NEW YORKER AUSSTELLUNGEN HERBST 1900
Pvie erste im Felde ist wie gewöhnlich die Aus- spiegeln und die klassischen Landschaften einer
Stellung des Aquarellisten-Klubs, eines jüngern glücklich überwundenen Epoche zurückrufen würden,
und fortschrittlich gesinnten Sprösslings der Water- zeigte nicht die schärfste Beobachtung von Luft und
Colour-Society, die im Januar ihre Ausstellung ab- Licht (Dämmerung mit schwachen gelblichen Reflexen
zuhalten pflegt. In diesem Jahre ist es der jüngern der untergegangenen Sonne) die Errungenschaften
Gesellschaft geglückt, einen Gesamteindruck zu unserer Tage. Von Starke befindet sich eine sehr
erzielen, der, was Einheitlichkeit des Tones betrifft, lebendige Studie eines belgischen Fischers am Rande
die in unvermeidlicher Weise bunt zusammen- des Wassers, von Eaton mehrere seiner fein-
gewürfelten Ausstellungen der andern Künstler- getönten Abend- und Morgenstimmungen in der
verbände hinter sich zurücklässt. Allerdings kann Ausstellung. Miss Mc. Chesny sendete ihr grosses
man nicht behaupten, dass irgendwelche geniale Bild Mutter und Kind-, das ihr den Philadelphier-
Einzelleistungen vorhanden sind. Zu einer hin- Preis im letzten Jahre eintrug und das wohl das
reissenden, epochemachenden Wirkung eignet sich beste ist, was sie bisher geleistet, kräftig in der
das Medium der Wasserfarben wohl auch schwerlich; Behandlung und Zeichnung, aber etwas derb in der
selbst auf seinem eigensten Gebiet, der Landschaft, Farbe. Walter Palmer's »Seeufer« ist von'präch-
sträubt es sich gegen trübe, schwere Stimmungen, tiger Farbenwirkung, Arthur Keller's »Adagio
erzielt seine besten Eindrücke selten durch Nebel- zeigt feine Wiedergabe der Fleischtinten, Van Laer
und Nacht-Effekte. In der Ausstellung der Aquarel- Kraft und gesunde Technik in seinem »Pflüger«,
listen trägt nun merkwürdigerweise keine Landschaft, Ein ganzer Raum, die West-Galerie wurde
sondern eine Figur von Herter (eine schlanke, George H. Clements überlassen, der sich mit
anmutig bewegte Mädchengestalt in weiche, graue achtundsiebzig Bildern eingefunden hat, unter
Stoffe gehüllt, die sich durch den »Garten der welchen Marinebilder an Zahl und Qualität hervor-
Träume-, wie er das Bild betitelt, bewegt) die Palme ragen. Dieser Künstler segelt den grössten Teil
davon. Die Ehre, das hervorragendste Aquarell der des Jahres an der Küste Neu-Englands, im Golf
Ausstellung zu sein, macht ihm der Coke-Brenner«, von Mexiko, im Mississippi umher und holt seine
kräftig und mit lebendiger Wirkung von Henry Motive bald aus Gruppen faulenzender Mexikaner,
Sandham gemalt, streitig. John La Farge bringt bald von nüchternen Gloncester Fischern oder von
mit seinem »Reitpfad in Tahiti« wieder eines der New-Orleanern italienischen Dockarbeitern her. Aber
sonnegetränkten, die tropische Atmosphäre trefflich neben dieser ethnographischen Mannigfaltigkeit zeigt
wiedergebenden Südsee-Bilder, mit welchen er seit er treue Beobachtung der Natur, eine grosse Ge-
seiner Studienreise das amerikanische Publikum wandtheit in der Behandlung der leichten Wasser-
erfreut. Hervorragende Plätze in der Südgalerie färben und ein Eingehen in das Studium von Licht
nimmt Needham mit zwei Stimmungslandschaften und Luftstimmung.
ein, schattenhaft umrissene Gestalten, die durch Eine verjährte Schuld des New Yorker Publikums
dichte Wälder gleiten, sich in stillen Gewässern wird durch eine Sonderausstellung von Mc. Neil
Whistler's Radierungen abgetragen. Sie be-
findet sich in der Bildergalerie der Lenox-
Bibliothek, die samt ihren Bilderschätzen (sie
enthält unter anderem Munkaczy's »Milton
diktiert seinen Töchtern das verlorene Para-
dies«) von einem Herrn Lenox den New Yorkern
hinterlassen wurde.
Whistlers Radierungen, die man an ver-
schiedenen Blättern von der ersten Skizze bis
zur letzten Ausführung studieren kann, zeigen
meiner Ansicht nach mehr noch als seine
Porträts und Landschaftsbilder den eigent-
lichen Charakter dieses modernsten aller
amerikanischen Künstler. Eine geradezu
dämonische Einsicht in die verborgensten
Schwächen seiner Mitbrüder und -Schwestern,
die er mit ein paar Strichelchen so charakteri-
siert, als läge ihre Seele splitternackt vor uns.
Seine Radierungen, Skizzen und auch einige
Mappen mit Karikaturen, die in der Ausstel-
lung aufliegen, lassen ihn als den Anatomen
unter den Malern erscheinen. Sein Handwerks-
zeug beherrscht er mit Virtuosität; und es ist
kein Zweifel, das die gestochenen Blätter
vieles, was sterblich ist, in seinen mitunter
launenhaft und grotesk-verworren gemalten
Werken in Oel überdauern werden.
Ausser dieser Ausstellung giebt es in den
meisten der Kunstsalons Sondersammlungen
unserer Maler, die immer mehr das Bestreben zu
zeigen scheinen, in wuchtigen Massen vor das
Publikum zu treten, das ihnen bei den Einzel-
eduard beyrer bildnisbüste leistungen in den Ausstellungen der Künstler-
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Pvie erste im Felde ist wie gewöhnlich die Aus- spiegeln und die klassischen Landschaften einer
Stellung des Aquarellisten-Klubs, eines jüngern glücklich überwundenen Epoche zurückrufen würden,
und fortschrittlich gesinnten Sprösslings der Water- zeigte nicht die schärfste Beobachtung von Luft und
Colour-Society, die im Januar ihre Ausstellung ab- Licht (Dämmerung mit schwachen gelblichen Reflexen
zuhalten pflegt. In diesem Jahre ist es der jüngern der untergegangenen Sonne) die Errungenschaften
Gesellschaft geglückt, einen Gesamteindruck zu unserer Tage. Von Starke befindet sich eine sehr
erzielen, der, was Einheitlichkeit des Tones betrifft, lebendige Studie eines belgischen Fischers am Rande
die in unvermeidlicher Weise bunt zusammen- des Wassers, von Eaton mehrere seiner fein-
gewürfelten Ausstellungen der andern Künstler- getönten Abend- und Morgenstimmungen in der
verbände hinter sich zurücklässt. Allerdings kann Ausstellung. Miss Mc. Chesny sendete ihr grosses
man nicht behaupten, dass irgendwelche geniale Bild Mutter und Kind-, das ihr den Philadelphier-
Einzelleistungen vorhanden sind. Zu einer hin- Preis im letzten Jahre eintrug und das wohl das
reissenden, epochemachenden Wirkung eignet sich beste ist, was sie bisher geleistet, kräftig in der
das Medium der Wasserfarben wohl auch schwerlich; Behandlung und Zeichnung, aber etwas derb in der
selbst auf seinem eigensten Gebiet, der Landschaft, Farbe. Walter Palmer's »Seeufer« ist von'präch-
sträubt es sich gegen trübe, schwere Stimmungen, tiger Farbenwirkung, Arthur Keller's »Adagio
erzielt seine besten Eindrücke selten durch Nebel- zeigt feine Wiedergabe der Fleischtinten, Van Laer
und Nacht-Effekte. In der Ausstellung der Aquarel- Kraft und gesunde Technik in seinem »Pflüger«,
listen trägt nun merkwürdigerweise keine Landschaft, Ein ganzer Raum, die West-Galerie wurde
sondern eine Figur von Herter (eine schlanke, George H. Clements überlassen, der sich mit
anmutig bewegte Mädchengestalt in weiche, graue achtundsiebzig Bildern eingefunden hat, unter
Stoffe gehüllt, die sich durch den »Garten der welchen Marinebilder an Zahl und Qualität hervor-
Träume-, wie er das Bild betitelt, bewegt) die Palme ragen. Dieser Künstler segelt den grössten Teil
davon. Die Ehre, das hervorragendste Aquarell der des Jahres an der Küste Neu-Englands, im Golf
Ausstellung zu sein, macht ihm der Coke-Brenner«, von Mexiko, im Mississippi umher und holt seine
kräftig und mit lebendiger Wirkung von Henry Motive bald aus Gruppen faulenzender Mexikaner,
Sandham gemalt, streitig. John La Farge bringt bald von nüchternen Gloncester Fischern oder von
mit seinem »Reitpfad in Tahiti« wieder eines der New-Orleanern italienischen Dockarbeitern her. Aber
sonnegetränkten, die tropische Atmosphäre trefflich neben dieser ethnographischen Mannigfaltigkeit zeigt
wiedergebenden Südsee-Bilder, mit welchen er seit er treue Beobachtung der Natur, eine grosse Ge-
seiner Studienreise das amerikanische Publikum wandtheit in der Behandlung der leichten Wasser-
erfreut. Hervorragende Plätze in der Südgalerie färben und ein Eingehen in das Studium von Licht
nimmt Needham mit zwei Stimmungslandschaften und Luftstimmung.
ein, schattenhaft umrissene Gestalten, die durch Eine verjährte Schuld des New Yorker Publikums
dichte Wälder gleiten, sich in stillen Gewässern wird durch eine Sonderausstellung von Mc. Neil
Whistler's Radierungen abgetragen. Sie be-
findet sich in der Bildergalerie der Lenox-
Bibliothek, die samt ihren Bilderschätzen (sie
enthält unter anderem Munkaczy's »Milton
diktiert seinen Töchtern das verlorene Para-
dies«) von einem Herrn Lenox den New Yorkern
hinterlassen wurde.
Whistlers Radierungen, die man an ver-
schiedenen Blättern von der ersten Skizze bis
zur letzten Ausführung studieren kann, zeigen
meiner Ansicht nach mehr noch als seine
Porträts und Landschaftsbilder den eigent-
lichen Charakter dieses modernsten aller
amerikanischen Künstler. Eine geradezu
dämonische Einsicht in die verborgensten
Schwächen seiner Mitbrüder und -Schwestern,
die er mit ein paar Strichelchen so charakteri-
siert, als läge ihre Seele splitternackt vor uns.
Seine Radierungen, Skizzen und auch einige
Mappen mit Karikaturen, die in der Ausstel-
lung aufliegen, lassen ihn als den Anatomen
unter den Malern erscheinen. Sein Handwerks-
zeug beherrscht er mit Virtuosität; und es ist
kein Zweifel, das die gestochenen Blätter
vieles, was sterblich ist, in seinen mitunter
launenhaft und grotesk-verworren gemalten
Werken in Oel überdauern werden.
Ausser dieser Ausstellung giebt es in den
meisten der Kunstsalons Sondersammlungen
unserer Maler, die immer mehr das Bestreben zu
zeigen scheinen, in wuchtigen Massen vor das
Publikum zu treten, das ihnen bei den Einzel-
eduard beyrer bildnisbüste leistungen in den Ausstellungen der Künstler-
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