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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Schmidkunz, Hans: Wechselwirkungen zwischen Literatur und bildender Kunst um die Wende des vorigen Jahrhunderts, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0135

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Ivo Wechselwirkungen zwischen Litteratur und bildender Kunst nrn die wende des vorigen Jahrhunderts.

definierte man womöglich so, daß die Leichtfaßlichkeit nicht fehlte; selbst Lessing blieb dabei. Was Wunder,
wenn man dann zweitens wenig geneigt war, das eigene Urteil den Besonderheiten jeder Kunstart unterzu-
ordnen, wenn man diese verwischte und vermischte und in den bildenden Künsten am liebsten das sah, was
darin am leichtesten zu sehen war, das Poetische? Und drittens war dieses ohnedies der Ruhm der Zeit, die
Künste der Bewegung überhaupt denen der Ruhe überlegen.

Solchen Neigungen entgegenzutreten, war Lessing der rechte Mann: ein messerschneidiger Geist, dessen
Urteil allzuviel Eigenkraft hatte, uni wie bei so vielen Künstlern im Dienst der individuellen Praxis aufzu-
gehen. Es geschah Wohl nickit einzig aus Rücksicht auf seinen Freund Mylius, daß er dessen Übersetzung des
ästhetischen Werkes von Hogarth („Zergliederung der Schönheit", 1754) mit ausdrücklichem Lob des sonst
wenig anerkannten Hogarthschen Grundsatzes von der Wellenlinie rühmte; denn hier war einmal von einem
bildenden Künstler selbst ein, wenn auch überschätztes, so doch spezifisch bildnerisches Element vorgeführt. Allein
so sehr sich Lessing im „Laokoon" nach solchen Elementen bemühte, so stark auch die allgemeine Wirkung
dieser Schrift war, und so sehr Goethe noch 1798 z. B. gegen das Vermischen der Kunstarten sprach —
sie hat doch nicht viel geändert. Sie hat nicht zuwege gebracht, daß man sich gewöhnte, in den Werken der
bildenden Kunst zu allererst Bildwerke zu sehen; sie hat es auch nachher geschehen lassen, daß man in ihnen
statt ihrer eigentümlichen Formensprache zuvörderst die ihnen nicht eigentümliche Jdeensprache sah. Noch weit
über die Klassikerzeit hinaus, bis zu den letzten Vertretern der idealistischen Philosophie Deutschlands ging
dieser Zug; erst der feinsinnige Kunstkenner und Kunstdenker Robert Zimmermann hieß, wenn auch noch so
unfruchtbar systematisch, das Schöne als ein mehrfach verschiedenes verstehen: als das des zusammenfassenden
Vorstellens für die Phantasie, die sich in Zeit- und Raumformen ergeht, als das des empfindenden Vorstellens
für die Phantasie, die sich in Tönen und Farben tummelt, und als das des Gedankcnvorstellens für die

Phantasie, die sich in der Dichtkunst
bethätigt.

Damals aber regte sich immer wieder
das Streben, über Lessings „Laokoon"
hinaus oder auch zurückzugehen. Man
vergleiche mit dieser Schrift die gleich-
namige Goethes von 1797. Lessing sagt
von dem „einzigen Augenblick, an den die
materiellen Schranken der Kunst alle ihre
Nachahmungen binden", und der „nicht
fruchtbar genug gewählt werden kann",
folgendes: Erhält er „durch die Kunst
eine unveränderliche Dauer, so muß er
nichts ausdrücken, was sich nicht anders
als transitorisch denken läßt". Goethe
sagt: „Wenn ein Werk der bildenden
Kunst sich wirklich vor dem Auge bewegen
soll, so muß ein vorübergehender Moment
gewählt sein; kurz vorher darf kein Teil
des Ganzen sich in dieser Lage befunden
haben, kurz nachher muß jeder Teil ge-
nötigt sein, diese Lage zu verlassen; da-
durch wird das Werk Millionen Anschauern
immer wieder neu lebendig sein." Ja noch
mehr: Goethe weidet sich an dem Ge-
danken, den ganzen Marmor in Bewegung
zu sehen, und rät dazu, in gehöriger Ent-
fernung die geschlossenen Angen zu öffnen
und sogleich wieder zu schließen; oder
auch, die Gruppe nachts bei der Fackel
zu sehen. Ja er will dies sogar zu dem
ausdrücklichen Zweck: „um die Intention
des Laokoon recht zu fassen". Auch daß
Goethe der bildenden Kunst, noch dazu
mit dem Zusatz: „die immer für den
Weibliches Bildnis, von Hildegard Thorell. Moment arbeitet", zumutet, sie werde,
 
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