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Gestorbenen in den Grabanlagen als eine grosse Einheit
vom Allgemeinsten bis ins einzelne Kleinste darzustellen.
So ist hier eine unschätzbare Fülle thatsächlichen Mate-
rials geboten, nicht nur in den genauen Bauanalysen
und vorzüglichen Aufnahmen für den Architekturbe-
flissenen, sondern ebenso in dem beständigen Hinweis
auf die bedingenden Kräfte und grundlegenden grossen
Ideen für alle, die ein lebendiges Begreifen der fremden
Kultur zu gewinnen suchen.
Soeben ist nun der zweite Band dieses Unterneh-
mens erschienen. Er ist den Gedächtnistempeln Chinas
gewidmet, die nach altkonfuzianischer Tradition den
grossen Männern der Vergangenheit bald im ganzen
Reiche, bald an den historischen Stätten ihrer Wirksam-
keit errichtet wurden. Wir lernen so nicht nur ver-
schiedene Werke und Bautypen kennen, sondern er-
halten zugleich manchen Einblick in die Geschichte des
Landes, die von den ersten sagenhaften Kaisern, von
Kung-fu-tse selber über die Feldherren, Kanzler und
Dichter der verschiedenen Dynastien bis zu den Ahnen
der lebenden Geschlechter in denTempeln ihrer grossen
Repräsentanten als in lebendigen noch heute uns auf-
nehmenden Denkmalen sich verewigt hat. Mehreren
besonders bedeutenden Anlagen sind grössere Ab-
schnitte und eine eingehende Beschreibung gewidmet,
vielen konnte, da die Grundtypen sich wiederholen, mit
einem Hinweis auf das ihnen Besondere genug gethan
werden. So ist das überreiche und zum grossen Teil
neue Material, das hier ausgebreitet ist, doch nicht
durch seine Masse erdrückend geworden, und neben
den genauen Aufnahmen für den Architekten oder Ar-
chäologen ist gerade in diesem Band eine Fülle der
herrlichsten Werke nach Photographien abgebildet, die
jedes Auge entzücken müssen.
Es steht eine ernste, klarschauende und überzeugte
Persönlichkeit hinter diesen gründlichen Arbeiten. So
darf man auch auf die folgenden Bände bedeutende
Hoffnungen setzen. Allerdings ist die Forschung Börsch-
manns vor allem der heute noch lebenden und gültigen
Kunst gewidmet. Eine historische Ergründung der Bau-
stile Chinas und ebenso der Geschichte seiner Religionen
bleibt als eine notwendige Ergänzung noch immer ein
unerfüllter, aber dringender Wunsch. Denn wohl ist
diese Kultur noch heute nicht abgestorben, aber ihre
höchsten, immer nachwirkenden Kräfte liegen tief im
Vergangenen.
Auch in Sammlerkreisen ist das Verständnis für die
alte grosse Kunst Ostasiens erwacht. Dafür zeugt eine
Publikation, die aus dem Besitz des Tübinger Universitäts-
professors Fuchs eine Auswahl wertvoller Meisterwerke
der chinesischen und japanischen Malerei, dazu eine
sehr schöne Skulptur in trefflichen Lichtdrucken und
sehr geschmackvoller Ausstattung veröffentlicht. Die
Zuschreibung der einzelnen Bilder ist nicht überall frag-
los, aber die Qualität steht ausserordentlich hoch. Ein
allgemein gehaltener Text von Otto Kümmel giebt eine
gute ästhetische Einführung in diese ganze Bilderwelt.
Der schwedische Sammler und Orientforscher R. F.
Martin hat bei Bruckmann ein sehr interessantes Werk,
das er besitzt, in einer allerdings kostspieligen aber sehr
schönen Mappe und in der vortrefflichsten Faksimile-
Reproduktion herausgegeben. Es ist ein Album von
yo Blatt Tuschezeichnungen, angeblich nach Chinas
grösstem Meister Wu Tao-tse und von dem fast ebenso
berühmten Li Lung-mien ausgeführt. Es ist möglich,
dass es sich in der That um ein Werk der Sung-Zeit han-
delt und wahrscheinlich, dass es Kopien nach Wand-
bildern, vielleicht der T'ang-, eher der Sung-Dynastie
sind. Jedenfalls sind diese Zeichnungen schon gegen-
ständlich vom grössten Interesse. Die erste Reihe giebt
sehr zart gehaltene Darstellungen grossenteils noch un-
gedeuteter taoistischer Gottheiten in himmlischen Re-
gionen, dann folgt ein im Stil etwas abweichender Zyklus
der buddhistischen Höllenrichter, Blätter von äusserst
feiner und diskreter Charakteristik, und endlich schliesst
sich eine Folge von Kämpfen zwischen Dämonen und
wilden Tieren an, die von der äussersten Wildheit und
Gewalt der Konzeption sind. Und so öffnet uns dieses
Werk wieder eine Seite chinesischer Kunst, die wir bis-
her noch kaum ahnen konnten. Wieviele Überraschungen
werden uns hier noch bevorstehen?
Eine Übersicht über die Literatur zur ostasiatischen
Kunst wäre unvollständig, enthielte sie nicht wenig-
stens einen Hinweis auf die „Ostasiatische Zeitschrift",
die jetzt im zweiten Jahrgang erscheint. Auch ihr Ge-
biet ist die Kunst und Kultur des Ostens, von Indien
bis Japan, und sie enthält nicht nur selbständige Abhand-
lungen, sondern auch Nachrichten aus Museen, Samm-
lungen, Auktionen und Kunsthandel, vor allem auch die
denkbar vollständigste Übersicht über alle irgendwie
einschlägige Literatur in allen Ländern. Die Beiträge
sind in deutscher, französischer oder englischer Sprache
abgefasst, und es scheint, als hätte sich bei der äusserst
gediegenen Redaktionsleitung mit dieser Zeitschrift das
Deutschtum an die Spitze einer Bewegung gesetzt, die
den europäischen Kulturvölkern gemeinsam ist. Es ist
die Rezeption des Tiefsten und Schönsten aus der öst-
lichen Welt.
ZWÖLFTER JAHRGANG. ACHTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM l8. APRIL. AUSGABE AM I. MA? NEUNZEHNHUNDERTVIERZFHN
REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFF
VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG
Gestorbenen in den Grabanlagen als eine grosse Einheit
vom Allgemeinsten bis ins einzelne Kleinste darzustellen.
So ist hier eine unschätzbare Fülle thatsächlichen Mate-
rials geboten, nicht nur in den genauen Bauanalysen
und vorzüglichen Aufnahmen für den Architekturbe-
flissenen, sondern ebenso in dem beständigen Hinweis
auf die bedingenden Kräfte und grundlegenden grossen
Ideen für alle, die ein lebendiges Begreifen der fremden
Kultur zu gewinnen suchen.
Soeben ist nun der zweite Band dieses Unterneh-
mens erschienen. Er ist den Gedächtnistempeln Chinas
gewidmet, die nach altkonfuzianischer Tradition den
grossen Männern der Vergangenheit bald im ganzen
Reiche, bald an den historischen Stätten ihrer Wirksam-
keit errichtet wurden. Wir lernen so nicht nur ver-
schiedene Werke und Bautypen kennen, sondern er-
halten zugleich manchen Einblick in die Geschichte des
Landes, die von den ersten sagenhaften Kaisern, von
Kung-fu-tse selber über die Feldherren, Kanzler und
Dichter der verschiedenen Dynastien bis zu den Ahnen
der lebenden Geschlechter in denTempeln ihrer grossen
Repräsentanten als in lebendigen noch heute uns auf-
nehmenden Denkmalen sich verewigt hat. Mehreren
besonders bedeutenden Anlagen sind grössere Ab-
schnitte und eine eingehende Beschreibung gewidmet,
vielen konnte, da die Grundtypen sich wiederholen, mit
einem Hinweis auf das ihnen Besondere genug gethan
werden. So ist das überreiche und zum grossen Teil
neue Material, das hier ausgebreitet ist, doch nicht
durch seine Masse erdrückend geworden, und neben
den genauen Aufnahmen für den Architekten oder Ar-
chäologen ist gerade in diesem Band eine Fülle der
herrlichsten Werke nach Photographien abgebildet, die
jedes Auge entzücken müssen.
Es steht eine ernste, klarschauende und überzeugte
Persönlichkeit hinter diesen gründlichen Arbeiten. So
darf man auch auf die folgenden Bände bedeutende
Hoffnungen setzen. Allerdings ist die Forschung Börsch-
manns vor allem der heute noch lebenden und gültigen
Kunst gewidmet. Eine historische Ergründung der Bau-
stile Chinas und ebenso der Geschichte seiner Religionen
bleibt als eine notwendige Ergänzung noch immer ein
unerfüllter, aber dringender Wunsch. Denn wohl ist
diese Kultur noch heute nicht abgestorben, aber ihre
höchsten, immer nachwirkenden Kräfte liegen tief im
Vergangenen.
Auch in Sammlerkreisen ist das Verständnis für die
alte grosse Kunst Ostasiens erwacht. Dafür zeugt eine
Publikation, die aus dem Besitz des Tübinger Universitäts-
professors Fuchs eine Auswahl wertvoller Meisterwerke
der chinesischen und japanischen Malerei, dazu eine
sehr schöne Skulptur in trefflichen Lichtdrucken und
sehr geschmackvoller Ausstattung veröffentlicht. Die
Zuschreibung der einzelnen Bilder ist nicht überall frag-
los, aber die Qualität steht ausserordentlich hoch. Ein
allgemein gehaltener Text von Otto Kümmel giebt eine
gute ästhetische Einführung in diese ganze Bilderwelt.
Der schwedische Sammler und Orientforscher R. F.
Martin hat bei Bruckmann ein sehr interessantes Werk,
das er besitzt, in einer allerdings kostspieligen aber sehr
schönen Mappe und in der vortrefflichsten Faksimile-
Reproduktion herausgegeben. Es ist ein Album von
yo Blatt Tuschezeichnungen, angeblich nach Chinas
grösstem Meister Wu Tao-tse und von dem fast ebenso
berühmten Li Lung-mien ausgeführt. Es ist möglich,
dass es sich in der That um ein Werk der Sung-Zeit han-
delt und wahrscheinlich, dass es Kopien nach Wand-
bildern, vielleicht der T'ang-, eher der Sung-Dynastie
sind. Jedenfalls sind diese Zeichnungen schon gegen-
ständlich vom grössten Interesse. Die erste Reihe giebt
sehr zart gehaltene Darstellungen grossenteils noch un-
gedeuteter taoistischer Gottheiten in himmlischen Re-
gionen, dann folgt ein im Stil etwas abweichender Zyklus
der buddhistischen Höllenrichter, Blätter von äusserst
feiner und diskreter Charakteristik, und endlich schliesst
sich eine Folge von Kämpfen zwischen Dämonen und
wilden Tieren an, die von der äussersten Wildheit und
Gewalt der Konzeption sind. Und so öffnet uns dieses
Werk wieder eine Seite chinesischer Kunst, die wir bis-
her noch kaum ahnen konnten. Wieviele Überraschungen
werden uns hier noch bevorstehen?
Eine Übersicht über die Literatur zur ostasiatischen
Kunst wäre unvollständig, enthielte sie nicht wenig-
stens einen Hinweis auf die „Ostasiatische Zeitschrift",
die jetzt im zweiten Jahrgang erscheint. Auch ihr Ge-
biet ist die Kunst und Kultur des Ostens, von Indien
bis Japan, und sie enthält nicht nur selbständige Abhand-
lungen, sondern auch Nachrichten aus Museen, Samm-
lungen, Auktionen und Kunsthandel, vor allem auch die
denkbar vollständigste Übersicht über alle irgendwie
einschlägige Literatur in allen Ländern. Die Beiträge
sind in deutscher, französischer oder englischer Sprache
abgefasst, und es scheint, als hätte sich bei der äusserst
gediegenen Redaktionsleitung mit dieser Zeitschrift das
Deutschtum an die Spitze einer Bewegung gesetzt, die
den europäischen Kulturvölkern gemeinsam ist. Es ist
die Rezeption des Tiefsten und Schönsten aus der öst-
lichen Welt.
ZWÖLFTER JAHRGANG. ACHTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM l8. APRIL. AUSGABE AM I. MA? NEUNZEHNHUNDERTVIERZFHN
REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFF
VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG