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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Crane, Walter: Kunst und Volkstum, [1]
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von Walter Grane.

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einen Seite und auf der andern das noch bescheidenere
Nachtlager, welches der Enterbte aufschlägt unter dem
Bogen einer Eisenbahnbrücke oder auch gleich dort auf
dem harten „mit Gold belegten" Pflaster der reichsten
Stadt der Welt. Zum Kopfkissen nimmt er sich da wohl
ein Zeitungsblatt — ein Zeitungsblatt! — vielleicht ist
es sogar ein illustriertes! Wohlfeile Kunst, wohlseil in
der That — fast so wohlfeil wie das Leben selbst I

Nicht doch, jede Kunstbestrebung, welche es sich zur
Aufgabe gestellt hat, die Lebensbedingungen eines solch
erbärmlichen Daseins, wie wir es eben in seinem krasse-
sten Extrem schilderten, auch nur etwas erträglicher zu
gestalten, verdient gewiß sicher als wertvoll bezeichnet zu
werden. Die Verfechter dieser wohlfeilen Kunstproduktion
finden volle Entschädigung für ihr weniger glänzend
dotiertes Schaffen — und das Nämliche gilt für jede
minder lohnende Arbeit — in dem erhebenden Bewußt-
sein, zur Allgemeinverbilligung des menschlichen Daseins
das Ihre mit beigestiftet zu haben. Wenn wir aber
unsere Kunst hineintragen wollen in die Hütten des
Volkes, so müssen wir zunächst darauf sehen, daß dieses
Volk überhaupt ein Heim besitzt, ein Heim nämlich, das
ihm gesicherter ist als durch die Garantie einer auf acht
Tage im voraus bezahlten Miete, ein Heim, in das es sich
nicht nur flüchtet, um nach einer zehn-, zwölf-, sechzehn-,
ja wohl gar achtzehnstündigen harten Arbeit rasch einmal
für ein paar Augenblicke die müden Augen zu schließen.

Ich bin ganz der Ansicht eines meiner Freunde,
der gelegentlich eines Kongresses zur Förderung des Kunst-
verständnisses einmal erklärte: er kenne für ein Heim,
in dem Meister Schmalhans Küchenmeister, keine bessere
Dekoration als einen tüchtigen Schinken. Wenn ans der
Tischplatte nichts zum Beißen liegt, kann man von
ihrem Besitzer wirklich nicht verlangen, daß er sich über
ihre saubere Politur freut.

Eine recht gediegene Grundlage ist überall die
Hauptsache. Macht den Leib satt, und ihr werdet auch
dem Geiste Nahrung zuführen. Das scheint gewiß etwas
recht Selbstverständliches. Einfaches zu sein, so eine Art
von Fundamental-Grundsatz und doch — wieviel sozial-
reformatorischer Agitation hat es nicht bedurft, ehe diese
ganz natürliche Auffassung auch nur in dem geringen
Grade zum Durchbruch gelangte, den wir heute hinsicht-
lich der Behandlung unserer Schulkinder konstatieren
können.

Die besten Vorbedingungen für Kunstempfänglichkeit
— hier ist selbstverständlich von einer noch ganz unbeein-
flußten die Rede — bietet eine einfache, natürliche und
gesunde Lebensführung, die nicht abgestumpft ist durch
überangestrengtes Arbeiten und nicht degeneriert durch
dies ewige Hasten nach Geldgewinn. — Wo ein an-
ständiger Erwerb die Möglichkeit gewährt zu einem
menschenwürdigen Dasein, gepaart mit Muße und Frei-
heit, da ist auch ein offenes Herz für Kunstschöne und
Natur. Die Existenzbedingungen der Kunst sind die
Existenzbedingungen des menschlichen Lebens, sie sind so-
zusagen ihr erhabenster Ausdruck.

Die Herrlichkeit der antiken Kunst (selbst die des
asiatisch angehauchten Despotismus von Griechenland und
Rom) strahlte in verschwenderischer Pracht von den
Staatsgebäuden und öffentlichen Denkmalen. Dort konnte
sie jedermann sehen, jeder Bürger konnte sie in Muße
bewundern, selbst dem sonst so rechtlosen Sklaven war

Drei Schwestern, von Walther Georg i.

Intern. Aunstausst. 1895 des Vereins bild. Aünstler (Secession) zu München.

dies gestattet. Die Dome des Mittelalters, diese großen
Sammelstätten aller Kunstzweige, standen jeder Zeit zum
Besuch und zur Erbauung der Bevölkerung offen. In
jenen glücklichen Tagen prunkten noch die Straßen in
Zieraten und Farben und trotz des finstern Despotismus,
der in vieler Hinsicht auf den breiten Volksschichten lastete,
war das Leben selbst doch voll Sonnenglanz und Romantik,
kannte es auch noch keine Kunstausstellungen, so kannte
es dafür auch nicht jenen pfenniggierigen Hungerleider
und jenen thalerklimpernden Protz, mit welchen Jammer-
bildern wir die Öde unseres jetzigen Seins ausfüllen
müssen.

Gehen wir zu dieser modernen Zeit über, so sehen
wir, daß wie jede andere menschliche Produktion, so
auch die künstlerische, von den großen Umwälzungen auf
wirtschaftlichem Gebiete in Mitleidenschaft gezogen wurde
— Umwälzungen, welche sich gründeten auf neuen Be-
dingungen hinsichtlich Herstellung, Arbeitsteilung, Boden-
besitz, auf dem Streben nach Zentralisation und auf dem
Einfluß des Weltverkehrs. Die Kunst ward mehr und
mehr zu einer Privatsache, zu einem Gegenstand des
persönlichen Eigentums, und soweit haben wir uns
von dem Prinzip, sie fast ausschließlich in den Dienst
der Öffentlichkeit zu stellen, entfernt, daß heutigen Tages
nur noch wenige Künstler diesem ursprünglichen Zwecke
gerecht zu werden verstehen oder vielmehr, daß es nur
noch ganz vereinzelte Jünger Minervas giebt, welche es
für der Mühe lohnend halten, Zeit und Ideen letzterer
Aufgabe zu widmen.

An Stelle der Ehrfurcht gebietenden, Vornehmheit
atmenden Staatspaläste, Dome und Ruhmeshallen der
Vergangenheit haben wir heute fast ausnahmslos plumpe,
marktschreierische öffentliche Gebäude, plumpe und steife
Gotteshäuser, ein Sammelsurium aller möglichen, uns

Die Ullnst für Alle X.

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