HANN UND GULPENHEH
ODER
ZU VIEL GESAGT IST NICHTS GESAGT
EINE MORGENLANDISCHE ERZAHLUNG
VON
C. M.WIELAND
MITio ORIGINALLITHOGRAPHIEN
VON
HANS MEID
Es war einmal zu Samarkand
Ein junger Schneider, Hann genannt:
Der hart' ein feines junges Weib
Sich zugelegt für seinen Leib;
Die liebt' er wie sein Augenpaar;
Denkt, weil sie schwarz von Augen war
Und schlanker als ein Lilienstengel,
Und hatte langes seidnes Haar,
Und glatte rosenrote Wängel,
Und überdies kaum zwanzig Jahr,
Sein Weibchen sei ein ganzer Engel.
„Das ist nun
was man heissen kann
Gedacht — als wie ein junger Schneider,"
Ruft mancher hier; denkt nicht daran,
Dass es Minuten giebt, wo, leider!
Ein Salomon mit aller seiner List
Nicht weiser als ein junger Schneider ist.
In einem solchen Augenblicke
Spricht Hann zu seinem Schatz: Du trautes
liebes Weib!
Was würd' aus mir, wenn ich erleben
müsste,
Dass dieser schöne warme Leib,
Von Todesfrost in eine Büste
Verwandelt, kalt und atemlos
In meinen Armen lag'! O beim Gedanken
bloss
Rinnt mirs wie Eis durch Adern und Ge-
beine!
Das schwör' ich dir — erleb' ich armer
Mann
Den Jammer einst — auf deinem Grabe-
steine
Lieg' ich neun Tage lang und weine,
Und weine — bis ich nicht mehr kann!
„Und ich, mein trauter, süsser Mann,"
Versetzt das junge Weib, „sollt' ich das Un-
glück haben
Und dich verlieren, bester Hann,
Lebendig liess' ich mich mit meinem Hann
begraben!"
Das ist ein Weib! — denkt Hann ent-
zückt,
Indem er an sein Herz sie drückt: