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Je mehr er ſich aber dieſen finſteren Gedanken und
ſchmerzlichen Gfühlen ükerließ, deßo heller ſtrahlte
Reſa's Bild vor ſeinen verdüſterten Blicken, wie ein
Stern in ſchwarzer Nocht. Sie allein hatte ihn geliebt
uld eine geheime Stimme ſagte ihm, daß ſie ihn noch
immer liebte und iem aͤllein treu geblieben war, obgleich
er ſie verrathen und verſtoßen halte. Jetzt erß erkannte
er ihren hohen Werth, ihre ſelbüloſe Aufopferung, ihre
tdie Uveigennütziek it, ihre bewährte Hingebung. Seinet-
wegen teng ſie geduldig ihr unverdientes Geſchick, liit ſie
Schmach und Schande, Noth und Elerd, ohne ihn an-
zuklagen, ohne nur ſeigen Namen zu nennen.
So oft er an ſie dachte, kam er ſich nicht mehr ein-
ſam und verlaſſen vor. Sie umſchwebte ihn wie ein
miider auter Geiſt, ſie tröftete ihn in ſeinem Kerker und
ſprach ihm Moth zu. Er glaubte ihr bleiches Geſicht
mit den vergebenden Augen zu ſehen, ibre ſarfte Stimm:
zu hoͤren, ihre erquickende Nähe zu fühlen. Selbſt im
Traum eiſchien ſie ihm, ſie neigte ſich zu ihm und weinte
über ihn. Wenn er des Morgens erwachte, war ſein
roſen feucht von Thränen, die er ſelbſt im Schlaf ver-
goſſen.
Sie war nicht allein. — Ein holdes Kiad begleit te
ſie, umſchlang ihn wit den kleinen Armen, ſtreckte die
zarten Händchen ihm entgegen und lächelte ihn an in
ſeinen Träumen. Zuweilen horte er von den Elfenlip-
pen einen Namen, deſſen Klang ſein Herz erbeben ließ,
ein Wort, das ihn mit ſüßem Scharxer, mit Schmerz
und Wonne erfüllt: und ein nie gekant tes Gefüßl in
ſeiner erſtorbenen Bruſt erweckte. Vater! Vater! flüſterte
esz leiſe und immer lauter, immer vernehmlicher, immer
klarer, wie ſanftes Frühlingewehen in Blüthenbäumen,
wie das Murmeln eines friſchen Quells, bald wie zwit-
ſchernder Vozel ſang der jungen Brut, wie Engelsſtim-
min aus blauer J immelshöh'.
12.
Im Kewpyf der boſen und guten Geiſer, zwiſchen
Hoffnung und Verzweiflung, wildem Schmerz und ſtiller
Wehmuth, zwiſchen finſtrem Haß und milder Vergebung,
zwiſchen unreinen Rachegedar ken und heiligen Empfta-
dungen, furchtbaren Entſchlüfſen und frommen Vorſotzen
floſſen dem Gefangenen die Tage dahin, bis er endlich
vor den Schrauken des Gerichts, auf der Anklagebank
erſchien.
Der große Saal, worin die öffentlichen Verhandlun-
arn ſtatifandzn, war bis auf den letzten Platz von Zu-
ſchauern gefüllt, welche dem ir tereſſanten Prozeß bei ⸗
wohnen wollten. Der Einſturz des Tunnels, der dadurch
veranlaßte Tod dreier Menſchen, das Mitleid mit den
Unglücklichen und ihren Hinterbliebenen, die Entrüſtung
über den Schuldigen, die wiederholten Auslaſſungen und
Angriff« der Preſſe derliehen dem Fall noch eine ganz
beſondere Wichtigkeit.
In der vorderſten Reihe der für das Publikum be-
ſtimmten Plätze erblickte man die Frau des Angeklagten
in eleganter Toilette, begleitet von ihrer Mutter und
dem unvermeidlichen Flunker, mehr im Histergrunde
ſeine Schweſter und deren Gatten. Außerdem hatten
ſich die Freunde und Bekannten der Familie zahlreich
eingeſtellt. Der dicke Sanitätsrath Schnabel, die Frau
Majorin von Schmolheim mit ihren Töchtern, Fräulein
zele, hie berühmte Ballettänzerin in Geſellſchaft des
Grafen von Stutterbach und des Lieutenants von Fel-
dern, der witzige Redakteur des „Patſch“, der einen pi-
kanten Art kel für ſeine Leſer zu ſchreiben gedachte, kurz
die ganze G ſellſchft, welche ſich von der Verhandlung
einen außerordent ichen Genuß verſprach. ö
Eine große Menge von Zeugen waren vorgeladen,
der Borſitzende der Eiſenbahn⸗Verwaltun, Herr Bande-
meier, der Aufſeher des Tunnelbaues und der Schackt-
meifter, verſchiedene Arbeiter und Einwohner aus Schoͤn⸗
feld, nueter denen ganz beſonders der ehrliche Ackerbür-
ger Krauſe durch ſeine rieſige Geſtalt ſich bemerkbar
machte. Von Zeit zu Zeit warf derſelbe einen beſorg-
ten Blick auf die Gate ie, wo im dichten Gedränge ver-
borgen zwei ärwlich gekleidete Frauen ſtanden, welche
mit ihm zuzleich gekommen waren.
In Erwartung des ſpannenden Schauſpiels planderte,
ſcherzte und lachte das verſammelte Publikum, bis der
Gerichtshof in den Saol trat. Die Damen mußerten
gegenſeitig ihre Toilett u, die Herren lorgretierten die
Damen, Bikannte begrüßten ſich und die Eingeweibten
tauſchten ihre Bemerkungen über den intereſſanten Fall
und uͤber den Ausgang der Verhandlungen aus.
„Geben Sie Acht!“ ſagte der Rechtsanwalt Schnei-
der zu ſrinem Nachbar, dem Sanitässrath: „Die Ge-
ſchichte nimmt ein boͤſes Ende. Brandt kann ſeinens Schö-
pfer darken, wenn er mit zwii Jahr Gefäugniß durch-
kommt“.
„Der arme Kerl tbut mir doch leid. Wer hätte das
denken ſollen? Erianern Sie ſich noch, wie wir uns
auf ſeiner Hochzeit amüfirt habeu. Beſſeren Champagner
hab' ich nie getrunken we bei dem alten Bandemeier.
Es iſt doch hart, daß er gezen ſeinen eigenen Schwie-
gerſohn als Zeuge erſcheinen muß.“
„Wird ſich bald ausgeſchwiegerſohnt haben Frau Braudt
trägt auf Scheidung au.“
Und heirath't ihren Flunker; was ihr kein Menſch
verdenken kann, wonn hi Mann verurtheilt wird. Wa-
rum bat er ſich nicht beſſer vorgeſehn? Es geſchieht im
ganz Recht, wenn ſich die Fran von ihm treunt. Er
hat unverzeihlich gehardelt. Drei Menſchenleben das iſt
keine Kleinigkeit. Strafe muß ſein. Die öffentliche Sicher-
heit verlangt, daß ein Exempel ſtatuirt wird.
„Ein gefährlicher Menſch dieſer Brandt,“ beſtätigte
der Rechtsanwalt, „und au zerdem ein wahrer Don Juan.
Wenn nur die Halfte von dem wahr iſt, was mir
meine Clientin und ihr Vter von ihm erzählt haben,
ſo muß man das arme Frauchen bebauern“
„Sie hat ſich dafür zu revauchiren geſucht“, ſchmun-
zelie der dicke Sar itätsrath mit chniſchem Lächein. „Ich
glaube, daß ſich Beide in dieſem Punkt nichts vorzu-
Je mehr er ſich aber dieſen finſteren Gedanken und
ſchmerzlichen Gfühlen ükerließ, deßo heller ſtrahlte
Reſa's Bild vor ſeinen verdüſterten Blicken, wie ein
Stern in ſchwarzer Nocht. Sie allein hatte ihn geliebt
uld eine geheime Stimme ſagte ihm, daß ſie ihn noch
immer liebte und iem aͤllein treu geblieben war, obgleich
er ſie verrathen und verſtoßen halte. Jetzt erß erkannte
er ihren hohen Werth, ihre ſelbüloſe Aufopferung, ihre
tdie Uveigennütziek it, ihre bewährte Hingebung. Seinet-
wegen teng ſie geduldig ihr unverdientes Geſchick, liit ſie
Schmach und Schande, Noth und Elerd, ohne ihn an-
zuklagen, ohne nur ſeigen Namen zu nennen.
So oft er an ſie dachte, kam er ſich nicht mehr ein-
ſam und verlaſſen vor. Sie umſchwebte ihn wie ein
miider auter Geiſt, ſie tröftete ihn in ſeinem Kerker und
ſprach ihm Moth zu. Er glaubte ihr bleiches Geſicht
mit den vergebenden Augen zu ſehen, ibre ſarfte Stimm:
zu hoͤren, ihre erquickende Nähe zu fühlen. Selbſt im
Traum eiſchien ſie ihm, ſie neigte ſich zu ihm und weinte
über ihn. Wenn er des Morgens erwachte, war ſein
roſen feucht von Thränen, die er ſelbſt im Schlaf ver-
goſſen.
Sie war nicht allein. — Ein holdes Kiad begleit te
ſie, umſchlang ihn wit den kleinen Armen, ſtreckte die
zarten Händchen ihm entgegen und lächelte ihn an in
ſeinen Träumen. Zuweilen horte er von den Elfenlip-
pen einen Namen, deſſen Klang ſein Herz erbeben ließ,
ein Wort, das ihn mit ſüßem Scharxer, mit Schmerz
und Wonne erfüllt: und ein nie gekant tes Gefüßl in
ſeiner erſtorbenen Bruſt erweckte. Vater! Vater! flüſterte
esz leiſe und immer lauter, immer vernehmlicher, immer
klarer, wie ſanftes Frühlingewehen in Blüthenbäumen,
wie das Murmeln eines friſchen Quells, bald wie zwit-
ſchernder Vozel ſang der jungen Brut, wie Engelsſtim-
min aus blauer J immelshöh'.
12.
Im Kewpyf der boſen und guten Geiſer, zwiſchen
Hoffnung und Verzweiflung, wildem Schmerz und ſtiller
Wehmuth, zwiſchen finſtrem Haß und milder Vergebung,
zwiſchen unreinen Rachegedar ken und heiligen Empfta-
dungen, furchtbaren Entſchlüfſen und frommen Vorſotzen
floſſen dem Gefangenen die Tage dahin, bis er endlich
vor den Schrauken des Gerichts, auf der Anklagebank
erſchien.
Der große Saal, worin die öffentlichen Verhandlun-
arn ſtatifandzn, war bis auf den letzten Platz von Zu-
ſchauern gefüllt, welche dem ir tereſſanten Prozeß bei ⸗
wohnen wollten. Der Einſturz des Tunnels, der dadurch
veranlaßte Tod dreier Menſchen, das Mitleid mit den
Unglücklichen und ihren Hinterbliebenen, die Entrüſtung
über den Schuldigen, die wiederholten Auslaſſungen und
Angriff« der Preſſe derliehen dem Fall noch eine ganz
beſondere Wichtigkeit.
In der vorderſten Reihe der für das Publikum be-
ſtimmten Plätze erblickte man die Frau des Angeklagten
in eleganter Toilette, begleitet von ihrer Mutter und
dem unvermeidlichen Flunker, mehr im Histergrunde
ſeine Schweſter und deren Gatten. Außerdem hatten
ſich die Freunde und Bekannten der Familie zahlreich
eingeſtellt. Der dicke Sanitätsrath Schnabel, die Frau
Majorin von Schmolheim mit ihren Töchtern, Fräulein
zele, hie berühmte Ballettänzerin in Geſellſchaft des
Grafen von Stutterbach und des Lieutenants von Fel-
dern, der witzige Redakteur des „Patſch“, der einen pi-
kanten Art kel für ſeine Leſer zu ſchreiben gedachte, kurz
die ganze G ſellſchft, welche ſich von der Verhandlung
einen außerordent ichen Genuß verſprach. ö
Eine große Menge von Zeugen waren vorgeladen,
der Borſitzende der Eiſenbahn⸗Verwaltun, Herr Bande-
meier, der Aufſeher des Tunnelbaues und der Schackt-
meifter, verſchiedene Arbeiter und Einwohner aus Schoͤn⸗
feld, nueter denen ganz beſonders der ehrliche Ackerbür-
ger Krauſe durch ſeine rieſige Geſtalt ſich bemerkbar
machte. Von Zeit zu Zeit warf derſelbe einen beſorg-
ten Blick auf die Gate ie, wo im dichten Gedränge ver-
borgen zwei ärwlich gekleidete Frauen ſtanden, welche
mit ihm zuzleich gekommen waren.
In Erwartung des ſpannenden Schauſpiels planderte,
ſcherzte und lachte das verſammelte Publikum, bis der
Gerichtshof in den Saol trat. Die Damen mußerten
gegenſeitig ihre Toilett u, die Herren lorgretierten die
Damen, Bikannte begrüßten ſich und die Eingeweibten
tauſchten ihre Bemerkungen über den intereſſanten Fall
und uͤber den Ausgang der Verhandlungen aus.
„Geben Sie Acht!“ ſagte der Rechtsanwalt Schnei-
der zu ſrinem Nachbar, dem Sanitässrath: „Die Ge-
ſchichte nimmt ein boͤſes Ende. Brandt kann ſeinens Schö-
pfer darken, wenn er mit zwii Jahr Gefäugniß durch-
kommt“.
„Der arme Kerl tbut mir doch leid. Wer hätte das
denken ſollen? Erianern Sie ſich noch, wie wir uns
auf ſeiner Hochzeit amüfirt habeu. Beſſeren Champagner
hab' ich nie getrunken we bei dem alten Bandemeier.
Es iſt doch hart, daß er gezen ſeinen eigenen Schwie-
gerſohn als Zeuge erſcheinen muß.“
„Wird ſich bald ausgeſchwiegerſohnt haben Frau Braudt
trägt auf Scheidung au.“
Und heirath't ihren Flunker; was ihr kein Menſch
verdenken kann, wonn hi Mann verurtheilt wird. Wa-
rum bat er ſich nicht beſſer vorgeſehn? Es geſchieht im
ganz Recht, wenn ſich die Fran von ihm treunt. Er
hat unverzeihlich gehardelt. Drei Menſchenleben das iſt
keine Kleinigkeit. Strafe muß ſein. Die öffentliche Sicher-
heit verlangt, daß ein Exempel ſtatuirt wird.
„Ein gefährlicher Menſch dieſer Brandt,“ beſtätigte
der Rechtsanwalt, „und au zerdem ein wahrer Don Juan.
Wenn nur die Halfte von dem wahr iſt, was mir
meine Clientin und ihr Vter von ihm erzählt haben,
ſo muß man das arme Frauchen bebauern“
„Sie hat ſich dafür zu revauchiren geſucht“, ſchmun-
zelie der dicke Sar itätsrath mit chniſchem Lächein. „Ich
glaube, daß ſich Beide in dieſem Punkt nichts vorzu-