CHARLES FRAN'gOIS DAUBIG NY
(1817—1878)
BERGSEE
DIE JAHRHUNDERT-AUSSTELLUNG
DER FRANZÖSISCHEN KUNST
Von Hugo von Tschudi
(Fortsetzung
Dreizehn Bilder, die sich über fast zwei Jahr-
zehnte erstrecken, gaben eine gute Vor-
stellung von Daubignys Entwicklung, der nur
die frühesten Anfänge fehlten. Wie der
jüngste, ist er wohl auch der malerischste
unter diesen grossen Landschaftsmalern; er
ist auch der wahrste von ihnen, der objek-
tivste. Als Persönlichkeit nicht so mächtig
wie die anderen, übertrifft er sie vielleicht des-
halb an Mannigfaltigkeit der Motive und
Feinheit der Beobachtung. Der Sumpf von
Optevoz aus dem Jahre 1857 erscheint noch
etwas hart in der Farbe, er erinnert sehr an
Dupre, dem Daubigny auch durch seine Vor-
liebe für bewegte Lüfte und mannigfaltige
Tagesstimmungen verwandt ist. Aus dem-
selben Jahre stammt die Darstellung eines
Thaies von grosszügiger Silhouette. Der „Mai"
von 1862 ist ein treffliches Beispiel seiner
Frühlingsbilder, in denen er das spriessende
Laubwerk der Büsche, das matte Grün der
Kornfelder, über die ein lauer Wind streicht,
den Blütenschimmer der Obstbäume und die
dünnen weissen Wolken, die am blauen
Himmel hinziehen, mit einer kaum wieder
erreichten Weichheit und Breite des male-
von Seite 23)
(Nachdruck verboten)
rischen Vortrages schildert. Zu Beginn der
siebziger Jahre setzt er die Farbe noch saftiger,
unvertriebener hin, bei dem „Waldbach" ist
das Flimmern des durch das Blütendach rieseln-
den Sonnenlichts mit fast impressionistischer
Technik wieder gegeben. Gleichzeitig wird die
Haltung seiner Bilder immer dunkler, er
schildert mit Vorliebe Dämmerungseffekte und
jene poetischen Mondaufgänge, von denen ein
besonders effektvoller aus dem Jahre 1874
zu sehen war.
Schwer verständlich erscheint uns heute,
wenn Daubigny in Berichten der Zeit als
schlimmer Realist hingestellt wird. Er ist
stets massvoll und von unwandelbarem Ge-
schmack. Man kann auch nicht sagen, dass
seine Probleme gewagt oder besonders vor-
geschritten gewesen wären, ja sie lagen nicht
einmal auf der geraden Linie der grossen
naturalistischen Entwicklung. In dem Streben
nach Luft und Licht hat er eigentlich nur für
die erstere volles Verständnis gehabt. Seine
Farbenanschauung unterscheidet sich kaum
wesentlich von derjenigen der alten Holländer.
Corot ist weit moderner in dieser Beziehung
und hat der impressionistischen Landschafts-
Die Kunst für Alle XVI. 2. 15. Oktolier 1900.
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(1817—1878)
BERGSEE
DIE JAHRHUNDERT-AUSSTELLUNG
DER FRANZÖSISCHEN KUNST
Von Hugo von Tschudi
(Fortsetzung
Dreizehn Bilder, die sich über fast zwei Jahr-
zehnte erstrecken, gaben eine gute Vor-
stellung von Daubignys Entwicklung, der nur
die frühesten Anfänge fehlten. Wie der
jüngste, ist er wohl auch der malerischste
unter diesen grossen Landschaftsmalern; er
ist auch der wahrste von ihnen, der objek-
tivste. Als Persönlichkeit nicht so mächtig
wie die anderen, übertrifft er sie vielleicht des-
halb an Mannigfaltigkeit der Motive und
Feinheit der Beobachtung. Der Sumpf von
Optevoz aus dem Jahre 1857 erscheint noch
etwas hart in der Farbe, er erinnert sehr an
Dupre, dem Daubigny auch durch seine Vor-
liebe für bewegte Lüfte und mannigfaltige
Tagesstimmungen verwandt ist. Aus dem-
selben Jahre stammt die Darstellung eines
Thaies von grosszügiger Silhouette. Der „Mai"
von 1862 ist ein treffliches Beispiel seiner
Frühlingsbilder, in denen er das spriessende
Laubwerk der Büsche, das matte Grün der
Kornfelder, über die ein lauer Wind streicht,
den Blütenschimmer der Obstbäume und die
dünnen weissen Wolken, die am blauen
Himmel hinziehen, mit einer kaum wieder
erreichten Weichheit und Breite des male-
von Seite 23)
(Nachdruck verboten)
rischen Vortrages schildert. Zu Beginn der
siebziger Jahre setzt er die Farbe noch saftiger,
unvertriebener hin, bei dem „Waldbach" ist
das Flimmern des durch das Blütendach rieseln-
den Sonnenlichts mit fast impressionistischer
Technik wieder gegeben. Gleichzeitig wird die
Haltung seiner Bilder immer dunkler, er
schildert mit Vorliebe Dämmerungseffekte und
jene poetischen Mondaufgänge, von denen ein
besonders effektvoller aus dem Jahre 1874
zu sehen war.
Schwer verständlich erscheint uns heute,
wenn Daubigny in Berichten der Zeit als
schlimmer Realist hingestellt wird. Er ist
stets massvoll und von unwandelbarem Ge-
schmack. Man kann auch nicht sagen, dass
seine Probleme gewagt oder besonders vor-
geschritten gewesen wären, ja sie lagen nicht
einmal auf der geraden Linie der grossen
naturalistischen Entwicklung. In dem Streben
nach Luft und Licht hat er eigentlich nur für
die erstere volles Verständnis gehabt. Seine
Farbenanschauung unterscheidet sich kaum
wesentlich von derjenigen der alten Holländer.
Corot ist weit moderner in dieser Beziehung
und hat der impressionistischen Landschafts-
Die Kunst für Alle XVI. 2. 15. Oktolier 1900.
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