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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Fuchs, Georg: Richard Wagner und die moderne Malerei, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0129

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Richard Wagner und die moderne Malerei, von Georg Fuchs.

plärrende Narren und sehnsüchtige Knaben, dann aber auch ohne die schwermütige, schuldlose Jungfrau mit
frommem Auge und gescheiteltem, blondem Haar mit dem heiligen Knaben im Schoße, der schüchterne
Blümchen gleich huldigenden Gebeten zu Füßen sprossen, die reines, lauteres Gold den inbrünstig ver-
ehrenden Gemütern zur Wohnung dient. Aber auch hiermit betonen sie nur etwas Stoffliches, denn in
Wahrheit verstand es keiner so gut, wie Goethe, auf Goldgrund zu malen. Der Goldgrund ist eine Stili-
sierung des Höchsten, Kostbarsten, bei den altdeutschen Meistern das Symbol der Liebe Gottes, des Himmels
und seiner gnadenreichen Offenbarung; nirgends findet er eine bedeutendere Parallele, als in dem Grunde,
auf den der reife Goethe seine künstlerischen Schöpfungen legte, sodaß sie von ihm allerwegen durchglüht
werden, sodaß sie ihn zwischen ihren Ästen und Zweigen hervorleuchten lassen und wie güldne Kronen auf
den Häuptern tragen: das organische Leben. Daß selbst den intelligentesten Führern der aufsteigenden Romantik
diese Erkenntnis mangelte, ist bezeichnend dafür, wie sehr sie im Stofflichen befangen waren, wie sehr sie, wenn
auch unbewußt, für die Bedürfnisse des sentimentalen „Mittelstandes" agitierten. Nun gar die kleineren und
kleinsten bis herunter zum lieben Kind, dem Textdichter des „Freischütz", nun gar die Maler, die nicht malen
konnten! Sie erwarteten alles vom Stoff. Sie stellten einen grauen Karton auf und schrieen: seht doch,
wie fürchterlich I Seht, ich habe den Tod der Hekuba gemalt! — Der ästhetische Geist wandte sich achsel-
zuckend ab und dachte: was ist mir Hekuba? Die sentimentale Menge machte es wie der Schauspieler im
„Hamlet" und grämte sich um Hekuba und ging hinaus und weinte bitterlich. Diese Wirkung, so glaubte
man, habe die „Kunst" ausgeübt, und es war doch nur die arme Hekuba, d. h. der „Stoff". Wir sind heute
von dieser sentimentalen Krankheit samt ihren Schmerzen und Wonnen kuriert, wir goutieren die „Anekdoten-
Malerei" nicht mehr, denn alles Geschehnis, bei dem das Individuum nicht mittelbar oder unmittelbar beteiligt
ist, bedeutet für den betrachtenden Geist nicht mehr als eine Anekdote, ob es sich nun um die Sintflut oder
um ein Paar zerrissene Hosen handelt: „alles Irdische ist nur ein Gleichnis", d. h. es existiert nur, es bleibt
nur „Leben" als Gleichnis einer schöpferischen, organischen Thätigkeit, als „Ding" ist cs ein Einmaliges, etwas
absolut Gleichgültiges.

Da es so um die Romantik bestellt war, so war es auch ganz selbstverständlich, daß wirkliche und
eigenmächtige Künstler aus ihrem Ringe herauszubrechen versuchten. Die Gesamtheit dieser Ausbrüche und
Versuche ist unsere moderne Kunstbewegung. Wir bemerken speziell in der Poesie zuerst einige feurige „Durch-
gänger" wie Fr. v. Schlegel, Novalis, Brentano, Eichendorff, welche in ihren prachtvollen Schöpfungen gewisser-
maßen die Romantik und ihre Anschauungen zu Symbolen umdeuteten, deren Individualitäten jedoch nicht
herrisch, nicht trotzig genug waren, um dauernd den zauberischen Lockungen der romantischen Nixen widerstehen zu
können, dann plötzlich unseren herrlichen Anselm Feuer bach, den ästhetischsten Menschen unseres Jahrhunderts.
Wenn er auch das Malen nicht lernen konnte — so wenig wie Alkibiades das Flötenspiel — denn die fürst-
liche Verfeinerung seines Geistes widerstrebte hier seinem eigenen Willen und gestaltete so sein Leben zur
Tragödie; so war er doch der erste, dev ganz frei von den im Grunde plebejischen Tendenzen der romantischen
Epigonen mit den schöpferischen Geistern der erhabensten Sphäre, mit Lionardo, Tizian wieder auf Du und
Du stand. Man sah an ihm, dem Sprößling einer edlen Familie, wie sehr die ästhetischen Werte abhängen
von der Rasse, von der Geburt; Feuerbach war freier als fast sämtliche moderne Maler, wenngleich diese über die
Romantik wie über einen toten Gegner lächeln- Inzwischen erstiegen drei große Künstler die höchsten Gipfel,
welche innerhalb der romantischen Weltanschauung möglich waren. Einem von ihnen war es beschicken, hier-
mit zu enden und als der größte Romantiker mit allen Reizen und Kräften aber auch mit allen Schwächen
von der Nachwelt bewundert zu werden: das war Delacroix. Ein zweiter, dem die Welt zu seinen Lebzeiten
huldigend zu Füßen lag wie kaum einem anderen, stürzte sich am Ende seiner Tage nieder von der erklommenen
Höhe und ward als Karikatur seiner selbst zum Verräter der Romantik: das war Viktor Hugo, der Chau-
vinist. Ein dritter endlich, der selbst auf den entrücktesten Gipfeln der Romantik noch kein Genüge fand, der
des reinsten Äthers zur freien Entfaltung seiner Schöpferkraft bedurfte, brach den Zauber, der selbst die Stärksten
seiner Zeit in Fesseln schlug: das war Richard Wagner, der Dichter und Komponist von „Tristan und
Isolde". Zeitlich etwas später trat sodann auch der Kampf und die Befreiung der deutschen Malerei ein,
welche zwar im allgemeinen von den Franzosen angeregt war, sich aber durch das sofortige Erscheinen B öcklins
als eine That aus eigener Kraft erwies. Es ist nun sehr merkwürdig, daß für die weitere Entwicklung
unserer Malerei das künstlerische Schaffen des reifen und späten Wagner in gewissem Verstände als Prototyp
gelten kann, besonders im Hinblick auf die in jüngster Zeit proklamierte und auch bethätigte „neue deutsche
Phantasie-Kunst". ,, ,

(Der Schluß im nächsten Hefte.)
 
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