DARF MAN VOM NIEDERGANG MÜNCHENS
ALS KUNSTSTADT SPRECHEN!
Der auch den Lesern dieser Zeitschrift nicht
unbekannte Berliner Kunstschriftsteller
Hans Rosenhagen hat vor kurzem im „Tag"
einen Artikel veröffentlicht, der den sensatio-
nellen Titel trägt: Münchens Niedergang
als Kunststadt. Der Verfasser war sich offen-
bar wohl bewusst, dass ein solches Urteil
nicht München allein, sondern ganz Deutsch-
land ins Herz greift und so hat er seine
Anschauung ziemlich ausführlich zu begründen
versucht. Diese Begründung ist nun freilich
nicht so sorgfältig wie lang. Sie läuft im
wesentlichen darauf hinaus, dass man in
Berlin seit einigen Jahren sich thatsächlich
in den Besitz des deutschen Kunstmarktes
gesetzt hat und dass infolgedessen nach Berlin
eine Fülle von Kunstwerken zusammen-
strömt wie kaum nach einer anderen deutschen
Stadt. Berlin ist darum ein Ort geworden,
wo man sich über die neueste Kunst besser
unterrichten kann als anderswo; aber bedeutet
das für die Reichshauptstadt wirklich einen
künstlerischen Aufschwung? Ferner bedeutet
es wirklich den Niedergang Münchens, wenn
Berlin auch in die Höhe kommt? Rosen-
hagen giebt sich die Miene, das zu glauben,
kann aber als ein sachkundiger Mann doch
nicht verschweigen, dass Münchens künst-
lerische Kultur der Berliner noch
immer überlegen ist. Der Besitz dieser
Kultur scheint mir zwar entscheidend zu sein
und schon allein Kraft genug zu besitzen, um
die Gründe, die die These vom Niedergang
Münchens stützen sollen, zu entkräften. Aber
es verlohnt sich doch wohl, im einzelnen die
Behauptungen Rosenhagens nachzuprüfen. Er
macht eine Scheidung zwischen reproduzieren-
den und schaffenden Künstlern, d. h. zwischen
solchen, die fremde, zumal altmeisterliche
Ideen immer wieder ausschlachten und solchen,
die neue Ideen aufwerfen und durchführen.
Er findetnun, dass die „schaffenden" Künstler,
unter denen er die Secession versteht, auf
dem Aussterbeetat stehen. Nach ihm haben
sie zum Teil kapituliert und sind in jedem
Sinne des Wortes zurückgegangen, haben sich
wieder den reproduzierenden, innerlich sterilen
angeschlossen, sind aber auch zum Teil der
Ungunst der Zeiten, dem verständnislosen
Publikum unterlegen, unter das Rosenhagen
vor allem die bayerische Regierung zählt,
(Nachdruck verbotenl
endlich aber sollen sie durch ihre Kollegen
unterdrückt worden sein.
Diese Scheidung zwischen Reproduzierenden
und Schaffenden schmeckt zu sehr nach
Theorie und sogar nach Knifftheologie, um
ernsthaft zu wirken. Sie mag überraschen,
kann aber nicht überzeugen. Das gilt denn
auch von vielen anderen Aufstellungen Rosen-
hagens, selbst wenn sie recht konkreter Art
zu sein scheinen. Was z. B.von den „verfehlten
Massnahmen" der Regierung gesagt wird,
trifft den Nagel so wenig auf den Kopf, dass
man unwillkürlich an jenen Spruch erinnert
wird, der da heisst: Ich kenne die Mass-
regeln der Regierung nicht, aber ich miss-
billige sie. Rosenhagen findet z. B., dass die
Ueberlassung des Kunstausstellungsgebäudes
am Königsplatz ein wahres Verhängnis für die
Secession geworden ist und es fehlt wenig,
dass er die Regierung einer freilich unabsicht-
lichen Perfidie anklage. Nun ist's ja wahr, dass
das Gebäude zu klein ist und auch sonst
manchen Fehler hat; aber man darf nicht
vergessen, dass die Secession erstens eine
ausserordentlich schwerwiegende moralische
Unterstützung durch die Ueberlassung des
Tempels an den Propyläen erfuhr und dass
sie zweitens ihre pekuniäre Selbständigkeit
dort erlangte. Das sind zwei Faktoren, die
so wichtig sind, dass sie beinahe als aus-
schlaggebend gelten dürfen. Aber Rosen-
hagen beklagt fernerhin, dass die Secession
von ihrer Freiheit nicht den richtigen Ge-
brauch gemacht hat. Sie hat nämlich ihre
Säle mit seidenen Tapeten bespannt, die aller-
dings auch nach des Referenten Geschmack
nicht recht glücklich gewählt sind; aus dem
Vorhandensein der Tapeten schliesst nun der
Berliner Kunstschriftsteller, dass die Secession
dem Tapeziererstil verfallen sei. Das heisst
aus Mücken Elefanten machen. Die Tapeten
haben dort wirklich mit dem Gelingen einer
Ausstellung gar nichts zu thun. Aber Rosen-
hagen geht noch weiter. Er macht in der
Eile einen wenig geglückten Ausfall gegen
Lenbach, der aus diesem Munde schon recht
altbekannt klingt, stellt ihn als den Vater
aller reproduzierenden, im falschen Sinne
dekorativ arbeitenden Künstler hin und sucht
zu konstatieren, dass die Secession nicht nur
in Aeusserlichkeiten, wie in dem Spiel mit
Die Kunst for Alle XVI. Jahrg. H. 16.
I
ALS KUNSTSTADT SPRECHEN!
Der auch den Lesern dieser Zeitschrift nicht
unbekannte Berliner Kunstschriftsteller
Hans Rosenhagen hat vor kurzem im „Tag"
einen Artikel veröffentlicht, der den sensatio-
nellen Titel trägt: Münchens Niedergang
als Kunststadt. Der Verfasser war sich offen-
bar wohl bewusst, dass ein solches Urteil
nicht München allein, sondern ganz Deutsch-
land ins Herz greift und so hat er seine
Anschauung ziemlich ausführlich zu begründen
versucht. Diese Begründung ist nun freilich
nicht so sorgfältig wie lang. Sie läuft im
wesentlichen darauf hinaus, dass man in
Berlin seit einigen Jahren sich thatsächlich
in den Besitz des deutschen Kunstmarktes
gesetzt hat und dass infolgedessen nach Berlin
eine Fülle von Kunstwerken zusammen-
strömt wie kaum nach einer anderen deutschen
Stadt. Berlin ist darum ein Ort geworden,
wo man sich über die neueste Kunst besser
unterrichten kann als anderswo; aber bedeutet
das für die Reichshauptstadt wirklich einen
künstlerischen Aufschwung? Ferner bedeutet
es wirklich den Niedergang Münchens, wenn
Berlin auch in die Höhe kommt? Rosen-
hagen giebt sich die Miene, das zu glauben,
kann aber als ein sachkundiger Mann doch
nicht verschweigen, dass Münchens künst-
lerische Kultur der Berliner noch
immer überlegen ist. Der Besitz dieser
Kultur scheint mir zwar entscheidend zu sein
und schon allein Kraft genug zu besitzen, um
die Gründe, die die These vom Niedergang
Münchens stützen sollen, zu entkräften. Aber
es verlohnt sich doch wohl, im einzelnen die
Behauptungen Rosenhagens nachzuprüfen. Er
macht eine Scheidung zwischen reproduzieren-
den und schaffenden Künstlern, d. h. zwischen
solchen, die fremde, zumal altmeisterliche
Ideen immer wieder ausschlachten und solchen,
die neue Ideen aufwerfen und durchführen.
Er findetnun, dass die „schaffenden" Künstler,
unter denen er die Secession versteht, auf
dem Aussterbeetat stehen. Nach ihm haben
sie zum Teil kapituliert und sind in jedem
Sinne des Wortes zurückgegangen, haben sich
wieder den reproduzierenden, innerlich sterilen
angeschlossen, sind aber auch zum Teil der
Ungunst der Zeiten, dem verständnislosen
Publikum unterlegen, unter das Rosenhagen
vor allem die bayerische Regierung zählt,
(Nachdruck verbotenl
endlich aber sollen sie durch ihre Kollegen
unterdrückt worden sein.
Diese Scheidung zwischen Reproduzierenden
und Schaffenden schmeckt zu sehr nach
Theorie und sogar nach Knifftheologie, um
ernsthaft zu wirken. Sie mag überraschen,
kann aber nicht überzeugen. Das gilt denn
auch von vielen anderen Aufstellungen Rosen-
hagens, selbst wenn sie recht konkreter Art
zu sein scheinen. Was z. B.von den „verfehlten
Massnahmen" der Regierung gesagt wird,
trifft den Nagel so wenig auf den Kopf, dass
man unwillkürlich an jenen Spruch erinnert
wird, der da heisst: Ich kenne die Mass-
regeln der Regierung nicht, aber ich miss-
billige sie. Rosenhagen findet z. B., dass die
Ueberlassung des Kunstausstellungsgebäudes
am Königsplatz ein wahres Verhängnis für die
Secession geworden ist und es fehlt wenig,
dass er die Regierung einer freilich unabsicht-
lichen Perfidie anklage. Nun ist's ja wahr, dass
das Gebäude zu klein ist und auch sonst
manchen Fehler hat; aber man darf nicht
vergessen, dass die Secession erstens eine
ausserordentlich schwerwiegende moralische
Unterstützung durch die Ueberlassung des
Tempels an den Propyläen erfuhr und dass
sie zweitens ihre pekuniäre Selbständigkeit
dort erlangte. Das sind zwei Faktoren, die
so wichtig sind, dass sie beinahe als aus-
schlaggebend gelten dürfen. Aber Rosen-
hagen beklagt fernerhin, dass die Secession
von ihrer Freiheit nicht den richtigen Ge-
brauch gemacht hat. Sie hat nämlich ihre
Säle mit seidenen Tapeten bespannt, die aller-
dings auch nach des Referenten Geschmack
nicht recht glücklich gewählt sind; aus dem
Vorhandensein der Tapeten schliesst nun der
Berliner Kunstschriftsteller, dass die Secession
dem Tapeziererstil verfallen sei. Das heisst
aus Mücken Elefanten machen. Die Tapeten
haben dort wirklich mit dem Gelingen einer
Ausstellung gar nichts zu thun. Aber Rosen-
hagen geht noch weiter. Er macht in der
Eile einen wenig geglückten Ausfall gegen
Lenbach, der aus diesem Munde schon recht
altbekannt klingt, stellt ihn als den Vater
aller reproduzierenden, im falschen Sinne
dekorativ arbeitenden Künstler hin und sucht
zu konstatieren, dass die Secession nicht nur
in Aeusserlichkeiten, wie in dem Spiel mit
Die Kunst for Alle XVI. Jahrg. H. 16.
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