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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Herbert, Wilhelm: Kritikers Traum
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Personal- u. Atelier-Nachrichten - Ausstellungen und Sammlungen - Denkmäler
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0026

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Kritikers Traum. — Personal- und Ateliernachrichten.

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hatte, er sehe wie eine umgefallene Gliederpuppe aus,
zog den Dolch aus der eigenen Wunde und schwang ihn
gegen den Beleidiger; ein Gespensterzug aus einer ver-
fallenen Schloßkapelle, welchen er mit mehlbestäubten
Müllergehilfen verglichen, kam mit kröpfenden, kratzenden
Knochenfingern und glühenden Augen auf ihn los und
Nymphen, glatte, gleißende Wesen, von denen es in der
Kritik hieß, ihrem Schöpfer sei nur zu wünschen, daß
sie schleunigst untertauchten und nicht wieder kämen,
schwammen in einem reißenden Bergstrom heran und
sangen einen Eumenidenchor. Eine Unmasse von „ver-
zeichneten" Tirolern, „mißglückten" Spanierinnen, Kindern,
Bettlern, Mördern, Bajaderen — kurz und gut, eine
endlose, wirre Schar vereinte sich zum Racheschwur, ja,
schließlich wurde das Bild immer bunter, Rinderheerden
und Bestien, „unhistorische" Waffen und Geräte — alles,
was der arme Träumer zerkritisiert hatte, nahm Leben
und Seele an und stand drohend gegen ihn auf, so daß
er endlich schweißbedeckt und ächzend sich im Schlafe auf
die andere Seite wälzte, um der entsetzlichen Schar zu
entgehen.

Aber er geriet nur noch in eine schlimmere Not;
auch hier wieder that sich vor ihm eine grenzenlose Weite
auf, in der er Ungeheuerliches erblickte. Dutzende von
jungen Künstlern, welche noch seine Kritik mit Ver-
wünschungen in den Händen schwangen, stürzten sich in
tiefe Wasserfluten; andere hatten sich in Dachstuben er-
hängt und hielten ihm mit verzerrten Gesichtern und
schlenkernden Armen seine Recension vor Augen. Mütter,
deren Söhne er heruntergerissen, irrten weinend umher;
Bräute junger Maler, die sich von dieser Ausstellung die
Gründung ihres Lebensglückes erwartet hatten, zerrissen
ihre Schleier und drehten Halsschlingen für den unbarm-
herzigen Kritiker daraus und eine Armee von Gläubigern,
denen die verunglimpften Bilder Befriedigung ihrer For-
derungen verschaffen sollten, hielten dem fiebernden Kriti-
kus Schuldscheine und Wechsel mit ellenlangen Summen
unter die Augen und sangen dazu mit Donnerqebrüll:
„Zahle! Zahle!"

Mit einem Schrei sprang der Gequälte aus dem
Bette, zündete rasch die Lampe an und setzte sich an
seinen Schreibtisch.

In namenloser Hast eilte seine Feder über das
Papier, Lob, Lob und wieder Lob, Lorbeeren und Gold
nach allen Seiten austeilend. Nur hie und da hielt er
einen Augenblick, schnitt mit der Schere einen Teil aus
der früheren Kritik, machte aus Worten wie „unschön",
„abscheulich" andere wie „sehr schön", „erfreulich", klebte
diese Zettel in seine neue Kritik ein und fegte dann mit
der Feder wieder weiter über die Bogen hin, bis sie sich
alle gefüllt hatten. Dann atmete er tief auf, wankte
nach seinem Bette und grub sich wieder in die Kissen.
„Nun werde ich doch wohl Ruhe haben!" seufzte er.

Kaum jedoch hatte er die Augen geschlossen und
hoffte, nun von freundlichen Gestalten glückseliger Maler
und Malerinnen umgaukelt zu werden, die ihm die Wangen
streichelten und Dankesküsse auf die Lippen drückten, da
that sich neuerdings ein entsetzliches Bild vor seinen
Augen auf — eine große Schar von Engländern und
Amerikanern, ein Heer von Missis, Mademoisellen und
Signorinen mit Dolchaugen stand ihm mit hochgeschwungenen
Bädekern auf dem Kriegsfüße gegenüber. „Du", schrieen
sie, „hast uns durch deine begeisterte Kritik hierher ge-

lockt — die teure Fahrt über den Ozean, mit dem
Orientexpreßzug haben wir deinetwegen riskiert und was
du uns als Wunder gepriesen, war nichts! Schadens-
ersatz wollen wir haben — alles sollst du uns bezahlen!"
Und sie zogen endlose Hotelierrechnungen aus den Taschen
und häuften ganze Berge von Fahrkarten aufeinander.
Plötzlich aber hatte eine unsichtbare Geisterhand C. Reiß-
mayers Garderobe unter sie verteilt, in der sie jetzt nach
Geld zu suchen begannen. Hohnlachend brachte der eine
aus einer Manteltasche drei abgerissene Knöpfe zum Vor-
schein; der zweite holte etliche Wursthäute und altgebackene
Semmelbrocken hervor, der dritte zeigte mit lautem Spott
einen Hausschlüssel her, der statt einer Uhr an der Kette
hing und die vierte stülpte öffentlich seine Geldbörse um,
die einige Nickel und ein paar — Pfandscheine enthielt.

Da fühlte der Aermste einen kräftigen Fußtritt und
hörte die schallende Stimme seines Redakteurs: „Hinaus!"

Wieder drehte er sich stöhnend auf die andere Seite
und hoffte dort Linderung zu finden; aber auch da wieder-
um wurde er auf das Entsetzlichste enttäuscht. Denn
dort stand ein Quarre von Kunsthändlern und schrie:
„Alle hast du uns bankerott gemacht! Für Riesensummen
kauften wir die von dir gepriesenen Bilder und nun
bringen wir sie nicht an! Nun steh' auch für unsere
Passiven ein!" Und wie eine turmhohe, pechschwarze
Meereswelle schlugen die Geschäftsschulden über ihn her,
so daß er sich nochmal seitwärts wälzte. Dort aber er-
blickte er nun das Furchtbarste von allem: Rubens,
Raphael, Dürer und eine große Schar anderer alter
Meister saßen bei einander und weinten zum Steinerbarmen.
„Weh uns", riefen sie, „bisher galten wir als Genies,
als Heroen — jetzt, seitdem C. Reißmayer Stümpern
den Lorbeer aufgesetzt hat, sind wir ausgestoßen, geächtet
— alle unsere Bilder schickt man uns zurück und nennt
uns Patzer!"

„Ein Rubens ein Patzer — ich kann nicht mehr!"
rief der arme gequälte Recensent, streckte die gefalteten
Hände nach oben und bat: „Hilf mir, hilf mir, All-
mächtiger!" Da erklang eine sanfte Stimme aus den
Wolken: „Geht es mir anders? Allen macht es keiner
von uns beiden recht!"

„Was soll ich denn aber dann schreiben?" stöhnte
der Unglückliche.

Da kam es von oben her wie Posaunenschall: „Die
Wahrheit!" — Von unten herauf aber rief eine
höhnische Satansstimme: „Nichts!"

— Münche n. Die Preisjury für die V. Jahresausstellung
im Kgl. Glaspalaste, welche von der Generalversammlung der
Münchener Künstlergenvssenschaft beauftragt war, die Zahl der
zu erteilenden Medaillen möglichst zu beschränken, hat folgende
Auszeichnungen zuerkannt: Die Ehrenmedaille an: Arnold
Böcklin, Florenz. Erste Medaille an: den Maler Henry Scott
Tuke, Hanwell(England);denBildhauerMariano Benlliure,
Rom. Die zweite Medaille: In der Sektion für Malerei an:
Christian Baer, München; Fritz Baer, München; Leo
Bauer, Stuttgart; Evariste Carpentier, La Hulpe; Omer
Diericks, Brüssel; Oskar Frenzel, Berlin; W. Furse,
London; Rene Gilbert, Paris; Edm. Harburger, München:
Frz. Hochmann, Dresden; Jean de la Hoese, Brüssel;
Louis Herzog, Düsseldorf; Georg Macco, Düsseldorf;
Kunz Meyer, München; Adolf Oberländer, München;
 
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