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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Reichenberg, Clemens: Halîm in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0022

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von Llemens Reichenberg.

N

Waria-Thrrrstoprl wird zur Kgl. Trristadk erklär!. 1779. von Mathias Iantyik.

der mittelste war ans Kreuz genagelt — bei allen war
ersichtlich, daß sie die schrecklichsten Schmerzen hatten
ausstehen müssen, und daß der Künstler — oder wäre
dies nicht mehr künstlerisch? — diese Qualen mit
roher Wollust nachgefühlt und abgebildet hatte, so, wie
wohl jemand kräftige Unanständigkeiten vorträgt. Denn
ich halte doch dafür, daß Irrende sich an der Vorstellung
von anderer Pein im heimlichen Herzen nicht minder
laben als an Lüsternheit. Wie erschrack ich nun aber,
als Zadoch mir deutete, dies stelle den Messias der Gjaurs
vor zwischen den zwei Schächern. Flach ist das Kunst-
vergnügen derer, die um der Malarbeit willen, die ihnen
vielleicht genießbar scheint, so Furchtbares übersehen und
vergessen; aber noch viel flacher muß ihr Gemüt sein,
oder ganz befangen in der Gewöhnung an Schrecknisse,
daß sie es ertragen, ihren Propheten und Heiland so
greulich zu schauen, da er doch in seinem Wandel unter
dem Volke und vor den Pharisäern viel herrlicher und
heiliger litt als gerade im körperlichen Tode.

Meine Gedanken hierüber wußte Zadoch nicht zu
widerlegen; er äußerte nur, solche Martern zu malen
und an ihnen sich zu erbauen sei bei den Gojims seit
bald zweitausend Jahren herkömmlich, und deshalb sei
es nur billig, daß gläubige oder auch ungläubige Maler
dergleichen malten und ungläubige oder auch gläubige
Käufer sie kauften; übrigens hätten Neuerer auch andere
Wege eingeschlagen, von denen, wie man ihn versichert
habe, das nächste Bild zeuge; freilich verstehe er das nicht.
Wir betrachteten das nächste Bild, und fürs erste konnte
ich mich wohl daran freuen. Es zeigte in recht natürlicher
Weise eine schöne Berglandschaft, in der ganz vorne links
eine hölzerne Bauernhütte, rechts eine Scheune stand.

Die Sonne schien und ein altes Weib hatte seine Teppiche
auf den Boden gebreitet, stellte auch seine Blumentöpfe
dazu. Ein Mann und ein Mädchen, das sich geputzt
hatte, standen dabei, ein anderer Mann fuhr auf einem
Schiebkarren ein krankes Kind daher: alle diese sahen
auf mancherlei Leute, die weiter zurück einen Arbeiter
umdrängten und ehrfürchtig beobachteten, wie er einem
Kind die Hand auf den Kopf legte. Auf diesen Vorgang
wurden auch einige Schwarzröcke aufmerksam gemacht,
da sie ihn nicht zu bemerken schienen: ich hielt sie für
Hodschas, die sich über ihre Lehren unterredeten. Allein,
was das alles zusammen vorstellte, begriff auch ich nicht,
wir fragten deshalb einen der Aufseher um die Be-
deutung. Der Mann wunderte sich etwas über unsere
Unwissenheit, sagte dann aber, der Arbeiter sei bekannt-
lich nach neuerer Mode der Herr Jesus, den die schlichten
Bauern, nicht aber die Schriftkundigen erkennen. Statt
mich zu belehren, machte diese Antwort mich völlig wirr.
Sie haben einen Gott und kein Gesetz verbietet ihnen,
seine Person darzustellen und nach dem reinsten Ausdruck
seiner Göttlichkeit zu suchen; diesen Ausdruck finden
sie nun nicht in Formen, die über den Zufälligkeiten
der Zeit erhaben sind, sondern in einem Versteckspielen
mit allerlei Übertragungen willkürlicher, schillernder Art
und mit jenen uns unverständlichen, so weichlichen und
zugleich so unduldsamen Ideen, von denen jetzt das Leben
der Europäer beunruhigt werden soll. Gedankenkampf
also selbst im Kunstvergnügen! Sähe man nur wenig-
stens, daß er auf jemand wirkte. Aber vor diesem
Bilde standen wir allein, während vor anderen fröhliche
Menschen standen; wahrscheinlich sollte es Bildung ver-
breiten und man vergnügte sich lieber.
 
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