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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Voll, Karl: Die retrospektive Abteilung der VII. Internationalen Kunstausstellung zu München
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0443

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Die retrospektive Abteilung der VII. Internationalen Kunstausstellung zu München.

SS»

Meistern aber ist bis auf das, was man unter dem
Namen des älteren Halbem sieht, gar nichts da.

Uns interessieren hier mehr die Künstler dieses
Jahrhunderts, von denen eine Anzahl mit mehr oder
niinder guten Arbeiten vertreten ist. Die ältesten darunter
sind Gainsborough und Reynolds; ich rechne sie hie-
her, obwohl ihre Thätigkeit noch sehr mit der Kunst
des vorigen Jahrhunderts zusammenhängt. Sie leiten
aber herüber zu den Männern, die am Anfänge unseres
Jahrhunderts in England und Frankreich die Grund-
steine zur modernen Kunst legten. Gainsboroughs Ruhm
als Porträtist ist über die ganze Welt gedrungen; seine
Werke jedoch sind am Kontinent ungemein selten, und wir
begrüßen darum mit Freuden das feinsinnige, delikate
Bildnis einer Dame. Das männliche ist ziemlich spröd
und erweckt keinen besonders günstigen Begriff von der
Kunst des großen Briten. Er war auch ein tüchtiger
Landschafter, wofür eine hier ausgestellte Waldlichtung
zeugt. Seinen Zeitgenossen und Rivalen Reynolds, der so
glänzend zu malen und sich so geschmeidig an die alten
Meister anzuschmiegen wußte, lernen wir ziemlich un-
genügend aus dem großen Prachtporträt einer vornehmen
Dame kennen. John Constable wird gewöhnlich als
der Begründer der modernen Malerei bezeichnet, obwohl
er bei Beginn dieses Jahrhunderts schon 25 Jahre zählte.
Er malte zum erstenmale wieder mit warmen, kräftigen,
aus der Natur genommenen Farben. Hier ist ein
koloristisch reizvolles, aber nicht mit der für Constable
charakteristischen Klarheit entwickeltes Stück: „Die Beng-
holt-Mühle", seine Heimat. Gleichzeitig mit ihm war
der auf dem Kontinent nur dem Namen nach bekannte
William Turner ein Lichtmaler von großer Kraft.
Wir dürfen jedoch bei diesem Worte uns nicht durch
Vorstellungen beeinflussen lassen, die uns der streng
realistische Harrison oder der eigenwillig phantastische
Besnard erwecken. Turner wußte das stärkste und feinste
Licht zu malen, brachte aber doch den akademischen Drill,
die schwere Farbe und das Komponieren nicht los. Ge-
rade bei 'einem Meister, dessen große Bedeutung, dessen
absoluter Wert heute noch von allen Parteien so rück-

haltslos anerkannt werden, darf man Wohl darauf Hin-
weisen, daß auch gegenüber diesen Bahnbrechern vom
Anfang des Jahrhunderts die heutige Kunst einen immensen
Fortschritt bedeutet. Wir haben uns die tatsächliche
Unbefangenheit vor der Natur zurückerobert. Daß
Turner diese nicht besaß, beweist der hier ausgestellte
„Thuner See", der an Stelle eines besseren Werkes
uns wenigstens eine Ahnung gibt von dem Gewaltigen
in der Kunst dieses größten Malers jener Zeit. In
Bonington, einem Romantiker, besaßen die Engländer
einen Maler von sehr starkem Talent; leider war seine
Gesundheit so schwach, daß er in jungen Jahren von
der Welt scheiden mußte. Trotz des frühen Todes
hinterließ er treffliche Arbeiten. Die „Siesta" zeigt,
wie flott und leicht seine Auffassung war, wenn wir
auch an ihr nicht erkennen können, wie gründlich er zu
arbeiten pflegte. In ihm lag das Zeug zu einem eng-
lischen Delacroix.

Dieser Name führt uns zur französischen Malerei,
die ziemlich viele Vertreter in der retrospektiven Aus-
stellung gefunden hat. Delacroix selbst, der große
Künstler mit der reichen Phantasie, dem beweglichen
Geiste und der noblen Gesinnung ist mit einem kleinen,
aber reizenden Bildchen hier erschienen: „Heinrich IV.
von Frankreich mit seiner Geliebten Gabrielle d'Eströe
an einem Tische". Die schöne, eigensinnige Dame schmollt,
aber der joviale König, der ihr gegenüber sitzt, ist nicht
nur ein munterer, sondern auch ein kriegsharter Mann.
Heiter faßt er die Mißstimmung auf, wohl wissend, daß
dies das einzige Mittel ist, von den Damen nicht besiegt
zu werden. Wer sich unterwirft im Krieg der Liebe, der
wird unterjocht. Das Bild ist mit viel Geist und
Lebendigkeit gemacht, man begreift vor ihm nicht, wie
heutigentags noch mit dem großen Delacroix der klein-
liche Delaroche verwechselt werden kann. Wenn keine
anderen Leute als jener sich der Historienmalerei ge-
widmet hätten, dann wäre das Fach nicht so in Verruf
gekommen. Wenn Delacroix, der zwar sehr tüchtige
Naturstudien machte, doch den Kern seiner Kunst mehr
in der eigenen Ideenwelt fand, so lebte damals eine
Künstlerschar in Barbizon, die wohl großen
Wert auf den idealen Gehalt eines Kunst-
werkes legte, aber vor allem die Wieder-
gabe der Natur verlangte. So objektiv,
wie wir die Außenwelt ansehen, oder so
wie seiner Zeit Velazquez sie ansah, blickten
jedoch damals die Künstler nicht in die
Schöpfung. Sie lebten zur Zeit der Ro-
mantiker, der geistreichsten Leute der Welt,
aber auch der unzuverlässigsten. Jene Männer
waren keineswegs ungründlich, Gott behüte,
aber sie waren zu reich an Geist und Herz.
Das macht uns, die wir sachlicher geworden
sind, die Maler von Barbizon ein wenig
fremd. Was wir von Daubigny, Dupre,
Diaz und Corot hier sehen, ist meistens
sehr gut, und wir brauchen nur „Die
Furt" von Lessing zu betrachten, um
zu erkennen, daß diese französischen Ar-
beiten nicht nur hervorragend sind, son-
dern auch weit über dem stehen, was da-
mals irgendwo gemacht wurde. Jedoch
konnte man noch einen Schritt weiter

Landschaft, von I. L. L. Loiol.
 
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