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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Fuchs, Georg: Richard Wagner und die moderne Malerei, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0149

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Richard Wagner und die moderne Malerei.

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oder Sentimentalität zurücksinkt. Ich hebe nur hervor: die Erscheinung der Erda und der Drachen, die Nornen-
szene im Eingänge der „Götterdämmerung" u. s. w. Die „Meistersinger" endlich sind ein vollkommener Rückfall
in alle romantischen Laster. Alles, was sich hier nicht auf die gewaltige Person des Hans Sachs bezieht, ist
unfrei, und selbst Sachs muß am Schlüsse „Ideen" aussprechen, die ja recht löblich und wacker sein mögen, die
jedoch ihren Platz in einer patriotischen Flugschrift hätten finden sollen. Hier zwang Wagner seine Schöpferkraft,
etwas zu „sagen", statt sie frei walten zu lassen, statt das, was die Erscheinungswelt ihm bot, umzudeuten zu
Symbolendessen, was er allein in sich trug. So bleibt uns denn „Tristan und Isolde" als reines Zeugnis
des Sieges. Wohl ist, wie bei allen Meisterwerken, nicht jeder Teil gleich wertvoll, gleich vollendet aus der
heiligen Quelle des Schöpfergeistes emporgetaucht; genug, daß alle aus derselben entstiegen, daß sogar das sublimste
stoffliche Element, welches wir kennen, daß sogar das Tragische umgedeutet, Symbol wurde, ganz zu schweigen
von den im Reiche der Romantik herrschenden Gewalten, von Charakteren und Leidenschaften, von Thaten und
Tagen, von Sagen und empfindsamen Erinnerungen. Selbst die haben nicht recht, welche in den wesentlichen
Zügen Schopenhauersche Philosophie finden wollen. Wohl hat Schopenhauers Theorie auf die textliche Aus-
gestaltung rein formal eingewirkt; sie hat den Wortlaut beeinflußt. Doch handelt es sich dabei durchaus nicht
um eine stoffliche Niederlage, sondern lediglich um formale Geschmacklosigkeiten. Der Haruspex wird wohl nicht
zu finden sein, der aus der Musik, aus den geheimsten Eingeweiden des Werkes auf Schopenhauer weissagen
könnte, es sei denn, daß es sich um Anschauungen handelt, die der Allgemeinheit aller Denkenden angehören,
so vornehmlich um das vrincipium inckivickuutioms. Wem fiel es Wohl ein, Goethes „Braut von Korinth"
für eine Verherrlichung des Nirwana zu erklären? Man wird beklagen, daß Wagners poetisch-formale Fähig-
keiten nicht hinreichend waren, um im „Tristan" alle Emotionen so vollkommen in Verse zu bringen, wie sie
in der Musik lebendig wurden, aber man wird sich dadurch nicht veranlaßt fühlen, die ästhetische Gesamt-
wertung zu ändern. Die „Paraphrase der Willensvereinung", welche in dem Werke enthalten sein soll, kann
niemand entdecken, der mit ästhetisch erleuchtetem Auge in dasselbe blickt, und das „Nirvana" ist vollkommen
zu einem künstlerischen Symbole umgedeutet, dessen psychologische Analysierung nicht der Zweck dieses beschränkten
Aufsatzes sein darf. — Doch Wagner starb nicht als Sieger; er wurde alt, er wurde wieder Romantiker.
Sein übermenschliches musikalisches Können, alle künstlerischen Mächte seiner Seele erscheinen im „Parsifal"
im Banne einer „Idee", einer Soteriologie, die, bei allen Schopenhauerischen Floskeln, echt romantisch ist. Der
„Siegfrieds-Gedanke" war in eine mystische Sphäre emporgestiegen — wollte der Meister ihn im „Parsifal"
in Umdeutungen christlicher, katholisch-soteriologischer Symbole wiedergeben? Vielleicht! Hätten wir Einblick
in das innerste Seelenleben des Künstlers in den letzten Jahren seines Schaffens, so würde sich diese Absicht
wohl Nachweisen lassen. Zur Ausführung gelangte sie jedenfalls nicht. Die Emotionen, welche durch die rein
künstlerischen Kräfte des Werkes mit unbedingter Deutlichkeit erweckt werden, nicht allein durch Musik und Poesie,
sondern auch durch die den intimsten Intentionen des Schöpfers entsprungenen Szenenbilder zwingen zu dem un-
widerleglichen Gesamtschluß, daß eine weihevolle Ausgestaltung einer katholisch-romantischen Erlösungs-Legende
vorliegt. Nicht aus eigener Kraft seiner reinen Individualität „erlöst" Parsifal — wie das doch der Siegfrieds-
Gedanke voraussetzt — sondern durch die Kraft des Grals, durch ein nicht umgewertetes, in seiner eigentlich
christlich-mittelalterlichen Wesenheit belassenes Mysterium. Parsifal befindet sich im „Stande der Gnade",
Siegfried ist frei, „freier wie ich, der Gott". Wohlgemerkt: wir fassen diese Gedanken nicht als stoffliche
Gesinnungsmomente auf, sondern als begriffliche Wiedergabe künstlerischer Emotionen. Wir erregen uns nicht
mit Nietzsche darüber, daß Wagner im „Parsifal" „Roms Glaube ohne Worte" gab, sowenig wir einen
Kulturverrat darin erblicken können, daß Böcklin Madonnen und Albert Keller Martyrinnen malt. Der
„Rückfall in die Romantik" besteht vielmehr darin, daß Wagner seine künstlerischen Fähigkeiten dazu verwandte,
ein weihevolles, mittelalterliches Erlösungs-Mysterium in edelste, ergreifendste Formen zu bringen, es möglichst
prächtig zu „celebrieren", statt umgekehrt die Überlieferung von seiner Schöpferkraft ergreifen, aufsaugen und
ganz aus sich neu erstehen zu lassen. Er steht prinzipiell der Parsifal-Sage nicht anders gegenüber wie etwa Steinle,
welcher sie unterwürfig illustrierte. Wohl geht ein berückender, heiliger Zauber von dem Bühnen-Weih-Fest-
spiele aus, der auf die Kniee zwingt: doch was wir anbeteu müssen, ist nicht die freiwaltende, frohe Schöpfer-
kraft, sondern das die Seele mit mystischen Reizen wollüstig peinigende Sich-selbst-Verneinen dieser ungeheueren
Kraft, die blutige Pracht der Askese.

Weniger hieratisch und weniger reizvoll ist die der Rückkehr Wagners zur Romantik entsprechende
Wendung, welche unsere gegenwärtige Malerei zu nehmen droht. Zwar wird man unbedingt der Ansicht
sein, daß die gemeinhin „Naturalismus" genannte Bewegung nicht ästhetischer Natur war, daß sie nur der
Erwerbung einer malerischen Technik galt; man wird es selbstverständlich finden, daß alle, welche dieser
Schule entwachsen sind, nunmehr als freie Künstler ihre Fähigkeiten bethätigen wollen, aber man wird
sich gleichwohl mit Energie gegen ein Dogma wehren müssen, wie es das jüngst ausgegebene Schlagwort
„neue deutsche P h a n t a s i e k u n st" verkappt in sich trägt. Schon diejenigen unter unseren
modernen Meistern, welche die Bannmeile der Romantik, der Historien- und Anekdotenmalerei zuerst über-
 
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