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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Leitgeb, Otto von: Wilhelm Leibl, [3]: persönliche Erinnerungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0332

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-a-SÖ> O. v. LEITGEB: ERINNERUNGEN AN W. LEIBL

wie es die alten Deutschen gemacht haben! Das keuchendem Atem ab. Es mochte ihm wohl in
war aber etwas ganz anderes.' diesem Augenblicke etwas ganz Schweres, Herz-
Mit sichtlicher Befriedigung erzählte er, wie abdrückendes durch die Seele gehen. — Auf Nimmer-
schnell er im Vorjahre zwei Bilder gemalt habe wiedersehen! —

lein junges Mädchen und die alte Bauersfrau; beides Es ist keine erzählerische Phrase, sondern der
Bruststücke; Seeger). Sie seien prima gemalt und Zufall wollte es so: der schöne, klare Tag verlöschte
ganz schnell, besonders die Alte; da habe jeder bald darauf seine Lichter, wirklich als trauerte auch
einzelne Strich >sitzen; müssen. Und er hob hervor, diese Natur, die er zwanzig Jahre um sich gehabt,
wie ganz selten er überhaupt an seinen Bildern und die er in seiner schweren, heissen und zähen
etwas übermalt habe. Art geliebt, die ihm der treueste Freund gewesen.
Auf unsere wiederholten, geduldigen Vorstel- ausser dem verlassenen Kameraden seines Lebens,
lungen hin willigte er nun endlich darein, dass seine — und die seine besten, vollendetsten Schöpfungen
ältere Schwester, Frau Kirchdorffer, von Würzburg reifen gesehen. Früh am Nachmittag verhüllte sich
hergerufen wurde. Dann kam Seeger aus Berlin der Himmel in schwerem Gewölk und die Herbst-
und Leibis Nichte. Die liebevollen Frauenhände nebel brauten um die Berge; am dichtesten dort
schufen, so gut es in den engen Räumen gehen drüben, bei Kutterling. In tiefen, blaugrauen Schleiern
wollte, mehr Ordnung und Behaglichkeit um ihn, verschwand das Bild. —

als es uns schwerfälligen Männern hatte gelingen Noch einmal erhielt ich einen Gruss von Leibis
wollen. Es war zu sehen, wie wohl ihm das that. eigener Hand, eine Karte, worin er mir mitteilte.
Vorsichtig konnte versucht werden, ob er nicht dass er in Würzburg im Hotel Kronprinz unter
doch ganz nach Würzburg in die Nähe seiner An- Professor Leubes Pflege stehe. Seine kleine, fein-
verwandten, in entsprechende Pflege wollte. Anfangs zügige, sonst so gleichmässige Handschrift ist auf
freilich sträubte er sich mit Leidenschaft dagegen. dieser Karte schon mühsam, verzittert und schwan-
Ich sah es wie eine geheime Angst in ihm wühlen, kend. Es war das letzte Wort, das ich von ihm
dass er diese Umgebung, die das beste, innerlichste hörte. Und nicht einen ganzen Monat nach seinem
Stück seines Lebens umschlossen, verlassen sollte. Abschiede von Aibling, am Abende des 4. Dezember

Die Angst vor einem Abschied auf lange Zeit-- erlöste ihn ein gewaltsamer, aber kurzer letzter

Aber endlich fügte er sich doch. Nun waren ja Kampf von den zum Schlüsse qualvoll gewordenen

auch draussen die herbstroten Blätter, die dies Leiden, die nur von langen Stunden phantasierender

Jahr so lange gehalten, zur Erde gefegt; Regen Bewusstlosigkeit unterbrochen waren,
wusch übers Land, kalt wurde es. Ein öder. Es hat sich gefunden, dass sein Herz von ganz

trauriger Winter musste nahen. Auch regte die aussergewöhnlicher, übernatürlicher Grösse und

Hoffnung doch noch manchmal ihre müden Flügel: Schwere gewesen. Und so, weit über das gewöhn-

>Im Frühling wieder nach Nauheim, dann könnte liehe Mass gross und schwer, ist auch das Herz

ich vielleicht noch einmal ein wenig arbeiten!« — seiner Kunst.

Für den 8. November wurde die Abreise fest- _ . an|

gesetzt. Es wurde gepackt und aufgeräumt. Am b0liZ' Januar ,au'-

letzten Abende, und vielleicht zum Ietztenmale,
hatte Leibi einen Bleistift an eigene Arbeiten ge-
setzt: er unterzeichnete Abzüge einer Radierung,

von welcher Seeger die Drucke mitgebracht. GEDANKEN

Ich werde Leibis Erscheinung und Ausdruck
nie vergessen, als er am nächsten Mittag schied. Die Bedingungen zum Kunstwerk ruhen einzig

Da ihm auch der kurze Weg zum Bahnhofe hinüber im Künstlergeiste, nicht in der Natur.
natürlich unmöglich gewesen wäre, hatte der Arzt &• Bayersdor/cr

seinen Wagen beigestellt. In ihm sah ich die beiden *
alten Geschwister herankommen. Leibis Kopf

schien kleiner geworden, die Wangen waren schmal Wenn der Ruhm, den hohe künstlerische oder

und fleischlos. Der breite Schlapphut war zu weit dichterische Begabung dem Manne verleiht, noch

und fiel tief auf Stirn und Nacken. Er grüsste kann erhöht werden, so geschieht es allein durch

langsam und lächelte müde, und in jeder Miene, einen edlen, liebenswürdigen Charakter.

in jedem Blick lag der schmerzliche, stumme Ab- joh. Jacob Mohr

schied. Ich sah hier in freiem Tageslichte, welch

erschreckend veränderter Ausdruck sich schon über

seine Züge gelegt hatte. Sein Anblick schnitt mir Gedanken, die uns die Hände binden, geben uns

tief ins Herz. Es lagerte darauf schon wie der ahnungs- dafür 0ft Flügel.

volle, unausdrückbare, voraufgehende Schatten sich »■ ,.. Scholz

vollendenden irdischen Geschickes. — s

^.Einsilbig, in seinen alten, grauen Lodenmantel
gehüllt, grosse, schwarze Filzschuhe an den dick- Der Pinsel ist manchem zur Rute geworden, auch

geschwollenen Füssen, sass er in der Sonne, bis solchen, die sie nicht verdienten.
der Zug einfuhr. Dieser vertraute Himmel wollte peter Sirius

ihn auch nochmal grüssen. Ueber Nacht hatte er *
sich reingeputzt und stand nun blau und klar über

dem Lande. Genie und Wahnsinn: das ist wie ein Adler, der

Als der Zug gekommen und der vorausbestellte m,er einem Abgrund steht; und so steht er am

Wagen gefunden war, wollten wir ihm beim Ein- schönsten; die Schwerkraft der Erde drückt ihn nicht

steigen behülflich sein. Da kam noch einmal der hinab; mit wiegender Wollust schwebt er in den

alte Trotz und die Hoffnung auf seine Kraft hervor. ziehenden Lüften; nun scheint er zu sinken, ein

Macht keine Geschichten! rief er abwehrend, leiser Schlag und er fliegt sonnenwärts.
fasste sich an der Thüre und brachte sich mühsam Max Bewer

allein hinauf. Man sah, es gelang ihm kaum. Dann Aus „Gedanken- von Max Bewer; 240 S. 2 M.

noch ein Händedruck, und er wendete sich mit' (Druckerei giöss, Dresden)

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