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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Matthaei, Adelbert: Der aesthetische Genuss am Bauwerk, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0178

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DER AESTHETISCHE GENUSS AM BAUWERK <^*»

erinnern nur noch daran, welchen Wandel nung, oder vielleicht auch nur um eine Ueber-
der Stimmung es erzeugt, ob die Hauptlicht- tragung aus den angewandten Künsten wie in
masse sich mehr auf die unteren oder die der Rokokozeit handelt, kann hier nicht ent-
oberen Gebäudeteile erstreckt und wie seit- schieden werden. Soviel steht für uns fest,
sam friedlich und klärend die sich stets gleich- dass ein wirklich neues fruchtbares Ornamen-
bleibende Lichtzuführung durch eine einzige tierungsprinzip für die Architektur nicht durch
grosse Oeffnung im Scheitel des Raumes wirkt, Uebertragung aus den angewandten Künsten
wie z. B. im Pantheon zu Rom. gewonnen werden kann, sondern nur dadurch,

Der Aufbau giebt dem Architekten die Ge- dass eine völlig veränderte Raumgestaltung den
legenheit zurKlärung der zu Grunde liegenden starken Stamm abgiebt, an dem sich ein neuer
Raumvorstellung die Stellen hervorzuheben, Formenschatz emporranken kann.
wo die eine Kraft aufhört und die andere be- Endlich liegt dem Baukünstler noch die
ginnt und das den Bau beherrschende Ver- Gestaltung des Aussenbaues ob, wobei er sich,
hältnis der Grunddimensionen zu einander wie Schmarsow zutreffend bemerkt, schon der
durch geeignete Formen zu markieren. Man Thätigkeit des Plastikers nähert. Dieser
hat jenen Formenschatz von Kapitellen und Aussenbau kann nichts weiter sein, als die
Basen, Simsen, Friesen, Sockeln und Flächen- Krystallisierung des im Inneren herrschenden
zier „das spielende Ausatmen des archi- Raumsystems. Alles andere wirkt wie eine
tektonischen Grundprinzips" genannt. In der Attrappe. Der Aussenbau ist gewissermassen
That kann die in der Raumanlage beabsich- das Kleid, das dem architektonischen Gerippe
tigte Wirkung durch eine sich anschmiegende übergezogen wird. Und auch hierin, wie<in_
Formengebung im einzelnen ebenso gehoben der Bedachungsfrage, Lichtzuführung und
werden, wie sie durch widersprechende, aus Formengebung, kann sich der Architekt als
der Gesamtanlage herausfallende Zierformen selbständiger Künstler zeigen, je nachdem
auch völlig vereitelt werden kann. Man ver- er das dem Aufbau zu Grunde liegende Prin-
gleiche den bekannten Restaura-
tionssaal im Reichstagsgebäude. —
Für die gleiche Uebereinstimmung
muss der Baukünstler an den-
jenigen Stellen sorgen, die er den
Meistern der Schwesterkünste, den
Malern und Bildhauern zur Ver-
fügung stellt. Wir haben in den
einleitenden Worten vor jenem
Klebenbleiben an den Einzeln-
heiten beim Betrachten gewarnt.
Dass wir von einer Unterschätzung
der Formensprache weit entfernt
sind, leuchtet aus dem hier Ge-
sagten ein. Es ist bekannt, dass
wir gerade in der Ornamentik jahr-
zehntelang nur alte Formen auf-
gewärmt haben. Die Architekten
der Gegenwart suchen Eigenes zu
geben. Noch scheint in diesen Be-
strebungen die negative Seite zu
überwiegen, das heisst: das be-
wusste Abweichen von dem Her-
kömmlichen und Gewohnten in
der Linienführung. Ob die gegen-
wärtige Neigung für das kühn
und steif Ausgereckte, sowie für
seltsam durcheinanderlaufende
Schwunglinien, wofür gewisse
Pflanzen ein Vorbild bieten, schon
mehr als das bedeutet, oder ob es
sich nur um eine gewissen Zeiten
der Barokkunst analoge Erschei- max liebermann die tochter des Künstlers

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