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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 52 - Nr. 60 (1. Juli - 29. Juli)
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Auge keine Vewer ung. Sie war in ihrem Forſchen nicht
ermüdet; eine Ahr und, feſt und ſicher wie das Bewußt-
ſein, die Nacht müſſe Ereigr iſſe, müſſe ein Unglück brin-
gen, erhielt ihre Aufmerkfamkeit, ihre Spannung leben-
dig. War um es ihr ſo war, ſie wußte es nicht. Wie
oft ſchwere Ahnungen die Bruſt ſo zuſammenziehen, ohne
daß man ſich Rechenſchaft darüber zu geben vermag!
Halb zwölf zeigten die Schläge der Schloßuhr an. Eine
Minute ſpäter regte ſich etwas auſ dem Schloßhofe.
In der langen Reihe von Nebengebäuden trat un-
ter einer Thür eine Geſtalt hervor.
Ob die Thür unmittelbar vorber war geöffnet wor-
dev, oder ob ſie ſchon längere Zeit offen geſtanden hatte,
die Kammerfrau wußte es nicht; ein Geräuſch des Oeff-
nens hatte ſie nicht verr ommen. Vielleicht war ſie nicht
geöffnet; und die Geſtalt hatte nur dicht an der Pforte
geſtanden. ö
Der Hervortretende blieb vor der Thür ſtehen, in
der Abſicht wehl, bevor er ſich weiter begebe, umher zu
ſchauen, ob Jemand auf dem Hofe ſei, ob er beobachtet,
bemerkt werde.
Wer kann es ſein? fragßte die Frau Erhard ſich.
Sie wußte auch rur auf eine Vermuthung verzichten;
ſie konnte nicht einmal unterſcheider, ob fſie eine Mannes-
oder eine Frauersperſon ſehe.
Eine Minute war verfloſſen, die Geſtalt mußte nichts
Verdächtiges wahrgenommen heben. Sie trat vor.
Ein Frauerzimmer! Aber wer kann ſie ſein. Wer
wohnt denn dort?
Die Frau Erhardt ſayn nach, ſuchte die Finſterniß
zu durchbohren, um Züge des Geſichts, nur eine Form
der Geſtalt erkennen, nur errathen zu können. Es war
vergebens. Ihre Phantafie wurde thätig.
Die Polin! rief ſie dann pletzlich.
Aber ſie erſchrack raſch vor dem Gidanken.
Wie ſollte ſie dorthin kommen?
Wer ſollte ſie aufgenommen haben?
Die urbekannte Frauengeſtalt war weiter in den
Hof geſchritten, langſam, vorſichtig, unzweifelhaft in die
Finſterniß hinein ſpähend, in die Stille hinein horchend.
Sie vernahm auch ferner nichts. Sie hielt ſich dennoch
in der Nähe der Häuſerreihe, wo ſie mit jedem Schritte
irgend einen Verſteck finden konnte. Sie hatte das Ende
der Reihe erreicht.
Die Blicke der Kammerfrau waren ihr Schritt für
Schritt gefolgt. ö
Wohin wird ſie jetzt ſich wenden?
Die Geſtalt ſtand wieder, wieder kaum eine halbe
Minute.
Dann wandte ſie ſchnell von der Häuſerreihe ſich ab,
durchflog den Hof, eilig, wie ſchwebend, nach der Park-
ſeite hin, erreichte die Reihe der in den weißen und
grünen Kübeln aufgeſtellten Orangenbäume, wollte an
ihnen vorüber eilen, ſtieß bei den erſten einen unter-
drückten Schrei aus, ſchien zurückfliegen zu wollen, eilte
weiter, war den Augen der Kammerfrau entſchwunden.

Die Frau Erhardt hotte iretz dem Klopfen ihres

pfing, hatte keinen beſtellt.

Herzens den Schrei gehört. Die Stille der Nacht hatte
einen leiſeren Laut aus weiterer Ferne zu ihr hinaufge-
tragen. Sie erſchrack mit der Geſtalt, die ihn ausſtieß.
Aber er war ihr kein Erkennungszeichen geworden.
Die Polin? fragte ſie ſich nor noch einmal.
Ihre Aufmerkſamkeit mußte ſich etwas anderem zu-
wenden. — ö
Vom Schloſſe her kam plötzlich mit raſchen Schritten
Jemand, der eleichfalls das Aufſchreien gehört haben
mußte. Die Kammerfrau erkannte ihn: es war die
große breitſchulterige Geſtalt des Wachtmeiſters. Er eilte
mit ſeinem raſchen Schritt dem Parke zu, den Orange-
riebäuwen, in denen die Frauengeßalt verſchwunden war;
auch er verſchwand dort.
Die Frau Erhard blickte, horchte ihm mit ihrem
klopfendem Herzen nach. Nicht lange mußte ſie das.
Nach kaum einer Mir ute ſah ſie den Mann zurückkom-
men; er girg langſam, wie ſuchend nach allen Seiten
um ſich blicken d. ö ö
Er hat im Park nichts mehr gefunden, ſagte ſich die
Kammerfrau. ö ö ö
Sie hatte einen Entſchluß gefaßt. Sie öffnete des
Fenſter, an dem ſie ſtand, ſo leiſe wie möglich. Durch
die Stille der Nacht mußte er ſie dennoch höͤren.
Er ſtand, ſchaute zu dem Fenſter hinauf, trat näher.
Ich komme! flüſterte ſie hinunter. ö
Sie verſchloß das Fenſter, verließ ihr Stübchen,
deſſen Thür ſie binter ſich nur anlegte, ftieg faſt unhoͤr⸗
bar die Treppe hinunter.
Es begegnete ihr Niemand; kein Geräuſch traf ihr
Ohr, kein Lichtſchein ihr Auge. Das ganzu Schloß lag
in Ruhe; nur ſie allein wachte.
Einen Wächter hatte das Schloß nicht, der topfere
General Waldern kannte keine Furcht, ſo durfte Nie-
mand in ſeinem Hauſe ſie kennen.
In den Gängen, Korridors, auf den Treppen brannte
niemals in der Nacht ein Licht. ö ö
Die Frau Erhardt ſtieg bis in das Parterre hin-
unter; hier begab ſie ſich in die Portierloge, die immer
offen ſtand.
Auch einen Portier hatte das Schloß nicht; vor der
Ankunft des Generals hatte das unbewohnte Schloß
ſeiner nicht bedurſt; der General, der nur Beſuch em-
Ein kleines Fenſter der Loge führte auf den Hof.
Die Frau öffnete es.
Der Wachtmeiſter ſtaud
Worte gehört, verſtanden. ö
Sie ſuchen Jemanden, Herr Wachtmeiſter? fragte
ihn die Frau.
Ja! antwortete er raſch.
Eine Frau oder einen Mann?
Er zoͤgerte mit der Antwort.
Ich könnte Ihnen vielleicht Auskunft geben, Herr
Wachtmeiſter! ö
Der finſtere und zugleich offenbar mißtrauiſche alte

darunter. Er hatte ihre zwei
 
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