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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Springer, Jaro: Die 1895er Jahresausstellung der Münchener Secession, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0466

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Die 1895er Iahresausstellung der Münchener Secession.

„Die heilige Cacilia" von M. Schnür ist farbenfrisch und lebendig dargcstellt. CH. Fred. Ulrich
zeigt sich in seiner „Stickerin" und dem eleganten Lampionsbild als zwar nicht ultramodernen, aber geschmack-
vollen und liebenswürdigen Maler. Tragy hat mit vielem Geschick in sommerlicher Landschaft lichte Figürlein
mit Hellem Sonnenstrahl beleuchtet; von Bohnenberger, Winternitz, Bennewitz v. Lösen, Bruno
Piglheinsi sind vorzügliche Bildnisarbeiten der verschiedensten Art da. Als ungewöhnliche koloristische
Leistung darf man Weinholds überaus breit und flüchtig gemalten „St. Sebastian" bezeichnen. Ludwig
Herterichs Bild „Abendklänge" — ein junges Weib, das im Kastanienschatten träumerisch lauschend dasitzt —
erfreut durch die virtuose tonige Behandlung, ein Meisterstück moderner Stimmnngsmalerei. Hübsche lustige
Kleinigkeiten, „Schmetterlinge", „Begegnung", „Löwe und Höflinge", „Konzilium", brachte der aus den
„Fliegenden" durch seinen köstlichen Humor bekannte Hengeler. Ist auch auf seinen Täfelchen das „Was?"
der Darstellung die Hauptsache, so haben sie doch auch ein gewisses originelles Email der Farbe, das sie als
feinen und ergötzlichen Wandschmuck erscheinen läßt.

Der stattlichen Reihe von Landschaften, die auf dieser Ausstellung bedeutsam vertreten sind, kann des
Raumes wegen nur in Kürze gedacht werden. . Ludwig Dill, der Führer der „Secession", gehört heute
auch zu den Führern der neueren Münchener Landschafterschule. Er malt verblüffend weich und tonig, und
sein „Frühlingsabend am Po" mit den vielen blauen Blumen und den Hellen Birkenstämmen atmet so recht
die blaue, erschlaffende Luft eines italienischen Aprilabends. Eine der allertrefflichsten Leistungen hiesiger
Landschafter ist Gabriel Thompsons große „Mittelsränkische Landschaft". In seinem kühlen, zarten Ton
erinnert dies Werk im besten Sinne an die tüchtigsten englischen Landschafter. Thompson hat uns bis jetzt
nur mehr oder minder Kleinigkeiten sehen lassen, und daß sein Debüt auf dem Gebiete der großen Kunst gleich
so prächtig ausficl, das läßt uns von diesem Maler für die Zukunft das Schönste erwarten. Otto Reiniger
(Stuttgart) ist in seinen neuen Landschaften womöglich noch kraftvoller und wuchtiger als bisher, und nament-
lich seine Himmel sind schlechtweg meisterhaft, unbeschreiblich großzügig gegeben. Viel bemerkt werden Raben-
dings markige Schilderungen aus dem Dolomitengebiete und Buttersacks sarbenschöne, breit hingestrichene
Landschaften. Karl Haider brachte eine sommerliche Landschaft, Wohl aus dem Jsarthal, Hügel mit Buchen-
wäldern überzogen in sattem Grün und schwerem wolkigen Himmel darüber; seine Darstellungsweise ist von
naiver Genauigkeit und fast peinlicher Berücksichtigung der Einzelheiten; doch dafür spricht so unbeschreibliche
Vertrautheit mit der Natur aus dieser innig beseelten, wahren Landschaft, daß einem vor dem Bilde ordentlich
das Herz aufgeht. Velten, Steppes, Hetze, P. P. Müller, Kampmann, Hölzel, Hänisch, Meyer-
Basel, Ubbelohde, Strützel, Schönlebcr, Schultze-Naumburg, Kaiser, Goltz, Strützel,
Th. Hagen, Volckmann, Gleichcn-Rußwurm und noch mancher andere sind durch Arbeiten vertreten, die
eingehendere Würdigung verdienten.

Die Beschickung, welche die Secessionistenausstellung seitens des Auslandes erfuhr, ist eine treffliche und
namentlich entspricht sie vollständig dem Geiste, der die Münchener Secessionisten leitet. Es ist eine Kunst,
die der Münchener und die ihrer fremden Gäste, und darum ist auch die ganze Ausstellung aus einem Gusse.
Diesen Vorzug hat neben der Münchener Secession eigentlich von den modernen Ausstellungen nur noch der
Pariser Marsfeldsalon.

Eines der Hanptbilder, die von auswärts kamen, ist Bruno Liljefors' große „Auerhahnbalz". An
Keckheit und Sicherheit des Vortrags, an Naturtreue und Poesie der Landschaftsstimmung hat der geniale
Schwede Wohl noch nichts Besseres geleistet. Die Münchener Pinakothek hat sich dies Meisterwerk denn auch
sogleich gesichert. Hubert Herkomer läßt uns in diesem Jahre einmal einen weiblichen Akt von keuschester,
reinster Schönheit sehen, ein Bildnis seines Sohnes, mehrere entzückend seine und dabei staunenswert lebendige
kleine Aquarellbilduisse und außerdem eine ganze Serie von in „Schwarzkunst" hergestclltcn Porträts teilweise
bekannter Persönlichkeiten. Der französisch-amerikanische Holländer Gari Melchers, der sich von einer fast
quäckerhaften Nüchternheit zu fröhlichster Farbigkeit bekehrt hat, hat zwei reizvolle Bilder, „Schlittschuhläufer"
und „Junge Mutter" da, Viggo Johannsen eines seiner bekannten intimen Zimmerbilder und eine Gruppe
von Figuren im Freien bei Abendbeleuchtung, ein Werk, das in seiner Art zu den zwei oder drei besten
Bildern der Ausstellung zu zählen sein dürste. Genial-wunderlich ist Segantinis Gemälde „Die Gestalten
der Kindsmörderinnen", eine eisige Hochgebirgslandschast, durch welche die Gestalten der unseligen Weiber in
Scharen hcranschwebcn. AuS den Knorren und Ästen einzelner Bäume wachsen die Köpfchen der gemordeten
Kinder heraus, mit bläulichen Lippen die Brüste der Mütter suchend. Bei aller Schrullenhaftigkeit von
Segantinis komplizierter Technik ist doch vieles auch in malerischem Sinne wieder wunderschön an diesem
Bilde; aber im ganzen mag er uns doch als Darsteller des wirklichen Lebens, als der er oft an Millet
heranreicht, lieber sein.

Holland hat durchweg gut, wenn auch wenig überraschend ausgestellt. Josef Israels, Breitner,
P. de Josselin de Jong, Blommers, de Bock, Bisschop, ten Cate, Havcrmaun, die beiden
Maris seien mit besonderer Auszeichnung genannt. Von den Belgiern hat, was moderne Malerei angcht,
 
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