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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 44 - Nr. 51 (3. Juni - 28. Juni)
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17⁰

aus. Friſche Blumenſträuße urd blüberde Topfgewächſe
erfüllten den Raum mit lieblichem Duft und Elsbeth
ſaß im hellen leichten Sommerkleid am offenen Fenſter.
Sie ſtieß einen Schrei aus, als ſie plötzlich ihren Ro-
bert gänzlich ermattet, mit verſtörten Mienen vor ſich
ſah. Raſch ſagte er ihr:
„Ich habe keine Minute Zeit; ich komme nur, um
Dir zu ſagen, daß meine Befürchtungen von heute früh
nur zu begründet waren. Dalber's Kinder haben wirk-
lich das Scharlach fieber und zwar im allerhöchſten Grade.
Der arme kleine Junge iſt ſchon todt und die vier An-
dern ſchweben in höchſter Gefahr. Dieſe leichtſinnigen
Menſchen ſchicken ja nie früher zum Arzt, als bis es
zu ſpät iſt.“
„Ach, wie leid thun mir die Aermflen!“
„Ja, es iſt ſehr traurig, und das Schlimmſte iſt,
daß die Krankheit mit der größten Heftigkeit um ſich
greifen wird, denn bei der Enge und Ueberfülltheit all
der kleinen Wohnungen exiſtirt gar keine Moͤglichkeit,
der Anſteckung Ei ihalt zu thun. In der Umgegend iſt
das Fieber ſchon vor acht Tagen aufzetreten.“
„Da gehſt Du alſo einer ſchweren Zeit entgegen?“
„Einer ſehr ſchweren. Ich habe bereits nach Lüne-
burg um Hilfe geſchrieben, aber bis ſie eintrifft, liegt
die ganze Laſt auf mir.“
„Warte keinesfalls mit dem Eſſen auf mich.“
„Kannſt Du denn nicht einen Augenblick herein kom-
men und ſchnell Etwas nehmen? Nein? Nun dann
vielleicht wenigſtens ein Glas Wein?“ Aber durch ein
haſtiges Kopfſchütteln wurde ſie mit ihren Vorſchlägen
abgewieſen. ö
„Ich brauche gar nichts; thue mir die einzige Liebe
Bet warte richt auf mich, ſondern geh' ganz ruhig zu
ette.ꝰ
„Kann ich denn gar nichts für die armen Leute
thun? Brauchen ſie denn gar nichts?“
„Gar nichts? Es fehlt ihnen aun Allem. Geh' zur
Pafiorin Horn und berathe mit ihr, was ſich zaͤr Er-
leichte ung und Pflege der Kranken und zur Unterſtütz-
ung und Kräftigung der Geſunden thun läßt. Nur um
Eins bitte ich Dich; was auch vorfallen mag, ſetze Dich
nicht der leiſeſten Gefahr aus; vergiß keinen Augen-
lick die Sorge für Dein theures Leben.“
Nan folgten zwei ſchwere Monate, in denen Els-
beth thren Mann faſt gar nicht zu ſehen bekam, deſto
öfter aber von allen Seiten mit Bewunderung und
Dankbarkeit von ihm reden hörte. Er hatte einen har-
ten Kampf mit jener bösartigen Krankheit zu beſtehen
und er führte alle Waffen, die ihm Wiſſenſchaft, eigener
Scharffinn und unermüdliche Aufopferung darboten,
gegen ſie zu Felde. Obſchon ihm anfänglich keine Aſſi-
flenz zu Theil geworden war und die an ihn geſtellten
Anfoꝛd.rungen die Kräfte jedes Menſchen zu überſteigen
ſchienen, ſo wurde doch Niemand ron ihm vernachläſſigt;
keinen einzigen Mißgriff konnte man ihm vorwerfen,
Niem ind über Haſt oder Oberflächlichkeit bei ſeinen Be-
ſuchen klagen und Viele wurden durch ſeine geſchickte

Behandlurg dem unvermeidlich ſcheinenden Tode ent-
riſſenr. Es hatte den Anſchein, als bedürfe er weder
Schlaf noch Nahrung, und ſelbſt als endlich der lang-
erſehnte Beiſtand aus Lüneburg eintraf, betrat Doͤrn-

burg ſein Haus nur, um ein frugales Mahl einzuneh-

men, oder um einige Stunden zu ſchlafen, vor Allem
aber, um ſeine Frau zu umarmen und ein paar herz-
liche Worte von ihr zu hören, was ihm nach ſeiner
RuO. unentbehrlicher ſchien, als Nahrung und
Ruhe.
Mit den kühlen Tagen des Octobers nahm auch die
Gefährlichkeit der Epidemie wieder ab; die Erkrankun-
gen wurden immer ſeltener und die Leidenden genaſen
raſch wieder. Die Paſtorin hatte für Beſchaffung der
Arzneien geſorgt, während Elsbeth Nahrungsmittel au
die Geſunden vertheilt hatte; jetzt fanden Beide es für
beſſer, mit vereinten Kräften für ſtärkende Koſt zu ſor-
gen, da die Geneſenden ebenfalls der Kräftigung be-
durften und die Apotheke immer weniger in Anſpruch
genommen wurde. Endlich erklärte Döͤrnburg eines
Nachmittags beim Nachhauſekommen, daß wenn nicht ein
neuer, dringender Fall ihn riefe, er heute das Haus
nicht mehr zu verlaſſen brauche, was Elsbeth mit wah-
rem Jubel vernahm.
„Wenn Du ſchon zu Mittag gegeſſen haft, Els-

aeth, ſo mache Dir meinetwegen keine Umſtände; Thee

iſt mir lieber als alles Andere“, ſagte er weggehend.

Als er in das Wohnzimmer zurückkam, fand er es hell

erleuchtet und angenehm durchwärmt. Die Vorhänge
waren herabgelaſſen, um das trübe, nebelige Zwielicht
auszuſchließen; der Lehnſeſſel war an den Ofen gerückt
und auf einem Nebentiſchchen prangte das elegante Thee-
ſervice, das Elsbeth ſonſt nur bei feſtlichen Gelegen-
heiten benutzte. Sie kniete vor dem Ofen, um das Feuer
zu ſchüren und ſah lieblicher aus als je in ibrer an-
muthigen Geſchäftigkeit und hell beſtrahlt vom röthlichen
Schein des Feuers. Das Ganze kot ein ſo freund-
liches Bild behaglicher Häuslichkeit dar, daß Robert ſich
mit vollem Wonnegefühl der langentbehrten und wohl-
verdienten Ruhe erfreute, als er ſich tiefathmend in
ſeinen bequemen Lehnſeſſel uiederließ.
„Ich danke Dir“, ſagte er, als ſeine Frau dicht
neben ihn ein Tiſchchen mit einem verlockenden, kleinen
Mahle ſchob; „eigentlich ſollte ich Dich, nicht aker
Du mich bedienen, geliebtes Herz! Es iſt eigenthüm-
lich, wie abgeſpannt ich mich heute fuͤhle.“
„Kein Wunder! Aber Du biſt dech bloß ange-
griffen, Du fühlſt Dich doch nicht unwehl?“ fragte ſie
plötzlich mit erwachender Sorge. „„
„Mein Gott, Robert, wie glüht Oeine Stirn!“
Vergebens hatte Trina ihre ganze Koch kunſt aufge ⸗
boten; er berührte die Speiſen kaum, und arſtand end-
lich, daß es ihm jetzt unmöztich ſei, etwas zu genießen.
„Sieh mich nicht ſo ängſilich an“, ſagte er zu Els-
beth. „Mein Appetit wird ſich ſpäter ſchon einſtellen.“
„Ich kann meiner kindiſchen Aengſtlichkeit nun ein-
mal nicht Herr werden“, entgegnete ſie, „Fobſchon es
 
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