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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 61 - Nr. 69 (2. August - 30. August)
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250

Um elf Uhr fuhr der Präſident zum General.
Mein verehrter Freund, ſie ſehen eiren verlorenen
Mann vor ſich. ö
Ich denke, Sie werden heute Miniſter!
Oder zum Kirchhof getragen!
Ecklären Sie mir! Indeß erſparen wir das uns Bei-
den. Wie kaun ich Ihnen helfen? Doch nein, auch das
nicht! Laſſen Ste mich Ihnen mit einer Bitte zuvorkom-
men. Gewähren Sie mir das Herz Helenens!
Der Präfldeut drückte den General an ſein Herz,
küßte ihm beide Wangen!
Mein theurer, mein alter Freund, Helene liebt Sie,
empfangen Sie meinen Segen.
Zwei Worte noch, ſagte der General, und er wurde
ſtrenge, wie nur ein alter Soldat es werden kann. Ich
habe jetzt eine Pflicht und ein Recht, offen mit Ihnen
zu ſprechen. Helene iſt ein reines, unſchuldiges Kind.
Sie darf in Ihrem Hauſe nicht verdorben werden.
Es waren gewichtige Worte.
Der Präſident hatte keine Erwiderung auf ſie.
Der General fuhr in einen verbindlichen Tone fort:
Sie werden mit dem nächſten Zuge zur Refidenz
fahren, aus den Händen des Königs Ihr Miniſterpatent
zu empfangen. Dorf ich Sie bitten, duſe Anweiſung auf
meinen Bankler mit ſich zu nehmen? Wären Sie mir
nicht zuvorgekommen, ſo war ich jetzt bei Ihnen, das
Papier Izneu zu überreichen. ö
Er übergab dem Präſidenten ein Papier.
Der Präfident nahm es mit ſtummen Danke.
Er war an demſelben Tage Miniſter.
Acht Wochen ſpͤter war der General Graf Waldern
ſein Stwiegerſohon.
Am Tage der Hochzeit begab das Paar ſich auf Rei-
ſen. Zam Anfauge des Winters kehrten ſie zur Reſi-
denz zurück.
Als die Wintervergnuügungen des Reſidenzlebens be-
ginnen ſollten, zog der General wit ſeiner jungen Ge-
mahlin nach Schloß Romnſcke an der ruſfiſchen Grenze.

3. Die Polin und Andreas.

Der Mord auf Schloß Romnike wurde ollgemein
als ein politiſcher Mord aufgefaßt, kot auch ſo noch man-
ches Rätzſel zafte dar. Weiterts Licht über ihn wäre
nur durch die Ausſage der Gräfin Waldern und des
alten Wachtmei ers Taudien zu gewinnen geweſen. Aber
der Geiſt der unglücklichen Dame blieb umnachtet, und
der alté Soldat verweigerte jede Auskunft, blieb dabei,
er wiſſe von Nichts, und wenn man ihn auch vor ein
Kriegsgericht ſtell»,‚ um ihn erſchießen zu laſſen, ee könne
nicht anders ſprechen. Dem Gerichte blieb nichts anderes üb-
rig, als die Geneſung der Einen, die Sinner änderung des
Anderen abzuwarten. Die Gräfin werde geneſen, glaub-
ten die Aerzte verſichern zu dürfen. Der Wachtmeiſter
wolle nur nicht ſprechen und waͤhrſcheinlich nur jetzt nicht,
glaubte der Gerichtshof annehmen zu dürfen.
Der Zufland der Gräfin war ein bedauernswerther.

Körperlich war ſie geneſen. Aber ihr geſammtes Denk-
und Empfindungsvermögen erſchien gelähmt. Sie haite
für nichts Sinn war für nichts zugänglich. Sie alich
einem blödſinnigen Kinde, des zu der geringſten Thätig-
keit angehalten werden muß, und dann zwar willig, aber
muchaniſch thut, was man von ihm verlangt. So nahm
ſie Trank und Speiſe, ſo ließ ſie fich zu Bette bringen,
erhob ſie ſich winder von ihrem Lager, ließ ſie ſich avs;
und ankleiden.
Dabei legte ſie gleichwohl einzelne Eigenheiten, wenn
man well: einen Eigenſinn, an den Tag. Nur die Frau
Erhard durſtenm ſie ſeis; kein Anderer durfte ſich nahen.

War ein Dritter zugegen, glaubte ſie nur Jemand in

der Nähe, ſo war ſie völlig regungslos; fie that nichts
ron dem, was von ihr verlaugt wurde. Redete die Frau
ihr zu, ſo erwiederte ſie nur: Ich will allein mit Dir
ſein, Mariapne! Ich will keinen Anderen ſehen, Keinen!
Man mußte ihr nachgeben, um ihrer Geſundheit n illen;
ſie hätte nichts genoſſen. ö ö ö
So war es lange mit ihr. ö ö ö ö
Der Mord auf Romnike war bald bekannt im Lande
geworden; die Zeitungen verbreiteten die Nachricht ſchnell
weiter. ö
Die umſichtige Frau Erhard hatte Zeit gefunden, ihn
ſofort der Gräfin Randow zu berichten, mit dem Ver-
ſprechen, über das Beſinden Helenens täglich weitere
Mittheilung zu machen. Sie fand auch dazu Zeit, ſie
berichtete wahrheitsgetreu. Weder der Graf Randow er-
ſchienen auf Romnike, noch die Gräfin. Dee Graf war
als Miniſter zu ſehr mit Geſchäften üb⸗rhäuft. Die
Eräfin ſchrieb der Frau Erhard, ſie fürchte, daß ihr An-
blick auf die Unglückl'che einen nachtheiligen Eindruck her-
vorbringen möge. Hatte ſie nicht Grund zu dieſer Be-
fürchtuug? Der Frau trug ſie zugleich auf, ihr ſofort
Nachricht zu geben, ſobald ſie glaube, idre Erſcheinung
könne von einem wohlthätigen Einfluß auf die Kranke
ſein; ſie ſolle dieſerhalb mit dem Arzte Rückſprache neh-
men. Allein auch der Arzt durfte der Kranken ſich nicht
nahen, und die Frau Erhardt hatte wohl manche Veran-
leſſung aus älterer und aus neuerer Zeit, gerade die
Mutter von der Tochter fern zu halten.
Der Zuſtand der jungen Gröfin drohte bedenklicher
zu werden. Der General hatte noch vor ſeiner Abreiſe
nach Romnike in der Reſidenz ein Teſtament errichtet,
deſſen Inhalt Niewand kannte. Es mußte nach ſeinem
Tode eröffnet werden. Nach ſechs Wochen geſchav dies.
Der Verſtorbene hatte ſein ganzes Vermögen ſeiner Wittwe
vermacht; nahe Arverwandte binterließ er nicht; den ent-
fernteren, die ſelbſt wohl ſituirt waren, ſollten nur Ver-
mächtniſſe zu geringen Beträgen ausgezahlt werden. Der
Schwiegerdater, der Namens ſeiner Tochter ei der Er-
oͤffrung hatte zugeßen ſein wüſſen, hatte ein Gefühl der
Beſchämung nicht zun nterdrücken vermocht. Als er ſeiner
Gattin die Nachricht brachte, ihre Tochter ſei jetzt die
reichſte Fraun im Lande, batte die Dame nur die Bemer-
kung: Scgadr, daß die Arwe nie Gebrauch von dem ko-
leſſalen Rrichthum wird machen können!
 
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