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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Schönaich, Gustav: Die Münchener Secession in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0156

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Die Münchener Secession in Wien, von Gustav Schoenaich.

auf die immer weiter um sich greifende Einsicht und
Überzeugung zurückzuführen ist, daß wir an einem Punkte
angelangt sind, wo uns die Gefahr droht, von der großen
internationalen Künstlerarmee, die neue Ziele ins Auge
gefaßt und regenerierende Kräfte an sich gezogen hat,
abgcschnitten zu werden und dadurch allzuweit hinter den
Errungenschaften zurückzubleibcn, welche in Deutschland so-
wohl als in Frankreich, England und Spanien als er-
mutigende Siege des Fortschrittes auf künstlerischem Ge-
biete empfunden worden. Die urteilsfähige Kritik teilt diese
Sorgen der Künstlerschaft und freut sich mit ihr des Ein-
dringens frischer, von rein künstlerischen Bestrebungen ge-
leiteter Elemente, von denen sie mächtige Anregungen für
unsere strebende, sicher reich begabte Jugend erwartet. Selbst
die patentierten Vertreter des gewiß ebenso erstrebenswerten
als leider ewig undefinierbaren und glücklicherweise in
keinen Dekalog einzufangenden „Ewig Wahren, Guten und
Schönen" sehen sich dem Gebotenen gegenüber zu so
ausreichenden Konzessionen und schwer wiegender, weil
widerwilliger Anerkennung gezwungen, daß stellenweise
Rückfälle in das gewohnte Kritischberserkerhafte mehr
Glückwünsche zur Ünversiegbarkeit des Temperamentes
des betreffenden Kunstrefercnten als tiefgehende Bedenken
gegen Richtung und Leistungen der Münchener Künstler
herauszufordern geeignet sind. Das Publikum strömt
massenhaft ins Künstlerhaus und von dieser Seite ist
das Interesse ebenso rege wie das der Käufer, die sich
schon in ansehnlicher Zahl und keineswegs im gewöhn-
lichen Sinne „gangbaren" Werken gegenüber eingestellt
haben. Man kann also den Erfolg der Ausstellung mit
gutem Gewissen einen glänzenden nennen, und es bliebe
nur uns Österreichern der Wunsch übrig, daß unsere
Unterrichtsbehörde aus diesem sicherlich belehrendem Fak-
tum die Folgerungen ziehen möge, aus denen die Un-
erläßlichkeit einer Regeneration unsrer Akademie der
bildenden Künste mit zwingender Notwendigkeit sich
ergiebt.

Die Zeit, welche seit der Eröffnung verstrichen, ist
zu kurz, und außerdem nehmen die herannahenden Weih-
uachtstage einen großen Teil der Bevölkerung zu sehr
in Anspruch, als daß von einem eklatanten Favorit
unter den ausgestellten Werken oder von einem über-
wältigenden Vorsprung, den eine oder die andere der
prägnantesten Künstlerpersönlichkeiten gewonnen, gesprochen
werden könnte. Bilder und Künstler sind in München
so bekannt und so eingehend besprochen worden, daß ich
mich darauf beschränken kann, den ersten Eindruck fest-
zustellcn, den die markantesten unter ihnen in Wien
hervorgebracht. Das große Publikum der Ausstellungen
wird noch auf lange hinaus durch die Verständlichkeit
und Eindringlichkeit, durch die Sympathie oder das In-
teresse. das es dem Stofflichen eines Werkes entgegen-
bringt, in seinem Urteil beeinflußt werden. „Ter Krieg"
und „Die Sünde" treffen bei der Menge auf verhältnis-
mäßig so ausgedehnte Vorstellungskomplexe, daß deren
bildliche Darstellung von vornherein die allgemeine
Spannung für sich in Anspruch nimmt. Daß also die
meisterhafte Behandlung dieser beiden Stoffe durch Franz
Stuck auch in Wien bei den Ausstellungsbesuchern die
größte Neugierde yervorgerufen, ist ebenso natürlich als

es für die Werke und den Künstler erfreulich ist, daß
der Sensationseindruck von dem Gefühl künstlerischer
Befriedigung über die eigenartige und grandiose Be-
handlung der Gegenstände völlig in den Hintergrund
gedrängt wird. Der Eindruck, den die einzelnen künst-
lerischen Persönlichkeiten Hervorbringen, ist natürlich durch
die Art und Mannigfaltigkeit ihrer Vertretung wesentlich
bedingt. So treten bedeutende Erscheinungen wie Fritz
von Uhde und Hans Thoma derzeit in der Wirkung
noch zurück. Uhdes bedeutende „Grabtragung" wird
noch erwartet. Thoma verlangt eine zahlreichere Ver-
einigung seiner Werke, um seine merkwürdige Eigenart
größeren Kreisen zu vermitteln. Hingegen tritt der
durch zehn seiner Schöpfungen vertretene Albert Keller
durch die Intensität seiner außergewöhnlichen koloristi-
schen Begabung und die Ausgedehutheit des von ihm
beherrschten Stoffgebietes in erste Linie. Es ist leicht
begreiflich, daß eine so ausgeprägte Künstlernatur den
meisten Anlaß zu Diskussionen giebt, bei denen sich
schließlich alle Richtungen im Preise seiner hervorragenden
Fähigkeiten vereinigen. Gotthard Kuehl hat mit
seinem „Altmännerspital in Lübeck" einen ebenso all-
gemeinen und unwidersprochenen Sieg errungen, als er
durch sein „Bild mit den roten Dächern" (Dorf Lüding-
wort) allen koloristisch Schreckhaften ein komisches Ent-
setzen einjagt. Ludwig Herterichs „Heiliger Georg"
und seine beiden meisterhaften Stimmungsbilder haben
bereits eine stattliche Gemeinde von Bewunderern um sich
gesammelt. Ludwig Dills, Adolf Hölzels, Kut-
schas, Keller-Reutlingens nnd Toni Stadlers
Landschaften werden wieder und wieder betrachtet, um
sich mit ihrem Stimmungsgehalt vertraut zu machen.
Victor Weishaupts und H. Zügels Tierstücke fin-
den widerspruchslose Anerkennung. Im Porträtfach er-
regen neben Kellers beiden Arbeiten die Bildnisse
Sambergers lebhaftes Interesse. Bolz' „Heilige
Cäcilia" fesselt durch die Feinheit ihrer Abtönung wie
durch die Grazie der Zeichnung, Höckers „Vision"
durch die siegende Leuchtkraft ihres Kolorits. Ernst
Zimmermanns Kindcrbild und sein Stilleben werden
gerühmt von den Jungen, ohne die Alten zu ärgern —
eine Bemerkung, welche man Ludwig von Hofmanns
hier ansgestellte» Bildern gegenüber in ihrem ersten Teile
nur sehr bedingt, in ihrem zweiten gar nicht wiederholen
kann. Hingegen sind Ulrichs „Stickschule" und Fritz
Strobentz „Schulkinder" Lieblingsstücke der Ausstellungs-
besucher.

Tie künstlerischen Elemente der Wiener Gesellschaft
freuen sich lebhaft des Sieges der Münchener — nicht
weil sie jedes zur Ausstellung gebrachte Bild als Meister-
werk oder als bahnbrechend betrachten, nicht weil sie
durch Dick und Dünn gewissen Richtungen zuzuschwörcn
entschlossen sind — sondern weil das richtige Gefühl sie
beherrscht, daß in der Münchener Secession hochbegabte,
ehrliche und ernste Künstler sich vereinigt haben, um die
Kunst vor der seidenen Schnur, die ihr der Merkantilis-
mus umzuwerfen sich anschickte, zu bewahren und das
echte Verhältnis zwischen Kunst und Publikum wieder
herzustellen, welches dem Künstler zuweist, den Laien auf
seine Pfade zu führen, nicht aber umgekehrt.
 
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