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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Ostini, Fritz von: Rudolf Maison
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0142

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RUDOLF MAISON

Von F.

Eine landläufige Definition der Bildhauer-
kunst bezeichnet sie als „die Kunst der
reinen Form". In dieser Betonung und in
dem Sinne, in dem sie gewöhnlich verstanden
wird, enthält jene Bezeichnung eine Welt von
Missverständnissen und aus ihr lässt sich
deutlich der Grund erkennen, weshalb das
grosse Publikum der Bildhauerkunst immer
noch viel weniger nahe getreten ist, als der
Malerei. Durch volle zwei Drittel des ver-
flossenen Jahrhunderts hatte man so ziemlich
auf der ganzen Welt jenen äusserlichen Be-
griff von der Plastik, der das Werk des Bild-
hauers zur Schale ohne Kern, zur Hülle
ohne Seele machen wollte, der in der körper-
lichsten aller Künste, in der Bildhauerei ge-
radezu eine Loslösung der Form vom Stoff-
lichen erstrebte und jene eiskalten Gebilde
einer toten Schönheit erstehen Hess, mit
denen einst Thorwaldsen und Canova die
Welt irreführten. Betonen wir aber, „die
Kunst der reinen Form", so sind wir der
Sache um ein gutes Stück näher. Die Bild-
hauerei ist auch die reellste aller Künste,
sie gestattet keine Täuschungen, kein Ver-
stecken eines Fehlers, keinen Impressionismus,
der das Ungefähr an die Stelle der Genauig-
keit setzt; sie verlangt die reine Form, die
vom Künstler vollkommen verstanden und
durchdrungen sein muss, soll sein Werk von
Wert sein. Hier kann eine gelungene Aeusser-
lichkeit nicht über Unzulänglichkeiten hin-
wegtäuschen, die Gestalten des Plastikers
müssen ihr Knochengerüst, ihre Muskel,
Sehnen und Eingeweide unter der Oberfläche
haben, wenn sie lebendige Kunst darstellen
wollen.

In Gern, einem Villenviertel des Münchner
Westens, wohin der brutale Lärm der Gross-
stadt bis heute nicht gedrungen ist, wohnt
der Bildhauer Rudolf Maison*), einer der
ersten von denen in Deutschland, welche die
Kunst der reinen Form in der Form der
reinsten Kunst üben. Er hat wenig aus sich
gemacht und ist alles aus sich geworden,
für ihn sprach immer nur sein Werk. Diese
Fürsprache genügt allerdings im Leben nicht
immer für den praktischen Erfolg! Rudolf
Maison hat den Misserfolg genug kennen
gelernt; aber die Geschichte seiner Miss-

/. Ostini

(Nachdruck verboten)

erfolge ist höchst ehrenvoll für ihn, nur
dem öffentlichen und massgebenden Kunst-
geschmack in Deutschland macht sie wenig
Ehre: mit nimmermüder Arbeitslust und un-
verbesserlichem Optimismus, der eben seiner
eigenen künstlerischen Ehrenhaftigkeit ent-
sprang, hat er sich immer und immer wieder
am Wettbewerbe um grosse öffentliche Auf-
träge beteiligt. Und jedesmal wurde sein
Entwurf objektiv als einer der besten oder
als der beste gekennzeichnet. Aber wenn
es an die Ausführung kam, dann spielten
Gevatterschaften und Cliquenintriguen herein
und oft genug erhielt Maison den Bescheid:
„Dein Werk ist das bessere — aber aus
Gründen wählen wir ein anderes!"

Was auch kam, Maison arbeitete stetig
und mit jener überlegenen Ruhe weiter, die
ihm eigen ist, mit jener beispiellosen Aus-
dauer und Arbeitsfreudigkeit, auf die sich
sein ganzes künstlerisches Wesen gründet.
Er gab auch in den aussichtslosesten Kon-
kurrenzarbeiten sein Bestes und war schliess-
lich zufrieden, wenn ihm der Juror im
eigenen Herzen den Preis zusprach. Tag
um Tag stand und steht er bis zur sinken-
den Nacht im Atelier bei der Arbeit; zum
Antichambieren und Intriguenspinnen hatte
und hat er weder Zeit noch Lust. Er hat nur
Zeit und Lust für die Kunst!

Das augenfälligste Charakteristikum von
Rudolf Maisons künstlerischer Eigenart ist
sein Realismus — ein Realismus ganz eigener
Art. Maison ist Wahrheitsmann bis in die
Knochen; aber er betont die Realität seiner
Gebilde nicht etwa in der plumpen, vier-
schrötigen Art jener Künstlergruppe, welcher
der Realismus Selbstzweck, nicht Ausdrucks-
mittel ist. Er hat einen tiefen Respekt vor
der Natur, der in dieser die Schönheit sieht
überall, wo sie in normalen Bildungen schafft
und ein Idealismus, der die Natur verbessern
will, muss ihm freilich albern dünken. Sein
Idealismus liegt eben in der Liebe zur Kunst
und Natur allein, in der unendlichen Be-
geisterung, mit welcher er schafft. Der
Schaupöbel heisst das allein ideal, was glatt
und rund ist und die schöne Pose hat und
die wenigsten wissen, wie leicht das alles
zu kriegen ist! Und die wenigsten können

*) Sämtliche Illustrationen dieses Heftes sind Wiedergaben von Werken Rudolf Maisons.

Die Kunst fllr Alle XVI. 6. 15. Dezember 1900.

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