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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Leitgeb, Otto von: Wilhelm Leibl, [2]: persönliche Erinnerungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0299

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->-S^> O. v. LEITGEB: ERINNERUNGEN AN W. LEIBI.

noch trinken durfte. Dieser niedrige, aber helle Frühjahr eine Antwort schuldig geblieben war, denn
und freundliche Raum war sein Wohnzimmer, ich hatte keine Ahnung, dass seine todbringende
Speisezimmer, Empfangssalon und Atelier. Ausser Krankheit sich damals schon geoffenbart hatte,
einer leichten Staffelei und ein paar Reissbrettern Desto schmerzlicher überraschte mich die erste
auf einer alten Truhe an der Wand mochte jedoch Nachricht davon abends bei meiner Ankunft in
zu Zeiten gar nichts darin verraten, dass es die Aibling. Er war übrigens schon vor einiger Zeit
Werkstatt eines der grössten Malmeister aller von Kutterling hereingekommen und hier in seinem
Zeiten war. Vielleicht die wenigen Photographieen Quartiere.

an den Wänden: Rembrandt und Velazquez. Auch Am nächsten Morgen suchte ich ihn auf und

in seinem kleinen Wohnzimmerchen in Aibling gab fand ihn erschütternd verändert. Zwar blitzte in
es keinen andern Wandschmuck: ein paar Photo- seinen Augen bei unserer Begrüssung ein lichterer,
graphieen nach eigenen Werken, andere nach Rubens, lebhafterer Ausdruck, aber bald wurden sie wieder
Rembrandt, Franz Hals, Velazquez, Terborch, — trüb und finster. Sein Gesicht war mager und
alles in schlichten, schwarzen Rahmen, hingehängt, faltig geworden, die starken Hände abgezehrt, die
wie es gerade gekommen. — Und noch eines Gestalt trotz ihrer ungewöhnlichen Breite flach und
Raumes muss in Kutterling gedacht werden, denn eingesunken, kaum beweglich. Vornüber gebeugt
dort entstanden zwei der letzten und herrlichsten sass er apathisch in einem weitläufigen ledernen
Werke des Meisters: es ist die kleine, alte Küche Armstuhle an einem mit Zeitungen bedeckten Tische,
rückwärts, in welcher er seine Magd und seinen Er wies auf eines meiner Bücher, das auch da lag
Botenjungen in zwei Posen gemalt, oder besser und sagte:

gesagt in Fleisch und Blut auf die Leinwand ge- Wie sonderbar! Gerade eben habe ich mich

stellt hat, denn in solcher, fast ans Unheimliche mit Ihnen beschäftigt!

grenzender Lebenswahrheit hat er die zwei Menschen Und dann erzählte er mir in kurzen Sätzen, wie

gemalt. — unbegreiflich sein Missgeschick gekommen.

Ich hatte Leibi mehrere Jahre nicht wieder- Ich habe zwar vor langem schon und oft gespürt,

gesehen. Im vergangenen Herbste wollte ich eine dass etwas am Herzen in Unordnung sei; da hat
Zeit in seiner Nähe verbringen. Wir hatten in der man mich aber ausgelacht! »Ja, es ist aus mit
Zwischenzeit hie und da einen Gruss gewechselt mir !< klagte er. = Auch rauchen darf ich nicht mehr!'
und es war mir aufgefallen, dass er mir im letzten Und trübselig öffnete er einen kleinen Wandkasten,

mir seine Schätze an feinen Cigarren
zu zeigen. Darauf hatte er immer be-
sonders viel gehalten.

Schon im Frühjahre hatte sein Trotz
weichen und er sich überreden lassen
müssen, eine Badekur in Nauheim
durchzumachen. Darnach warerschein-
bar erholt zurückgekehrt. Das erste,
was er in der Freude der Genesung
unternahm, war eine achtstündige Feld-
jagd. Gleich darauf Hess er sich be-
stimmen, eine Dame aus Zeitz, die
dafür nach Aibling gekommen war, zu
porträtieren; — es sollte seine letzte
Arbeit sein. Zwar begann er kurz
darauf noch ein Bild, in der Hoffnung,
es für die Pariser Ausstellung fertig
zu bekommen, aber es ist unvollendet
geblieben. Der Gedanke daran peinigte
ihn oft.

Auch das! rief er einmal in
seiner gewaltsamen Art. i Schon des-
halb müsste ich mir eine Kugel in den
Kopf schiessen! Ich werde es nie
vollenden können! Und es wäre ganz
flott gegangen; ich war so im Zuge
dabei!'

Es ist wahrscheinlich, dass diese
beiden letzten Arbeiten, bei denen sich
Leibi gegen seine sonstige Manier, und
wie in einer Ahnung von zu Ende
gehendem Leben, äusserst anspannte,
die Reife seiner Krankheit beschleu-
nigt haben, trotzdem ja deren Ausgang
überhaupt leider nicht zweifelhaft sein
konnte. Jetzt, zuletzt, hatte er selbst
übrigens den Gedanken, die Art und
Weise seiner Arbeit habe seine Ge-
sundheit untergraben.

Ich habeTmich fortwährend über-
anstrengt , meinte er. »Ich sass immer
so zusammengehockt da, viele Stunden
ohne Unterbrechung. Schon in Paris
abbott h. thayer Madonna haben sie mir gesagt, dass mein schwerer

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