Robert Diez. Von Paul Zchnmann.
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in die Wogen. Die vierte Gruppe endlich veranschaulicht den Streit NM den Seestern (s. Bilderbeil, zu H. 9). Die
Welle hat ihn emporgetragen, den schönen Jüngling, dessen edle Züge der Schmerz verklärt. Mit sehnigem Arm
umfaßt ihn, den Machtlosen, jener greise Fischmensch mit dem kahlen Haupte. Aber sein Gegner gönnt ihm die
Beute nicht, halb unter ihm liegend, zaust er jenem den Bart, daß er wild aufschreit, und mit nerviger Faust greift
er nach dem Jüngling, um ihn an sich zu ziehen. — Hier wie drüben ist die Tierwelt des Meeres heran-
gezogen, um die Stimmung zu vertiefen, die Welt der Gestalten zu vermannigfaltigen: hier kriecht ein Molch
schwerfällig am Strande hin, da taucht ein Stachelroche auf, dort schaut ein Seeteufel empor, und hier wieder
überfällt ein gefräßiger Riesenfisch den Reiher, der sturmesfroh über die Wellen dahinflog und der tückischen
Flut allzunahe kam: ein Bild des verzehrenden Meeres.
In gewaltig hinreißender Weise sind hier die stürmischen Wogen verkörpert. Die Stimmungen in
unserer Brust angesichts des erregten Meeres sind von einer Poetenseele empfangen und wie in einem künst-
lerischen Traumschaffen in organische Formen umgeschaut. Ähnlich hat schon die Antike geschaffen in den Meer-
gottheiten, deren Gesichtstypus und Züge die unruhige und düstere oder die freudige selige Stimmung ver-
körpern. Aber an eine Verkörperung des ruhigen Wassers wie der stürmischen Wogen in handelnden Gruppen,
wie sie hier vorliegt, hat weder die antike Plastik noch irgend eine andere Periode der Kunst gedacht. Die
Tritonen der Antike sind allerdings seit der Antike oft wieder in der Kunst aufgetaucht, aber aus den ursprüng-
lich echt phantastisch angeschauten Wesen sind auf dem langen Wege von Altgriechenland bis in unsere Zeit
allmählich empfindungslos weiter schablonisierte Gebilde geworden. Robert Diez gab zum erstenmale wieder
Geschöpfe ureigener Beseelung der Natur durch schöpferische Phantasie. Und es ist eine echte Phantasie, die uns
hinreißt und zwingt, an die Wahrheit dieser Gebilde zu glauben: die Gestalten wachsen geradezu heraus aus
den Wogen; Wasser und Lebewesen gehen sichtbar ineinander über. In dieser Beziehung ist besonders die
zuletzt geschilderte Gruppe von vollendeter Schönheit. Suchen wir in der modernen Kunst nach Lösung ähn-
licher künstlerischer Aufgaben, so mögen wir denken an Michelangelos Verkörperung der vier Tageszeiten in der
Mediceerkapelle zu Florenz, an des Rubens gewaltiges „tzuos in der Dresdener Gemälde-Galerie, an
Klingersche Radierungen aus der Brahmsphantasie, besonders aber an das Spiel der Wellen und ähnliche
Darstellungen Arnold Böcklins. Aber während Böcklin wesentlich das südliche Meer meist mit barockem Humor
verkörpert, tritt uns in den Diezschen Kompositionen das nordische Meer in seiner frischen Schönheit, in seiner-
gewaltigen Kraft und Wildheit entgegen; der Luftzug germanischer Anschauung geht durch diese lebensprühenden
Gestalten und Gruppen. Und kein hohles Pathos ernüchtert uns hier bei längerem und wiederholtem Schauen:
alles ist geschaut, innerlich erlebt und empfunden.
Aber nicht bloß nach der Seite der Phantasie haben wir es hier mit echt künstlerischen Werken zu
thun; auch in der Komposition und Durchbildung sind sie meisterhaft. Das Monumentale ist mit dem Deko-
rativen, wie es aus dem Zweck der Gruppen hervorgeht, einheitlich verschmolzen. Jede der acht Gruppen ist
rhythmisch und in der Abwägung der Massen ebenso wohlgefällig für das Auge komponiert, wie die Bewegungen
uns als Ausdrucksformen inneren Seins erscheinen. Dabei ist aber auch die Einheit des Ganzen völlig ge-
wahrt: die verschiedenen Gruppen stehen nicht vereinzelt und abgesondert da, sondern sind ungezwungen zu-
einander in Beziehung gesetzt. Rund um den Brunnenkern sind die Massen so angeordnet, daß sie von allen
Seiten im Ebenmaße erscheinen. Von wo auch der Blick das Werk trifft, immer erscheinen die Massen so fein
abgewogen, daß der harmonische Eindruck gewahrt bleibt, und das ist erzielt ohne jeden Zwang, ohne jede
unnatürliche Gewaltsamkeit. Beschauen wir endlich die Gestalten auf ihre körperliche Durchbildung hin, so offen-
bart sich auch hier ein außergewöhnliches Können, das aus intimstem Studium der Natur erwachsen ist, und
unbeschränkte Beherrschung der Formen des Seienden. Die Körper sind ans das sorgfältigste durchgebildet:
überall hat die Natur als Grundlage gedient, ihre Formen sind zu mächtigem, herrlichem Ausdruck gesteigert
und der schöpferischen Phantasie dienstbar gemacht. Dabei ist nichts von hergebrachter Gewohnheitsausgestaltung,
Körper und Antlitz sind vielmehr in jeder Gestalt persönlich aufgefaßt, individuell beseelt, die Bewegungen in
vollem Rhythmus durchgeführt.
So haben wir es mit Werken zu thun, die auch nach der monumentalen wie der dekorativen, nach
der stilistischen wie der ästhetischen Seite gleich großartig und vollendet dastehen. Echt monumental sind die
beiden Brunnen, sofern die künstlerischen Ideen in verhältnismäßiger Einfachheit und charaktervoller Erhabenheit
ausgedrückt sind, echt dekorativ vermöge der feinen Abgewogenheit der Massen und der kunstvollen Verteilung
der Gruppen um den Brunnenkern und unter der Schale, echt stilistisch, sofern sie uns die Formen der
Natur in den günstigsten und gefälligsten Verhältnissen vorführen, und ein echt ästhetischer Ausdruck ist erzielt,
sofern diese Werke nicht bloß sinnlich schön wirken, sondern uns hoch über die gemeine Wirklichkeit in die
Sphären der Phantasie erheben.
Neben diesen beiden großartigen Schöpfungen sind im letzten Jahrzehnt nur wenige Werke unter den
Händen von Robert Diez entstanden, zwei im unmittelbaren Anschluß an sie, nämlich die schon erwähnte reiz-
volle, farbige Gruppe „Das Geheimnis" und „Ein schlafender Knabe", ferner ein Paar farbige Büsten von
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in die Wogen. Die vierte Gruppe endlich veranschaulicht den Streit NM den Seestern (s. Bilderbeil, zu H. 9). Die
Welle hat ihn emporgetragen, den schönen Jüngling, dessen edle Züge der Schmerz verklärt. Mit sehnigem Arm
umfaßt ihn, den Machtlosen, jener greise Fischmensch mit dem kahlen Haupte. Aber sein Gegner gönnt ihm die
Beute nicht, halb unter ihm liegend, zaust er jenem den Bart, daß er wild aufschreit, und mit nerviger Faust greift
er nach dem Jüngling, um ihn an sich zu ziehen. — Hier wie drüben ist die Tierwelt des Meeres heran-
gezogen, um die Stimmung zu vertiefen, die Welt der Gestalten zu vermannigfaltigen: hier kriecht ein Molch
schwerfällig am Strande hin, da taucht ein Stachelroche auf, dort schaut ein Seeteufel empor, und hier wieder
überfällt ein gefräßiger Riesenfisch den Reiher, der sturmesfroh über die Wellen dahinflog und der tückischen
Flut allzunahe kam: ein Bild des verzehrenden Meeres.
In gewaltig hinreißender Weise sind hier die stürmischen Wogen verkörpert. Die Stimmungen in
unserer Brust angesichts des erregten Meeres sind von einer Poetenseele empfangen und wie in einem künst-
lerischen Traumschaffen in organische Formen umgeschaut. Ähnlich hat schon die Antike geschaffen in den Meer-
gottheiten, deren Gesichtstypus und Züge die unruhige und düstere oder die freudige selige Stimmung ver-
körpern. Aber an eine Verkörperung des ruhigen Wassers wie der stürmischen Wogen in handelnden Gruppen,
wie sie hier vorliegt, hat weder die antike Plastik noch irgend eine andere Periode der Kunst gedacht. Die
Tritonen der Antike sind allerdings seit der Antike oft wieder in der Kunst aufgetaucht, aber aus den ursprüng-
lich echt phantastisch angeschauten Wesen sind auf dem langen Wege von Altgriechenland bis in unsere Zeit
allmählich empfindungslos weiter schablonisierte Gebilde geworden. Robert Diez gab zum erstenmale wieder
Geschöpfe ureigener Beseelung der Natur durch schöpferische Phantasie. Und es ist eine echte Phantasie, die uns
hinreißt und zwingt, an die Wahrheit dieser Gebilde zu glauben: die Gestalten wachsen geradezu heraus aus
den Wogen; Wasser und Lebewesen gehen sichtbar ineinander über. In dieser Beziehung ist besonders die
zuletzt geschilderte Gruppe von vollendeter Schönheit. Suchen wir in der modernen Kunst nach Lösung ähn-
licher künstlerischer Aufgaben, so mögen wir denken an Michelangelos Verkörperung der vier Tageszeiten in der
Mediceerkapelle zu Florenz, an des Rubens gewaltiges „tzuos in der Dresdener Gemälde-Galerie, an
Klingersche Radierungen aus der Brahmsphantasie, besonders aber an das Spiel der Wellen und ähnliche
Darstellungen Arnold Böcklins. Aber während Böcklin wesentlich das südliche Meer meist mit barockem Humor
verkörpert, tritt uns in den Diezschen Kompositionen das nordische Meer in seiner frischen Schönheit, in seiner-
gewaltigen Kraft und Wildheit entgegen; der Luftzug germanischer Anschauung geht durch diese lebensprühenden
Gestalten und Gruppen. Und kein hohles Pathos ernüchtert uns hier bei längerem und wiederholtem Schauen:
alles ist geschaut, innerlich erlebt und empfunden.
Aber nicht bloß nach der Seite der Phantasie haben wir es hier mit echt künstlerischen Werken zu
thun; auch in der Komposition und Durchbildung sind sie meisterhaft. Das Monumentale ist mit dem Deko-
rativen, wie es aus dem Zweck der Gruppen hervorgeht, einheitlich verschmolzen. Jede der acht Gruppen ist
rhythmisch und in der Abwägung der Massen ebenso wohlgefällig für das Auge komponiert, wie die Bewegungen
uns als Ausdrucksformen inneren Seins erscheinen. Dabei ist aber auch die Einheit des Ganzen völlig ge-
wahrt: die verschiedenen Gruppen stehen nicht vereinzelt und abgesondert da, sondern sind ungezwungen zu-
einander in Beziehung gesetzt. Rund um den Brunnenkern sind die Massen so angeordnet, daß sie von allen
Seiten im Ebenmaße erscheinen. Von wo auch der Blick das Werk trifft, immer erscheinen die Massen so fein
abgewogen, daß der harmonische Eindruck gewahrt bleibt, und das ist erzielt ohne jeden Zwang, ohne jede
unnatürliche Gewaltsamkeit. Beschauen wir endlich die Gestalten auf ihre körperliche Durchbildung hin, so offen-
bart sich auch hier ein außergewöhnliches Können, das aus intimstem Studium der Natur erwachsen ist, und
unbeschränkte Beherrschung der Formen des Seienden. Die Körper sind ans das sorgfältigste durchgebildet:
überall hat die Natur als Grundlage gedient, ihre Formen sind zu mächtigem, herrlichem Ausdruck gesteigert
und der schöpferischen Phantasie dienstbar gemacht. Dabei ist nichts von hergebrachter Gewohnheitsausgestaltung,
Körper und Antlitz sind vielmehr in jeder Gestalt persönlich aufgefaßt, individuell beseelt, die Bewegungen in
vollem Rhythmus durchgeführt.
So haben wir es mit Werken zu thun, die auch nach der monumentalen wie der dekorativen, nach
der stilistischen wie der ästhetischen Seite gleich großartig und vollendet dastehen. Echt monumental sind die
beiden Brunnen, sofern die künstlerischen Ideen in verhältnismäßiger Einfachheit und charaktervoller Erhabenheit
ausgedrückt sind, echt dekorativ vermöge der feinen Abgewogenheit der Massen und der kunstvollen Verteilung
der Gruppen um den Brunnenkern und unter der Schale, echt stilistisch, sofern sie uns die Formen der
Natur in den günstigsten und gefälligsten Verhältnissen vorführen, und ein echt ästhetischer Ausdruck ist erzielt,
sofern diese Werke nicht bloß sinnlich schön wirken, sondern uns hoch über die gemeine Wirklichkeit in die
Sphären der Phantasie erheben.
Neben diesen beiden großartigen Schöpfungen sind im letzten Jahrzehnt nur wenige Werke unter den
Händen von Robert Diez entstanden, zwei im unmittelbaren Anschluß an sie, nämlich die schon erwähnte reiz-
volle, farbige Gruppe „Das Geheimnis" und „Ein schlafender Knabe", ferner ein Paar farbige Büsten von