Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

DOI Artikel:
Matthaei, Adelbert: Der aesthetische Genuss am Bauwerk, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0122

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
-a-SÖ> DER AESTHETISCHE GENUSS AM BAUWERK Cä^

KARL ALBERT BAUR BEI TRIENT

Farbsinn, nicht an das Gefühl für schöne das er unter Anpassung an praktische Zwecke
oder charakteristische Linien und Umrisse, zu realisieren trachtet. Und wie wir, um
sondern an den Raumsinn. Unsere Fähigkeit, zum Verständnis eines Gemäldes zu gelangen,
drei Dimensionen im Räume zu unterscheiden, uns jedesmal erst in jene Stimmung des
ist ihr Mutterboden als Kunst. „Sie ist Raum- Malers hineinversetzen müssen, so muss der
gestalterin", sagt Schmarsow. Wie Linien- Beschauer des Bauwerkes sich jedesmal von
gebilde lediglich durch Richtungswechsel oder neuem erst die der Steinmasse zu gründe
Farben je nach Sättigung und gegenseitiger liegende Raumvorstellung nachschaffen. Weil
Ergänzung an sich schon im stände sind, in wir dabei absehen können von der das Raum-
uns Stimmungen wachzurufen, so vermag auch kunstwerk erzeugenden Masse des zweckvoll
die Raumabmessung an sich unser Nerven- behauenen Steines, und die Idee den Stoff
System in bestimmter Weise zu beruhigen völlig zurücktreten lässt, deshalb steht die Bau-
oder anzuregen. Durch das Vorherrschen- kunst um kein Haarbreit tiefer als ihre Schwe-
lassen einer der drei Ausdehnungen z. B. stern in der bildenden Kunst. (Schwarsow.)
der Tiefenabmessung (Vorwärtsbewegung, Ueberblickt man die Entwicklung, die die
Längsperspektive), oder durch das Harmo- Baukunst in den letzten Jahrhunderten ge-
nieren der Tiefenabmessung mit Breite und nommen hat, so könnte man in Zweifel da-
Höhe, oder durch das Betonen der Höhe bei rüber geraten, ob wirklich die reine Lust-
symmetrischer Breiten- und Tiefendimension empfindung der Raumgestaltung ursprünglich
erzeugt der Baukünstler in uns Stimmungen, in der Seele des Künstlers die treibende Kraft
die sich von mystischem Grauen und be- gewesen ist, die ihn zur Bethätigung an prak-
ängstigendem Gedrücktsein steigern lassen tischen Aufgaben drängte, oder ob er nicht
zu idyllischer Behaglichkeit und beruhigender vielmehr von den praktischen Aufgaben ausge-
BeschaulichkeitbiszumGefühle majestätischen gangen ist. Es war namentlich in dem letzten
Stolzes und sehnsuchtsvollen Emporstrebens. Jahrhundert unseren Architekten so zur Ge-
— Wie der Maler, bevor er zum Pinsel wohnheit geworden, für die moderne Aufgabe
griff, auf Grund von Farbvorstellungen eine nach einem künstlerischen Ausdruck in älte-
bestimmte Stimmung hatte, die ihn zum ren, fertig vorliegenden Stilweisen zu suchen,
Schaffen trieb, so schwebt vor der Seele des dass man geneigt sein könnte, jene Frage in
Baukünstlers ursprünglich ein Raumgebilde, dem zuletzt genannten Sinne zu beantworten.

111
 
Annotationen