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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Voll, Dr. Karl: Darf man vom Niedergang Münchens als Kunststadt sprechen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0387

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-r4jß> DARF MAN VOM NIEDERGANG MÜNCHENS

den Tapeten, sondern in den prinzipiellen
Fragen sich Lenbachs Richtung angeschlossen
habe. Er sagt wörtlich: „Immer schwärzer
wurden die Bilder, um das mangelnde Natur-
studium zu verdecken, immer greller leuch-
teten auf nächtlich dunklen Gründen die
Farben, damit die Bilder recht dekorativ
wirkten und auffielen." Um zu sehen, wie
durchaus unzutreffend diese Schilderung ist,
gehe man nur in die zur Zeit geöffnete
Secessionsausstellung und man wird die citierte
Behauptung nur damit entschuldigen können,
dass ihr Verfasser diese Ausstellung eben
nicht kennt. Rosenhagen verwechselt übrigens
im ganzen Verlauf seines Artikels die zwei
Richtungen dekorativer Kunst, die zur Zeit
in München nebeneinander hergehen; die
eine ist die altmeisterliche, über die er sich
in vielen Punkten nicht grundlos beklagt,
die andere ist die kunstgewerbliche. Diese
aber hat nun einmal ihr Recht auf Existenz
so deutlich bewiesen, dass Nörgeleien wert-
los sind; vor allem aber gehört sie zur
modernen Kunst und es ist sehr schwer zu
verstehen, warum sie mit der Imitation alter
Meister in einen Topf geworfen wurde.

Rosenhagen sagt, dass die Mehrzahl der
Münchener Künstler rückschrittlich gesinnt
ist und also für die Entwicklung der
deutschen Kunst zunächst nicht mehr in
Betracht kommt. Gleichviel, ob dieser Vor-
wurf berechtigt ist oder nicht, so sei dem
Referenten doch die Frage gestattet, seit wann
in geistigen Dingen — und die Kunst ist doch
etwas essentiell Geistiges — die Mehrzahl
entscheidet. Hier müssen die Stimmen nicht
gezählt, sondern gewogen werden. An den
eben angeführten Satz schliesst sich das nicht
uninteressante Geständnis an, dass es in
München noch Künstler giebt, die im besten
Sinne zu den führenden Geistern in der
deutschen Kunst gehören. Wenn das der
Fall ist, warum wurde denn die Klage über
den Niedergang Münchens erhoben? Weil
sie unterdrückt werden, sagt Rosenhagen.
Ich gestehe, dass ich, sobald sich die Dis-
kussion auf dieses Gebiet begiebt, nicht mehr
mitsprechen kann. Die Künstler sind ein
höchst wunderliches Völkchen, bei dem sehr
schwer Kirschen essen ist. Wer mit ihnen
praktisch zu thun hat, wird immer recht
peinliche Erfahrungen machen, und da nun
die Künstler naturgemäss am meisten gegen-
seitig miteinander zu thun haben, so machen
sie sich auch gegenseitig am meisten Schwierig-
keiten. Auri sacra fames, quid non mortalia
cogis pectora.

Der Brotneid grassiert bei den Künstlern

und daneben der Ehrgeiz, früher und reicher
dekoriert zu sein als der ehemalige Atelier-
genosse. Wenn nun in einer Stadt so viele
Künstler leben wie in München, so ist es
klar, dass da Streit und Unterdrückung an
der Tagesordnung sind. Dazu kommt end-
lich, dass wohl in keiner Körperschaft mehr
doktrinäres Wesen herrscht als bei den
Künstlern. Bei ihnen wird Alles sofort
Gegenstand des Hasses und der Liebe und
mit meistens schlimmer Leidenschaft behan-
delt. Rosenhagen mag darum manchen Fall
von Unterdrückung guter künstlerischer Kraft
mit angesehen haben und ich selbst würde
ihm vielleicht manchmal als Zeuge stehen
können: aber er sage uns doch das Mittel,
die Künstler zu neutralen, ruhig denkenden
Menschen zu machen und doch Künstler
zu bleiben. Ihr ganzes Wesen ist auf äus-
serste Subjektivität gestellt: woher sollen sie
die Fähigkeit zu durchaus objektivem Handeln
bekommen! Die Klagen, die Rosenhagen in
dieser Beziehung erhebt, sind alt und werden
ewig jung bleiben. Sie gelten für München,
aber nicht mehr und nicht minder als für
jede Kunststadt.

Es ist nun aber nicht zu leugnen, dass der in
Rede stehende Artikel, obwohl er in fast allen
Einzelheiten anfechtbar, doch nicht gerade
aus der Luft gegriffen ist. Das Verhältnis
der Münchener Künstler zum auswärtigen
Publikum, zu dem ja Rosenhagen gehört, ist
leider Gottes kein glückliches mehr. Unsere
Ausstellungen werden mit allzugrosser Sorg-
losigkeit veranstaltet und seit Jahren kann
man beobachten, wie die Enttäuschung unserer
Sommergäste, die, nach München kommend,
sich einen erlesenen Kunstgenuss auf den
Ausstellungen erwarten, immer grösser wird.
Ein ewiges Einerlei wiederholt sich reizlos
genug und zwar nicht nur im Glaspalast,
sondern auch bei der Secession. Das ist
kein gesundes Verhältnis; man darf nicht
glauben, dass der alte Ruhm Münchens nicht
auch verblassen kann. München ist einem
schweren, auch nicht gerade neidlosen Wett-
kampf von Berlin, Wien und von Venedig
ausgesetzt. In ihm bleiben Nachlässigkeiten
nicht ungestraft. Münchener Wesen ist sorg-
los und neigt so sehr zur Selbstüberhebung,
dass die guten Eigenschaften mitunter ihre
Kraft verlieren. Von dieser Seite betrachtet,
mag es gut sein, dass von aussen her einmal
ein so starker Appell an die Münchener
Künstler aller Richtungen gedrungen ist. Sie
werden nur Vorteil davon haben, wenn sie
die üble Nachrede zu vermeiden suchen,
auch wenn sie sich in vielen der von Rosen-

II
 
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