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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Pascent, E. N.: Von russischer Kunst: gelegentlich der Pariser Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0243

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^-£Ö> VON RUSSISCHER KUNST

male, aber doch nicht ohne eigene Ausdrucks-
mittel, den Abschied eines Gefangenen von
seiner unglücklichen Frau. Von Grfgor
Miassojedoff's „Messe während der Dürre"
(s. S. 237) hat man dagegen den Eindruck, als
sei es dem Maler wirklich nur auf das Cha-
rakteristische in der Erscheinung der Men-
schen und der sonnedurchglühten Ebene ange-
kommen. An Nesterow's prächtige „Mönche"
(s. „K. f. A.", XIV. Jahrg., S. 74), die gleichfalls
in Paris waren, erinnert Cyriac Kostandi's
„Frühling" (s. S. 236); der Kontrast des alters-
schwachen, dunkelgekleideten Priesters zu
der lichten, von neuem Leben durchzitternden
Landschaft, ist ein bisschen billig, aber die
Naturstimmung wirklich empfunden und schön
geschildert. Abraham Archipow's „Alter
Schiffer" und Harlamoff's „Junges Mäd-
chen" geben eindrucksvoll und unaufdringlich
den Zusammenklang von Menschenleben und
Landschaft wieder. Tiefer und ergreifender
noch, auch künstlerisch ungleich kraftvoller
wirkte Viktor Wasnezoff's „Alenuschka"
(s. S. 238), die Illustration zu einem russi-
schen Märchen, die auch auf den, der das
Märchen nicht kennt, einen starken poetischen
Eindruck macht. Uebrigens konnte man Was-
nezoff auch in einigen seiner grossen, von

einem heroischen Hauch durchwehten Bilder
aus Russlands Vorgeschichte auf der Pariser
Ausstellung kennen lernen. — Wenn Was-
nezoff, wie Repin, ihrem Vaterland ein Stück
„grosser" Malerei von nationalem Gepräge
gegeben haben, so haben andere bewiesen,
dass auch die „reine Landschaft", der paysage
intime, dem russischen Künstler kein ver-
schlossenes Gebiet mehr ist. Ich nenne neben
dem kräftigen Pourvit und dem etwas unper-
sönlichen Wolkow (s. S. 243) nur den feinsten
und tiefst empfindenden der russischen Land-
schafter, den leider schon aus dem Leben ge-
schiedenen Isaak Levitan. Seine, meist von
einer stillen, aber nicht weichlichen Schwer-
mut erfüllten Bilder (vergl. d. Abb. a. S. 232)
schienen besonders dafür zu sprechen, dass
auch die russische Malerei einst jene unver-
gleichliche Stimmungsgewalt, jene wortlos-
beredte Poesie des innigsten Naturempfindens
erreichen wird, die den grössten Vertretern
der russischen Litteratur eigen ist.

Dazu gehört freilich nicht nur ein rastloses
technisches Fortschreiten und Weiterarbeiten
der Malerei, sondern auch eine ungestörte,
von mancherlei Fesseln befreite Entwicklung
der russischen Kultur, der russischen Volks-
seele. E. N. Pascent
 
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