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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Zuckerkandl, B.: Die achte Ausstellung der Wiener Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0176

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-b-£Ö> DIE ACHTE AUSSTELLUNG DER WIENER SECESSION <ö^~

einem scheuen Gefühl, das aus Befremden
und Bewunderung besteht, Platz, sobald man
den Rundsaal betritt, in welchem als einziger
Bildhauer Minne seine Werke ausgestellt hat.
Man meint auf den ersten Blick altgotische
Denkmäler zu sehen, so asketisch, so un-
fleischlich, so nur durch tiefe Empfindung
lebendig sind seine Gestalten. In der Mitte
des Raumes erhebt sich ein Brunnen, um
dessen Rand regungslos nackte Jünglingsge-
stalten knieen. Sie pressen ihre verschlunge-
nen Arme fest an die Brust und starren
hinab in das blauschimmernde Wasser. Ana-
tomisch sehr realistisch empfunden, sind diese
Körper von abstossender Hagerkeit; die Kom-
position macht aber durch die gleichlaufen-
den Linien der Gestalten, durch die Gleich-
artigkeit ihrer Bewegung, die Rigidität ihres
Ausdruckes einen mystisch-rätselvollen Ein-
druck. Hier tritt zu der Gotik die Moderne.
Wenn diese Menschen hinabblicken in die
Tiefe des Wassers, als blickten sie in ihr
Innerstes, als lauschten sie fragend auf das
Schicksal, so ist dieses Symbol ganz aus dem
unruhvollen, nach Erkenntnis strebenden
modernen Fühlen hervorgegangen. Selten
hat so wie Minne ein Meister sich ganz in
seinen Werken ausgelebt.

Auch im Kunstgewerbe durchströmt Sym-

bolik die dekorative Linie. Den Innenraum,
welchen die schottischen Künstler Macin-
tosh und Mc. Nair geschaffen, ist die poe-
tische Gestaltung eines höchst individuellen
Schönheitsideals. Mystische Farbenstimmung,
stilisierte Formen, Feierliches, Gehobenes,
wecken im Beschauer Vorstellungen einer,
wenn auch sehr eigenartigen, aber dennoch
interessanten und empfundenen Stimmungs-
Konzeption.

Im linearen Gefühl etwas verwandt sind
die jungen Wiener Dekorations-Künstler, die
sich ganz dem Einfluss van de Veldes und
Ashbees (beide sind in der Ausstellung ver-
treten) entziehen. Auch sie suchen einen
Zusammenklang von Farben, Linien, Formen.
Nur ist ihre Harmonie weltlicher, ihr Sinn
praktischer, ihr Empfinden realer.

Die Möbel und Gerätschaften, die sie ge-
schaffen haben, sind von wohlthuender Ein-
fachheit. Alle Phrasen und alle gesuchten
Effekte forcierter Originalität — diese ge-
wohnten Kinderkrankheiten eines neuen
Stils sind vermieden. Die Leser der
„Dekorativen Kunst" werden durch die zu
bietenden Abbildungen mit der fest abge-
grenzten Eigenart der Wiener Modernen be-
kannt und vertraut werden.

B. ZUCKERKANDL
 
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