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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Volkmann, Ludwig: Mediziner und Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0245

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MEDIZINER UND KUNSTWERK

nun will er nicht länger in dem stumpfen tiefung unserer Anschauung des Körpers ge-
Zustande bleiben, will sich die Gestalt des wirkt haben, gereicht ihnen zu bleibendem
Menschen eindrücken wie die Gestalt der Verdienst, und neuerdings hat Dr. C. H. Stratz
Trauben und Pfirschen. Der junge Reise- in seinem, auch in diesen Blättern besproche-
gefährte dient ihm zuerst hierzu: „Ich ver- nen, trefflichen Buche „Die Schönheit des weib-
anlasste Ferdinanden zu baden im See; wie liehen Körpers" mit ausserordentlichem und
herrlich ist mein junger Freund gebildet! durchaus berechtigtem Erfolge die Fortschritte
welch ein Ebenmass aller Teile! welch eine der Photographie und der photomechanischen
Fülle der Form, welch ein Glanz der Jugend, Reproduktionsverfahren an der Hand sorgfäl-
welch ein Gewinn für mich, meine Einbildungs- tiger Studien demselben dankenswerten Ziele
kraft mit diesem vollkommnen Muster der dienstbar gemacht. Das Stratz'sche Buch hat
menschlichen Natur bereichert zu haben!" - in weiten Kreisen das ganz erstorbene Ge-
Es stände besser um uns, wenn solch edles fühl dafür wieder geweckt, dass man den
und reines Streben nach Anschauung häufiger menschlichen Körper überhaupt um seiner Er-
wäre; leider sind wir davon, wie gesagt, nur scheinung willen betrachten kann; und so
zu weit entfernt, und so hat denn unser wünschen und hoffen wir, dass der Verfasser —
Doktor bis hierher vollkommen recht: fast oder ein anderer — uns recht bald auch eine
nur Aerzte und Anatomen sind es, die den „Schönheit des männlichen Körpers" schenke,
nackten Körper aus eigener, häufiger Betrach- Aber so wichtig dieses Problem der Natur-
tung gründlich kennen. anschauung auch ist, so bildet es eben doch
Um so dankenswerter ist es, wenn sich nur die eine Hälfte der Frage; es führt uns
unter ihnen hin und wieder Männer finden, in den Vorhof, nicht in den Tempel der Kunst,
die, selbst durchdrungen von der Schönheit Denn weit jenseits der objektiven Kenntnis
der menschlichen Gestalt, anderen zum Ver- der Naturschönheit liegt das Verständnis für
ständnis derselben helfen wollen und aus dem das Wesen der Kunst, und hier ist die Grenze,
Schatz ihrer Erfahrung mitteilen, was hierzu wo der Machtbereich des Mediziners aufhört,
dienlich erscheint. Was Ernst Brücke, Wohl kann er ihr behilflich sein in der Aus-
Wilh. Henke und andere in solchem Sinne für wähl des Rohmateriales, dessen sie bedarf,
die Schärfung unseres Blickes und die Ver- wohl kann er ihr gleichsam ihr Handwerks-

ISAAK LEWITAN STILLE

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