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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Adelung, Sophie von: Cornelius Schwämmlein, [1]: Umrisse in Pech-Schwarz gezeichnet
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^06 Cornelius Schwämmlein. Umrisse in Pech-Schwarz gezeichnet von S. v. Adelung. — INeistertpxen. von A. Stier.

schwer, denn die Natur war widerspenstig und kehrte ihm
öfter ihre heitern, gemütlichen, sonnigen Seiten zu, als
die trüben, gespenstischen. Allein dies Wandern durch die
schöne Gotteswelt that seinem scheuen, ängstlichen Gemüt
unendlich wohl, und wenn er in aller Frühe mit seinen
langen Beinen quer über eine taufrische, sonnenbeglänzte
Wiese schritt, einem Riesenstorche nicht unähnlich, über-
schlich ihn sogar oft ein Gefühl des Glückes, wie er es
niemals für möglich gehalten. Dazu kam noch, daß er
einen Käufer für mehrere seiner Bildchen fand — einen
neu gebackenen Millionär, der sich eine Bildergalerie
anlegte. Das gab ihm Mut und als eine große Landes-
kunstausstellung mit Preisverteilung in seiner Vaterstadt
veranstaltet wurde, beschloß er, den Preis davonzutragen
und sich die große silberne Medaille zu holen. Sein
früherer Professor ermutigte ihn, als ihm Cornelius sein
Vorhaben mitteilte, riet ihm aber diesmal den Weg des
Einsam-Schauerlichen zu verlassen und sich lieber dem
Sinnig-Gemütlichen zuzuwenden, „denn", sagte er: „das
Publikum will erfreut werden: das Gruseln besorgt die
Zeitung mit ihren Selbstmord-, Vergiftungs- und anderen
Schauergeschichten".

Cornelius war eine Natur, die nur zu sehr dazu
neigte, an sich zu zweifeln. Mit Begierde hörte er auf den
Rat des verehrten Meisters und suchte nun mit derselben
Aufregung nach einem gemütlich-freundlichen Motiv, wie
er vorher nach dessen Gegenteil gefahndet hatte. Aber
auch hier wurde es ihm schwer, die Wahl zu treffen:
dieses war zu banal, jenes zu abgenutzt. Endlich eines
Tages führte ihn der Zufall an eine Mühle zwischen
Erlenbüschen. So etwas feucht-lauschiges, grün-verstecktes,
schweigsam-plätscherndes hatte er noch nie erblickt. Morsches
Gebälk, lange Mooskränze voll schimmernder Tropfen:
überall rieselte, sprudelte es hervor, das glitzernde, kühle
Naß und ringsum nur Vogelstimmen und das eintönige
Summen des Rades. Keine Menschenseele weit und breit
— eine reizende Idylle. Hätte man das lebende Bild,
so wie es war, auf die Ausstellung schaffen können, es
würde die große goldene Medaille verdient haben. Die
gemalte Idylle sollte die silberne erringen.

So saß er denn da, Tag für Tag, und der Zufall
wollte es, daß ihm während der ganzen Zeit der Müller
auch nicht ein einziges Mal zu Gesicht kam. Der Ein-
gang zur Mühle war von der anderen Seite, und auch
der Weg zu den Speichern, sowie zum Müllerstübchen
lag nach vorne zu. Nichts als rauschende Waldeinsam-
keit um ihn her, nichts als friedsame Ruhe, eintönige
Verlassenheit. Und doch mußte ein menschliches Wesen
das Werk in Bewegung setzen, hinter all dem Sprühen,
Zischen und Glitzern mußte ein menschlicher Wille thätig,
zwei Hände rührig sein. Eines Tages überfiel unseren
Cornelius zur Mittagsstunde ein ungewöhnlicher Appetit.
Er hatte noch niemals so andauernd gearbeitet, aber da
er heute eben daran ging, die prächtig sonnbeschienenen
Moosbüschel zu malen, und am Nachmittage die Be-
leuchtung eine ganz andere sein würde, so blieb er immer
noch sitzen, obschon es längst Zeit gewesen wäre, aufzu-
brechen. Zu seinen Füßen der duftende Thymian schien
die letzten Tautropfen in seinen winzigen Blütenkelchcn
begierig aufzusaugen. Die Vögel hüpften behender im
Grase umher, sie pickten nach Insekten: die Sonne trank
in langen Zügen das frische Naß von dem feuchten
Mühlendamme, ja, es wollte ihm fast Vorkommen, als

eilten Plötzlich alle Wolken einem unsichtbaren, köstlichen
Mahle zu. Der Weg zur Stadt zurück war weit —
vielleicht fand sich in der Mühle irgend etwas vor, um
seinen Hunger zu stillen. Cornelius ging um die Mühle
herum — nicht ohne Mühe, weil er dabei den Bach
überschreiten mußte: ein Hund bellte ihn an und auf
seinen Ruf erschien der Müller, ein dicker behäbiger
Mann im bekannten weißgepuderten Anzug. Ob der
Fremde etwas bekommen könne? Jawohl — warum
denn nicht. In der Mühle gab es freilich keine Lecker-
bissen — aber Wurst und Rettiche und einen guten
Apfelmost dazu. Cornelius schauderte beim bloßen Ge-
danken an eine solche Mahlzeit und bat um ein Glas
Milch und ein Stückchen Weißbrot — welch letzteres
natürlich nicht zu beschaffen war. Während er an seinem
Glase nippte, stand der Müller beiseite und betrachtete
sich den jungen Mann: „Sie entschuldigen", stieß er end-
lich heraus: „aber was führt Sie eigentlich hierher?"

„Ihre Mühle, mein Bester!" rief Cornelius, während
er mit einem Grashalm einer Mücke wehrte, welche ge-
sonnen schien, sein Mahl teilen und sich auf den Glas-
rand setzen zu wollen. „Ihre bezaubernde, poetische,
duftige Mühle, die das kostbarste Juwel für eine ächte
Malerseele ist!" Der Müller sah Cornelius mit großen
Augen erstaunt an, dann seine Mühle, dann wieder den
Maler.

„Ich male sie von der anderen Seite" beeilte sich
Cornelius zu sagen: „von hinten, über dem Bach."
„Und warum malen Sie nicht wenigstens die ordentliche
Vorderseite, mein Herr?" fragte der Müller, welcher
halb geschmeichelt und halb beleidigt schien, daß von
seiner Mühle so viel Aufhebens gemacht wurde. „Aber
mein Bester, gerade die Rückseite ist ja das Malerische!
Das alte, morsche Gebälk, das halbzerfallene Mauerwerk

— das Moos zwischen dem feuchten Holz-cs

ist im höchsten Grade stimmungsvoll."

Der Müller kratzte sich hinter dem Ohr und sah
den Fremden mißtrauisch an, als befürchte er, dieser
könne ihn zum Besten halten. „Ist das Bild fertig?"
fragte er nach einer Weile, während Cornelius seinen
Kampf mit der Mücke siegreich vollendet und seine Milch
ausgetrunken hatte. „O nein!" erwiderte dieser, „nur
eben angelegt; ich male das Bild für die Ausstellung:
wollen Sie es sich anschauen?" Der Müller nickte und
sie gingen auf die Wiese. Lange betrachtete der Mühlen-
besitzer sein gemaltes Eigentum; ein paar Mal schüttelte
er den Kopf und brummte etwas Unverständliches vor
sich hin. Dann ging er leise pfeifend davon und kam
nicht wieder. Der würde schon andere Augen mache»,
wenn er erfuhr, daß seine Mühle die silberne Medaille
verdient habe, dachte Cornelius. Er arbeitete bis tief
in die Nachmittagsstunden hinein, packte dann seine Sachen
zusammen und ging langsam heim, sein Herz voll schwellen-
der Frühlingshoffnung wie die Welt um ihn her.

(Der Schluß im nächsten Hefte.)

Meistertypen.

Spitzwrg.

Prophet der sonnigen Genügsamkeit!

Mb eng das Bild, es macht die Seele weit.

Hm Kleinen groß; in freudigem Genuß

Lacht man und weint bei dir in einem Guß!

A. Stier.
 
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