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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Tanera, Karl: Überlistet, [2]: ein modernes Märchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0357

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von Lancra.

2NZ

Frühling, von L. von Kosmann.

„Ich will es Ihnen erklären. Durch Ihre früheren
Bilder voll idealer Auffassung, von einer zwar etwas
süßlichen, dem Volke aber durch die Gewohnheit lieb ge-
wordenen und ihm verständlichen Ausführung haben Sie
eine 'Menge schwankender Seelen zu wirklicher Andacht
und zu tiefer Frömmigkeit erzogen und dem Einflüsse
der Priester geneigt gemacht. Sie kosteten mich viele
Opfer. Seit Sie aber so realistisch, so wahr malen,
hat sich das in das Gegenteil verwandelt. Schwankende
Seelen werden durch Ihre jetzigen Bilder von der Religion
abgelenkt, weil ihnen das, was vorher für sie groß,
schön, überirdisch und heilig war, nunmehr nüchtern, all-
täglich, häßlich und keinesfalls begehrenswert erscheint.
Sie sind somit mein bester Apostel für Jrreligiösität,
Unglauben und Zerfahrenheit der Gemüter geworden.
Dadurch habe ich aber leichtes Spiel."

Dem Maler schnitt jedes Wort des Barons wie
ein Dolch in die Seele. Mit einem Male trat ihm das
Streben und Wollen seiner ersten Jahre vor das geistige
Auge. Er erinnerte sich, wie er damals glücklich war,
wenn er erkannte, mit welcher Andacht das Volk vor
seinen Werken stand; es fiel ihm ein, wie es ihm als
höchstes Ziel vorgeschwebt hatte, so himmlisch zu malen
wie ein Frä Angelico da Fiesole; er gedachte seiner
sämtlichen einstigen Ideale. Und das hatte er alles ver-
scherzt.

Und nicht nur dies! Statt Gutes zu schaffen, hatte
er nur für den Teufel gearbeitet!

Mit einem Male erfaßte ihn ein fürchterlicher Ekel
vor seinen Bildern, vor sich selbst, vor der ganzen Welt.

Neben der Thür seines Ateliers hing ein geladener

Revolver. Auf diesen stürzte er zu, riß ihn herunter,
spannte den Hahn und erhob die Mündung gegen die
Stirne, um seinem verlorenen Leben, seinen verlorenen
Idealen ein gewaltsames Ende zu machen.

Triumphierend sah Baron Satanas seinem Be-
ginnen zu und zischte vergnügt lächelnd durch die Zähne:
„Wer ist nun überlistet?"

Da — mit einem Male — wurde die Thür heftig
aufgerissen, flog dem Geheimrat gegen den erhobenen
Arm und gab ihm einen solchen Stoß, daß der Schuß,
ohne jemand zu berühren, sich gegen die Decke entlud,
der Maler aber einige Schritte zurücktaumelte und auf
einen Divan sank. In der geöffneten Thür erschien,
umflossen von einer Fülle goldstrahlendcn Lichtes, ein
etwa siebzigjähriger Mönch.

Der wandte sich gegen den Baron und bemerkte in
scharfem Tone: „Du bist hier überflüssig".

Durchaus nicht mehr in der selbstbewußten Haltung
wie bisher, sondern mehr einem geprügelten Hund ähn-
lich, verließ der Satan das Atelier. Der Geruch, den
er diesmal zurückließ, erinnerte nicht im geringsten an
sein früheres Parfüm: Lau cke 1ila8.

Der Mönch aber wandte sich nun zu dem Maler,
der ihn in stummem Staunen anstarrte:

„Sieh in mir den Kollegen, den Du in Deiner
Jugend so sehr beneidet. Ich'bin Frä Giovanni Angelico
da Fiesole. Ich habe Dein Ringen und Mühen mit
lebhaftem Interesse verfolgt, weil ich erkannte, in Dir
steckt ein großer Künstler. Dein Ehrgeiz hat dich aber
auf Abwege gebracht. Ich sah auch, wie der Teufel,
der Dein Können fürchtete, Dich zu überlisten suchte und

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