Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

DOI Artikel:
Pauli, Gustav: Neues aus Dresden, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0154

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Neues aus Dresden.



Lin Schuster. von Richard Müller.

die Natur vollkommen kennen und beherrschen. Andern-
falls bringt er nur hohle Schemen oder lächerliche
Fratzengebilde zu stände. So beruht denn auch die
Wirkung der Schneiderschen Kartons nicht allein auf den
originalen Gedanken, die sie enthalten, sondern nament-
lich darauf, daß diese Gedanken einen adäquaten Formen-
ausdruck gefunden haben. Schneider ist ein vortrefflicher
Beobachter, ein sicherer Zeichner, darum darf er sich an
die religiösen und sinnbildlichen Gegenstände wagen, die
er uns vorführt. Sein Christuskopf aus dem „Wieder-
sehen" ist des größten Lobes würdig. Er hat nichts
Konventionelles, nichts von dem, das wir schon tausend-
mal gesehen haben. Er vereint individuelles Leben und
einen momentan festgehaltenen Ausdruck mit der Würde
des Weltenrichters.

Der dornengefesselte Judas ist eine vortreffliche
Aktfigur, wie denn überhaupt Schneider die Darstellung
des nackten Körpers vollkommen beherrscht. Zwei Einzel-
figuren verdienen besonders hervorgehoben zu werden.
Es waren die kleinsten unter den Kartons. Der eine
mit der etwas langatmigen Unterschrift: „Das Gefühl
der Abhängigkeit" zeigte einen gefesselten nackten Mann,

der mutlos die Arme sinken läßt, da ein stumpfes,

dunkles Ungeheuer, das vor ihm am Boden lagert, jede
seiner Regungen beobachtet und beherrscht. Die andere
Zeichnung stellt den „Anarchisten" dar als Einen, der
eine Bombe in das Dunkel eines tausendjährigen

assyrischen Palastes wirft. — Einmal ist der wehrlose
nackte Körper eines Jünglings in einen wirksamen
Kontrast gebracht zu der finsteren Gestalt eines vom
Scheitel bis zur Sohle geharnischten Ritters („Un-
gleiches Paar"). Dann wieder sind die „Genien der

Geschichte" zum Vorwand genommen, um an den sitzen-
den und stehenden Menschenkörpern die Wirkungen des
von unten heraufscheinenden Lichtes darzustellen.

Eine prächtige monumentale Gestalt ist der „Herr

der Welt", ein halbnackter orientalischer Herrscher mit
wallendem schwarzen Bart, der mit verschränkten Armen
auf einer hohen Zinne steht, während unter ihm auf
der Wand in blassen Umrissen das klägliche Bild des
gekreuzigten Heilands erscheint.

Soeben schon haben wir das Wort gebraucht, das
den bedeutendsten Zug der Schneiderschen Kartons be-
zeichnet: Monumental. In der That haben sie alle
etwas Monumentales, sowohl in ihrem Gegenstand als
in der Darstellung. Monumental ist die Ruhe, mit der
sich alle Gestalten bewegen. (In dieser Hinsicht ist es
charakteristisch, daß der Künstler einen ganz vortreff-
lichen Karton, „Christus in der Vorhölle", lediglich deshalb
nicht gleichzeitig ausstellen wollte, weil ihm die lebhafte
Bewegung der Figuren trivial erschien.) Monumental ist
sodann insonderheit die Darstellung des nackten Körpers.

Eine Frage kann man jedoch bei allem Lobe nicht
unterdrücken, eine Frage, die sich wohl jeder aufmerk-
same Besucher jener Ausstellung vorgelegt hat, und die
vielleicht auch dem Leser dieser Zeilen auf den Lippen
schwebt: ist Schneider ein ebenso vortrefflicher Maler,
wie er Zeichner ist? — Vorläufig bleiben wir die Ant-
wort schuldig, denn wir haben gar zu wenig gemalte
Studien unseres Künstlers gesehen. Unzweifelhaft würden
sich einige Kartons, z. B. „Das Wiedersehen", in farbiger
Ausführung vortrefflich ausnehmen. In manchen Fällen
müßte sich jedoch der Künstler genötigt sehen, in der
malerischen Darstellung das phantastische, gedankliche
Element etwas zu mildern. Das Gemälde ist weit enger
an die Natur gebunden als die Zeichnung. Es ist Wohl
überflüssig, hier an die vortrefflichen Bemerkungen des
Malers und Zeichners Klinger zu erinnern. Jedenfalls
haben wir allen Grund, uns des Vorhandenen zu freuen.
An den Kartons möchten wir, so wie sie da sind, nichts
anders sehen, und um mit einem Wunsche zu schließen, so

Vogel Strauß, von Richard Müller.
 
Annotationen