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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Pascent, E. N.: Von der modernen Kunst auf der Pariser Weltausstellung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0084

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VON DER MODERNEN KUNST

AUF DER PARISER WELTAUSSTELLUNG

Von E. N.

Am 5. November wird die Weltausstellung ge-
schlossen. Dann beginnen die Abbruchs-
arbeiten; das riesige Ausstellungsgebiet, von
der Place de la Concorde bis zum Trocadero,
von der Esplanade des Invalides bis zum Champ
de Mars, verwandelt sich in ein Trümmerfeld,
eine Stätte chaotischer Verwüstung scheinbar.
Was an kostbaren Naturschätzen, an Meister-
werken der Kunst, an Erzeugnissen des mo-
dernen Zweibundes:Wissenschaftund Technik,
überhaupt an Kulturdokumenten in weitestem
Sinne aus der ganzen Welt hier zusammen-
geflossen war, es verstreut sich nun wieder
in alle Welt. Die entleerten Riesenhallen und
Pavillons verschwinden; überladene Phantasie-
gebäude und geschmackvolle Nachbildungen
älterer Werke der Baukunst werden nieder-
gelegt wie Nomadenzelte, fortgefahren wie
Theatercoulissen, nachdem sie sieben Monate
lang sich den Schein der Unvergänglichkeit
angemasst. Von all den Baulichkeiten, die für
die Weltausstellungerrichtet waren, bleiben nur
die beiden Paläste der schönen Künste stehen,
und an den Eröffnungstag, den 14. April 1900,
wird die Prunkbrücke Alexandre III. erinnern,
die von diesen Palästen zur Invalidenespla-
nade hinüberführt.

Sollen wir es beklagen, dass die „Stadt in
der Stadt", als die sich die Ausstellung prä-
sentierte — dem Räume nach in der Millionen-
stadt eine gar nicht unansehliche Mittelstadt —
nahezu spurlos wieder von den Seineufern
fortgewischt wird? Schämen wir uns einer
leisen sentimentalen Anwandlung nicht, wir
alle, die wir ein paar Tage oder Wochen in
diesem improvisierten Universum schauend
und geniessend, entzückt und geärgert, kriti-
sierend und bewundernd uns herumgetummelt
haben! Trotz dem und jenem, trotz alledem
und alledem — es war doch schön: denn es
war Paris! Es war die Seine, deren Wellen
das exotische Gewimmel des Kolonialviertels
am Trocadero netzten; es war die majestätische
Kuppel des Invalidendoms, die, strahlend und
düster, über die kokette Eintagsarchitektur der
Esplanade hereinragte; es war der Pariser
Himmel mit seinen zarten Tönen und seinen
grossen Wolkengebilden, der beim Schwinden
des Tageslichts das Stilgewirr der Rue des
Nations auf dem linken, „Alt-Paris" auf dem
rechten Seineufer zu einem wunderlich male-

Pascent

(Nachdruck verboten)

rischen Ganzen von zugleich beunruhigender
und anheimelnder Stimmung vereinigte; es
war Pariser Grazie und französische Lebens-
lust, die dem internationalen Menschengetriebe
einen rascheren, froheren Pulsschlag gab —
wenigstens in den ersten Monaten, als noch
nicht die Wolken allenthalben drohender Kon-
kurse „schwer herab auf Ilion" hingen.

Es war auch — trotz all des Ausserfran-
zösischen — Pariser Kunst, die dem Aeussern
der Weltausstellung das dekorative Gepräge
gab. Dürfen wir das als ein Symbol dafür
betrachten, dass noch heute die französische
Kunst von heute an der Spitze marschiert?
Entspricht es der Stellung, die im Ensemble
der Ausstellung die Kunst einnahm, dass ge-
rade die beiden Kunstpaläste allein das übrige
überdauern werden? Beide Fragen müssen
verneint werden. Die offizielle dekorative
Kunst der Ausstellung war nur Dekorateur-
kunst, äusserlich prunkvoll, innerlich unwahr,
nach Effekten haschend und die Wahrhaftig-
keit verschmähend. Der Eiffelturm, das Ver-
mächtnis von 1889, das Riesenkind einer nur
zu kurzen heroischen Epoche der modernen
Baukunst, hatte ein Recht, auf die Coulissen-
reissereien von 1900 sehr von oben herab-
zusehen. Das Eisen, das neue Baumaterial,
„sähe, dass es nackt war", und hatte einen
Schurz von gipserner Ornamentik angethan,
die das aufrichtig Natürliche durch ein heuch-
lerisches Dekorum ersetzte. Mit dem Eklek-
tizismus des Zuckerbäckers häufte und ver-
mengte man Schnörkel und Bogen, Bauglieder
und Zieraten aller Stile aufeinander und durch-
einander. Um das Menu der Vergangenheit,
aus dessen Resten ein neues Mahl zusammen-
gesetzt werden sollte, recht ausgiebig zu
machen, erkannte und dekretierte man den
parvenühaften Eklektizismus der Zeit Napo-
leons III. als „Stil Napoleon III." Was ist
denn Stil? Semper war ein Stümper im Defi-
nieren; Stil ist, was man imitieren kann! Am
Pont Alexandre III. spukt der neueste der
historischen Stile sehr stark, in Einzelheiten,
wie im ganzen Geist, der nicht von innen
heraus etwas Einheitliches, sondern an der
Oberfläche bleibend etwas Prunkvolles schaffen
will. Es ist sehr zu befürchten, dass die
Alexanderbrücke, wenn die Ausstellungsbauten
um sie her verschwunden sind, mit ihren

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