Ihr Verlobter ſaß ne-
ben ihr auf einem niedrigen Seſſel ihr faft zu Füßeu.
Es war ein ſeltſom⸗r Kontraſt zwiſchen ihrer zarten,
jugendlichen Schönheit und ſeinem männlichen, düſtern
Ernſt, der ihn viel älter erſcheinen ließ, als er wirk-
lich war.
„Laß uns den Fünfzehnten feſtſetzen, Elsbeth“, bat
er, „das Leben iſt ſo kurz und die Qual der letzten vier
Jahre war mehr, als ich ertragen konnte. So lange
Ou nicht ganz mir gebörſt, verzehre ich mich in banger
Sorge.“
„Aber was kann Dich ſo beunruhigen?“ fragte ſie.
„Ich weiß es ſelber nicht! Ich zittere vor Allem!
Schon als Schulknabe bildete ich mir immer ein, wenn
irgend ein Feſt herannahte, ich würde es nicht mehr er-
leben. Ebenſo geht es mir jetzt mit unſerem Hechzeits-
tage.“
„Beſtimme Alles, wie Du willſt, Robert“, ſagte
Elsbeth weich und ſchüchtern. „Ich liebe Dich und Du
ahnſt nicht, welcher Troſt und welche Zuverſicht in dem
Gedanken für mich liegt, an Deiner Seite ein neues
Leben zu beginnen; beſchirmt durch Deine Liebe und ganz
erfüllt von der Sorge für Dein Wohl! Ach, ich war
ſo lange verlaſſen und unglücklich.“
Thränen füllten ihre Augen und rollten langſam
über ihre Wangen herab.
Er ſchloß ſie feſt in ſeine Arme und rief Gott zum
Zeugen an, daß keine Wolke ihren Himmel je trüben
ſolle, wenn ſie erſt ſein Weib ſein würde; er gelobte ihr,
daß, ſoweit es in ſeiner Macht läge, ihr ganzes künfti-
ges Leben nur einem ſonnigen Frühlingstage glei-
chen ſolle. Sein Ungeſtüm ſchien ſte zu erſchrecken; ſie
machte ſich bebend los von den ſie feſt umſtrickenden Ar-
men und wich ſcheu von ihm zurück.
„Sprich nicht ſo“, ſagte fie; „Du ängſtigſt mich.
Wer kann wiſſen, was der Himmel über uns verhängt
hat. Ich babe gelernt, nicht zu feſt auf Glück zu rech-
nen und nicht über die Zukunft zu grübeln, denn ſie
liegt außer unſerer Macht.“ ö
ö CFortſetzung folgt.)
Verleugnunet.
(Schluß.)
„Sie haben einen unglücklichen Zeitpunkt gewählt,
aber Ihr Wunſch iſt mir heilig, und ich werde Wera
darauf vorbereiten, ihre Mutter zu begrüßen. Bis jetzt
wußte ſie nicht einmal, daß ſie nicht mein leibliches Kind
tſt. Ich hatte mich bisher nicht entſchließen können, es
ihr mitzutheilen. Aber einmal und gerade jetzt, ehe ſie
mein Haus verließ, hätte ſie es doch erfahren müſſen.
Warten Sie einen Augenblick, ich bin bald zurück.“
Es vergehen lange, lange Minuten. Ob das bleiche
Weib dort, das erwartangspoll und ängfilich horchend
den Kopf auf die Hand geſtützt hat, die Pendelſchwin-
gungen der Wanduhr drüben zählt? *
Unverwandt hat ſie den Blick auf die Thür geheftet,
durch welche ihr Kind kommen muß. Bewegungslos
horcht ſie nach jener Seite hin; was ſollts ſie aber dort
kören? Weite Säle und feſtſchließende Thüren trennen
Mutter und Kind, — vielleicht noch mehr.
Endlich geht die Thüre auf und die alte Dame trat
wieder ein. ö
Doch der Blick des bleichen Weibes bleibt noch im-
mer an der wieder verſchloſſenen Thür haften, aber ſie
öffnet nicht von Neuem.
Lebe Fran⸗ „ſazt mitleidigen Tones die Gräfin,
„ſeien Sie nicht traurig! — Wera will Sie nicht ſehen!
Ich habe ihr Alles offenbart und ſie ſitzt jetzt dort in
ihrem fröhlichen Brantſchmuck und weint. Aber ſie will