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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Pascent, E. N.: Englische Malerei auf der Pariser Weltausstellung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0418

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-=-^> ENGLISCHE MALEREI

man also die Perlen aus dem grossen Erbsen-
haufen herausgeklaubt, so braucht man, um
sich ihrer ungestört zu erfreuen, nur die Zeit
von 8 —10 Uhr morgens zu seinen ferneren
Besuchen zu wählen. Dann ist man allein
in den weiten Sälen oder doch nur mit den
Wenigen zusammen, die gleichfalls hierher-
kommen, um zu sehen, nicht um gesehen zu
werden.

Das merkwürdigste ist: eine solche Academy-
Ausstellung könnte noch viel schrecklicher
aussehen. Wie schrecklich, davon mag man
sich in manchen „Briefmarken"-Sälen der
einen oder andern deutschen Ausstellungeinen
Begriff machen. Aber so schlimm sind sie
eben doch nicht. Und das kommt daher, weil
erstens das Gute mit so wahlloser Gleich-
mässigkeit ins Mittelmässige und Schlechte
gemengt und versprengt ist; und zweitens, weil
im grossen und ganzen doch so etwas wie ein
gemeinsamer Stil sich bemerken lässt. Ge-
meinsamer Stil ist freilich vielleicht zu viel
gesagt, wenigstens wenn man das Wort im
rein künstlerischen Sinne nimmt. Aber es
ist eben herauszufühlen, dass eine Gesellschaft

MARIANNE STOKES Ab'CASSIN UND

NICOLETE « c «

mit Traditionen des Umgangs und Normen
des allgemeinen Geschmacks hinter all diesen,
unter sich an Art und Grad der Begabung so
verschiedenen Künstlern steht, die Salon-
fähigen stützt und fördert, allerdings aber auch
Rebellen und Neuerer mit Erbitterung ablehnt
und ausschliesst — wie es vor einem halben
Jahrhundert die Präraphaeliten schmerzlich
genug erfahren mussten.

Die Engländer sind nicht nur konservativ,
sie sind auch selbstbewusst. Als es sich im
Jahre 1900 darum handelte, die englische
Kunst der Gegenwart in Paris vor dem Konti-
nent und den umliegenden Erdteilen zu präsen-
tieren, hielten sie es offenbar für überflüssig,
eine Elite-Ausstellung zu schaffen. Sie gaben
einfach eine verkleinerte Academy: weniger
Säle und sehr viel weniger Bilder und etwas
mehr Zwischenraum zwischen den einzelnen
Bildern; aber, alles in allem, dasselbe wahl-
lose Durcheinander. Die englische Abteilung
im Grand Palais war weniger prunkvoll aus-
gestattet, in Inhalt aber ebenso physiognomie-
los wie die deutsche. Nur dass die Arrangeure
der letzteren wohl gar noch geglaubt und er-
strebt hatten, etwas besonders Gutes zu geben,
während man annehmen darf, dass die Eng-
länder diese Absicht gar nicht hatten. Zu dem
insularen Stolz im allgemeinen, der sie zu
den Ausländern sprechen lässt: „Wollt ihr
unser Bestes sehen, so bemüht euch über
den Kanal zu uns herüber", kam die Ver-
stimmung gegen Frankreich im besondern.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass die Eng-
länder sich auf der Pariser Weltausstellung,
was man so sagt, nicht angestrengt hatten.
Nicht einmal im Kunstgewerbe erfüllten sie
die hochgespannten Erwartungen, mit denen
so mancher Deutsche, die Brust von „Studio"-
Erinnerungen geschwellt, sich den Ständen
Englands in der Halle an der Esplanade näherte.
Nur das englische Haus an der Rue des
Nations bot einen fast vollkommenen Eindruck
vornehmer, stilvoller Harmonie, der zwar
grossenteils dem retrospektiven Element auf
die Rechnung zu setzen ist. Und etwas fand
man hier, das die ganze Kollektion englischer
Bilder in der Kunstabteilung völlig verdunkelte:
die Grals-Gobelins, die William Morris nach
den Kartons von Burne Jones gewebt hat.
In der „Dekorativen Kunst", der Schwester-
zeitschrift der „K. f. A." sind sie schon im
vorigen Jahre ausführlicher gewürdigt worden;
hier genüge es, noch einmal auszusprechen,
dass sie den Sinn jedes für grosse Kunst
Empfänglichen mit jenem tiefen, nie mehr
ganz verschwindenden Glücksgefühl erfüllten,
das aus den wahrhaft vollkommenen Meister-

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