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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Pascent, E. N.: Von der modernen Kunst auf der Pariser Weltausstellung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0100

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-*~SÖ> PARISER WELTAUSSTELLUNG <£s£^~

richterstatter speziell fällt, auch beim flüch-
tigsten Referat darf er einen Seufzer darüber
nicht unterdrücken, was sie hätte sein können
und was sie geworden ist! Die Säle selbst
so prachtvoll und feierlich, echte Schöpfungen
Em. Seidl's und Lenbach's, dass man aus
dieser Ausstattung den Schluss ziehen musste,
den Deutschen von heute sei die bildende
Kunst eine sehr ernste, fast religiöse Ange-
legenheit. Die sinnlose Auswahl, die lieblose
Plazierung der Werke selbst musste einen
freilich auf ganz andere Gedanken bringen.
Gebildete Franzosen, die das deutsche Kunst-
leben mit wachsamem, teilweise verständnis-
vollem Blick verfolgen, waren tief enttäuscht;
die grosse, zum Teil sehr wertvolle Kollektion
von Werken Lenbachs konnte, als Manifestation
eines Einzelnen, doch nicht entschädigen für
das künstlerische Selbstporträt eines ganzen
Volkes, das sie erwartet hatten. Hier hatte
noch einmal der sogenannte deutsche Indi-
vidualismus, der in allen anderen Abteilungen
der Ausstellung zu gunsten eines kraftvollen,
prächtig disziplinierten Zusammenarbeitens zu-
rückgedrängt war, noch einmal „triumphiert",
d. h. sich selbst eine Grube gegraben. Es
ist nicht einmal viel Hoffnung, dass unsere
Künstler aus dieser Niederlage lernen werden ;
die nächstjährige „Internationale" in München
bietet ihnen Gelegenheit, zu zeigen, ob sie
irgendwelchen Lehren zugänglich, irgend einer
Selbsteinkehr in dieser Hinsicht fähig sind.

Die Niederlage der deutschen Kunst ist
um so bedauerlicher, als bei dieser Jahr-
hundertschau in Kunst und Kunstgewerbe die
germanischen Nationen im allgemeinen sich
als die aufsteigenden erwiesen. Was die roma-
nischen betrifft, so hatte Spanien seinen hoff-
nungsvollsten Künstler, Zuloaga, überhaupt
nicht zu Worte kommen lassen, Italien seine
trefflichen Secessionisten möglichst in den
Hintergrund gedrängt, um sich vor allem mit
dem Erbe seines grossen Toten, Segantini, zu
brüsten; von Portugal ist gar nichts zu sagen. —
Es ist natürlich, dass im Vergleich zu diesen
Ländern Deutschland immer noch glänzend
dastand. Die Schweiz, die vergessen zu haben
scheint, dass Arnold Böcklin in Basel geboren
ist, hatte annähernd so uneinheitlich und plan-
los ausgestellt, wie Deutschland, natürlich aber
doch nicht den Eindruck eines gleich hohen
Gesamtniveaus hervorrufen können. Wie die
Schweiz, so ist auch Oesterreich keine Ein-
heit als Nationalitätsbegriff; aber indem das
Königreich Ungarn seine fast durchweg hohle
und lärmende Kunst streng gesondert ausstellte
und ebenso die österreichischen Polen — im
Pavillon Oesterreichs an der Rue des Nations —

fast ganz für sich und unter sich waren, konnte
die deutsch-österreichische Kunst in den
beiden Wiener Sälen, der Künstlergenossen-
schaft und der Secession, Ensembles von
feinstem Geschmack in Auswahl und Aus-
stattung schaffen. Klimt's vielumstrittenes
Deckenbild, die „Philosophie", übte natürlich
als „Aktualität" besondere Anziehungskraft,
ohne, rein künstlerisch betrachtet, den Höhe-
punkt der Kollektion zu bilden.

Man darf wohl auch Belgien den germa-
nischen Kunstgebieten angliedern; seine Aus-
stellung bewies wieder, wie das germanische
Element, wenn auch französisch geschult, in
seiner Kunstübung überwiegt. Ein etwas nüch-
terner, harter, aber gesunder Realismus, der
sich in grossen Bildern wie E. Claus' „Kühen
im Wasser" und Leon Frederic's seltsamer
Phantasie „Der Bach" oder auch in Laermans'
herben Schöpfungen zu einer gewissen Monu-
mentalität erhob, in den anspruchsvollen Phi-
listrositäten von Jef Leempoel's immer ärger
sich selbst karikiert und kompromittiert. Fer-
nand Khnopff's ätherische Kunst erscheint,
daneben betrachtet, mehr ein Gegenpol, als
ein Gegengift; ähnlich wie bei den Holländern
Toorop's Linienkunst. Toorop zeigte sich
übrigens diesmal von der anderen Seite seines
Wesens: nicht als „Ideen"-Maler, sondern als
Maler schlechthin. Und als solcher ist er
nicht nur sympathischer, er fügte sich auch
besser dem Rahmen des holländischen En-
semble ein, das nobel, ruhig und musterhaft
war, wie wir es seit vielen Jahren von den
holländischen Ausstellungen gewöhnt sind.
Auch hier, wie in Belgien, überwiegt die
Wirklichkeitskunst, aber sie ist weicher, sen-
sibler, poetisiert die Dinge mehr von innen
heraus.

So wenig wie Belgien und Holland bot
England Neues. Seine Säle waren ein guter
Extrakt aus einer Academy-Ausstellung; ein
paar Zimmer des Burlington - House ans
Seine-Ufer hinüberverpflanzt. Gewiss hat die
englische Kunst von heute, im ganzen ge-
nommen, sich wenig bewahrt von der robusten
Lebensfülle und üppigen Grazie der grossen
Porträtmeister des achtzehnten Jahrhunderts,
und auch von der präraphaelitischen Be-
wegung wirken nicht gerade die Kräfte mehr
nach, die ihre ethische und künstlerische
Grösse ausmachten. Aber die englischen
Säle — ein illustrierter Sonder-Aufsatz wird
noch spezieller von ihnen handeln frappieren
durch den AusdrucknationalerGeschlossenheit,
und aus diesem geschlossenen Gesamtbild lösen
sich immer noch einige bedeutende Persönlich-
keiten, die dem typischen Ganzen individuelle

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