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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 78 - 90 (4. October - 31. October)
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306

„Ich glaubte, wir würden Mondſchein hoben. Aber
es muß auch ſo gehen.“
Wieder lehnte ſich der Onkel gemüthlich in die Ecke
zurück und ſchloß die Augen. Fedor und Paula unter-
hielten ſich zuſammen nach Art der Liebender, ohne ein
Wort dabei zu ſprechen. Zwar anbleckin konnten ſie
(igander nicht, deun es herrſchte beinahe völlige Dunkel-
heit im Wagen, aber können nicht ein Hauch, ein Seuf-
zer, eige Hand, die in einer andern ruht, mehr ſagen, als
tazſend Worte? Da kam eine unerwa tete Störung.
Diesmal war Oakel Conſtautin die Urſache.
„Mein lieber Fedor Petrowiſſch“, rief er aus ſeinem
Halbſchlummer in die Hözhe fabrend, — haben Sie Ihre
Vorſichtsmaßregeln getrofſen?“
„Welche Vorſichtsmaßregeln?“ frug der Angeredete
überraſcht. ö
„Nun, wir reiſen bei Nacht durch die einſane Haide
und Sie fragen noch! Ich meine, ob Sie auch Waffen
bei ſich tregen?“
„Nein, ich bin nicht bewaffnet“, erwiderte der jange
Mann mit etwas veränderter Stimme.
„Hm, hm“, machte Onkel Conſtantin, — „zlücklicher-
weiſe habe ich meinen Revolver bei mir.“
„Fürchteſt Du eine Gefahr für urs?“ unterbrach ihn
Paula än zfilich.
„Das nicht, aber ich bin ein vorſichtiger Mann und
liebe es, auf alle Eventaclitäten rorbereitet zu ſein. Sie
wiſſen doch“, fügte er flüſternd hinzv, ſich zu dem jar-
gen Manne herabbeugend, „daß wir die ganze Mitzsift
meiner Nichte, fünfzigtauſend Robel, im Wagen mit uns
führen, damit ich Ihnen dieſelbe, wie wiſchen uns ver-
verabredet, morzen ſogleich nach der Trauung einhä di-
gen kann?“
„Ich habe leich nicht daran gedacht, das Geld hat
für mich ſo werig Werth“, antwortete der ſchöne Fedor,
die Hand ſeiner Braut drückend.
„Nicht daran gedacht — und haben wir doch ge-
holfen, es aufzuladen“, brummte der alte Herr. ö
„Wie ?
„Di? Caſſette hier zu unſern Füßen
„Wirklich? Ich wußte es nicht“
Oakel Conſtantin runzelte finfter die buſchigen Brauen
und zog ſich in ſeine Ecke zurück, um ſeine Verſtimmung
zu verbergen Die Verlotten fingen ihre ſtumme Un-
jerhaltung wieder au. Aber ſei es, daß die Furcht ſich
ihrer bemächtigt batte, ſei s, daß eine düſtere Ahnung
ihre Herzen beſchlich — es herrſchte nicht mehr die näm-
liche Harmonie unter ihnen, wie vorher. Paula fühlte
eine unbeſtimmte Unruhe, die ihren Herzſchlag beſchleu-
nigte; Fedor blickte unve wandt zum Fenſter hinaus
über die in Nebel verſchwimmende Haide hin und der
Onkel ſchlief nur noch mit offeneu Augen. Jetzt näherte
ſich das Gefährt eiser Baum gruppe, die einen roh zu-
gehauenn Gedenkſtein umgab. Kein Geräuſch war in
der nächtlichen Stille hörbar als das Klappern der Huſe
und das Rollen der Räder.

fahrtsthore einer einſam gelegenen Datſche.

„Onkel“, ſchrie da Paula auf, ſeine Hand krampf-
haft umſchlingend — „ſahſt Du Nichts?“
„Du biſt nervös, Kind“, ſagte er — „die dunkeln
Bäume haben Dich erſchreckt, was ſollte ich...“
Er hatte keine Zeit, zu vollenden. Es war, als ob
der Schrei des Mädchens das Unheil herbeigerufen hätte.
In einem Nu war der Wazen umningt, die Pferde,
denen eine kräſti e Fauſt in die Zügel fiel, aufgebalten.
Der Kutſcher ſprang vom Bocke herunter und warf ſich,
um Grade flehend, neben ſeinen Pferden auf die Knie
vieder. Feodor Petrowitſch ſchien in eine Bildſäule ver-
wandelt; Panla verbarg ihr G ſicht ig den Händen und
der alte Herr ſchoß ſeicen Revolber ab, ohne Jemand zu
treffen. Die Reiſenden mußten ſich ergebe“. Der Wa-
gen wurde durchſucht, die koſtbare Caſette entdeckt und
von einem der Räuber guf's Pferd genemmen. Dann
ertörte eir kurzer Pfiff und die ganze Bande verſchwand.
Um dbie koſtbarſte Laſt erleichtert, ſetzte der Wagen ſeine
Reiſe fort. Stumm und trübſelig ſaß die kleine Ge-
ſellſchaft in dem engen Raume, das ſüße Zwiegeſpräch
zwiſchen den beiden Verlobten begann nicht wieder. Pau-

's Herz zog ſich krampfhaft zuſammen, nicht aus

Schmerz über den Verluſt des Geldes, ſondern aus
Furcht, einen ſchrecklichen Verdacht ſich bewahrheiten zu
ſehen. Onkel Conſtautin warf aus ſeiner Wagenecke
von Z it zu Zeit einen verßohlenen Blick auf Fedor
Petrowitſch. Eadlich hielt der Wagen vor dm Ein-
Die Leute
kamen mit Lichtern geſtürzt urd geleiteten die Reiſenden
in das Haus, deſſen Fenſter zu 1 Theil hell erleuchtet
warer.
„Meine Kinder“, ſagte der Onkel Coaſtartin zerührt,
tie beiden jungen Leute an den Händen faſſend und ſie
mit ſich in einen kleinen Salon d's Erdgeſchoſſes zie-
hend — „ehe wir die ur ſerer harrenden Freonde be-
grüßen, und uns mit ihnen zu Tiſche ſetzen, will ich
mich erſt vergewiſſern, daß Euch Nichts zugeſt ßen iſt
und ich Euch wehl und geſund ror wir ſebe. Du biſt
nicht verwundet mein Herzenskind, und Sie auch nicht,
lieber Fedor Petrowüſch? Dann beruhigen wer uns,
wir haben Nichts verloren. Ich weiß, mein junger
Freund, daß Ihnen Nichts am Gelde gelegen iſt, Sie
ſtreen nach inem eidz'gen Schatze, und der iſt unver-
ſehrt. Wenn die Herzen eins ſind — was kann da das
Glück trüben?“ —
Blrich, zaghaft, zitternd blickte Panla, während ihr
Onkel ſprach, auf ihren Verlobten. Der junge Mann
ſpielte in ſeiner grenzenloſen Verlegeuheit eine wahrhaft
mitleiderreg ude Figur. Mit blaſſen Lippen flammelte er
unzufammenhängende Worte, von denen man nicht recht
wußte, ob fie eine Zuſtimmung oder eine Entſchuldigung
bedeuten ſollten. Das junge Mäsſchen füh te ſich vor
dieſer Jäm nerlichkeit von ti fen Ekel ergriff n. Sie
wankte und würde zu Boden gefallen ſein, wenn der Onkel
ſie nicht in den Armen aufgefangen hätte. Alles beſchäf-
tigte ſich um vie Ohnmächtige, ſo daß der Hufſchlag eines
davon aloppirenden Pferdes kaum bemerkt wurde. Als
 
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