Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Bondy, Walter: Ein Besuch bei Charles Despiau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0048

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


CHARLES DESPIAU, MÄNNERBÜSTE

wie wohlbeleibter Pariser Kunsthändler die Zukunft
Despiaus bereits mit Beschlag belegt. Despiau sitzt
heute so fest im Sattel, daß ihm eine spekulative
Auswertung seines Talentes kaum mehr schaden
kann und selbst die rote Rosette, die er seit eini-
gen Monaten im Knopfloch trägt — eine recht
bescheidene Prämie für jahrelange Entbehrungen
■—, wird ihm nicht mehr weh tun können. Um
die Erscheinung Despiaus einigermaßen zu um-
schreiben, fange ich damit an, das wenige Bio-
graphische zu geben, was ich von ihm weiß.
Despiau ist vor 52 Jahren zwischen Bordeaux und
Bayonne in dem Departement der „Landes", nicht
allzu weit von der spanischen Grenze, geboren.
Seine Jugend hat er auf dem Lande, zum großen
Teil in der freien Natur, verbracht und hier ist
ihm, wie er mir sagte, der Wunsch gekommen,
ein Künstler zu werden. Dann kam er nach Paris,
ging in die Ecole des Beaux Arts, die er nach
einem mehrjährigen glanzlosen Aufenthalt, unbe-
merkt von Professoren und Kollegen, verließ. Dann
fing die schwere Arbeit an und auch die Misere.

Bis Fünfunddreißig etwa kolorierte er Stiche und
Postkarten und lebte davon. Zwar stellte er regel-
mäßig im Salon aus, wurde sogar bemerkt, sogar
nachgeahmt, aber weder angekauft noch mit ir-
gendwelchen Aufträgen bedacht. Vor achtzehn Jahren
entdeckte Rodin eine Arbeit von ihm im Salon.
Er bat Despiau zu sich und machte ihm große Kom-
plimente. Von da ab begann eine bessere Zeit, denn
Rodin übergab Despiau die Übertragung vieler sei-
ner Plastiken in Stein oder Marmor und Despiau,
der sich übrigens immer die persönliche volle Frei-
heit, auch bei dieser Arbeit ausbedang, erledigte die
Sache zur vollsten Zufriedenheit des Meisters. Diese
scheinbar nur reproduktive Tätigkeit lehrte Despiau,
im Material selbst zu arbeiten und auch zu denken
und hat, wie er selber sagt, viel dazu beigetragen,
ihn zu dem zu machen, was er heute ist.

Despiau ist kein Naiver, der meint, man müsse
alles aus sich heraus schaffen, oder daß die Kunst
etwas sei, was man erlernen kann, wie ein ge-
wöhnliches Handwerk. Er ist weit entfernt von
der Akademie, aber ebensoweit vom Dilettantismus.
Für ihn ist die Kunst höchster Ausdruck des
menschlichen Empfindens, aber kein flackernder,
sondern ein streng organisierter, der sich in den
Bahnen bewegen muß, die die Väter erkannt und
vorgeschrieben haben.

Er arbeitet nur im Angesicht des Objekts.
„J'ai besoin de la nature", sagt er mir, „tout est
si beau"! Er zeigt mir das Porträt einer Frau mit
kurzem Haar. „Wie schön ist diese Mode für die
Plastik," sage ich zu ihm, „wie viele schöne Dinge,
die durch die Haare verdeckt waren, kommen
jetzt zum Vorschein." „Nicht wahr," sagt er, „es
ist eine herrliche Tracht, aber wie schön waren
auch die langen Haare, tout est si beau."

Diese Äußerung ist ein Symbol der Stellung,
die Despiau zur Wirklichkeit hat.

Die Modelle Despiaus haben es nicht leicht.
„Wenn man ein Bildnis von mir haben will, muß
man Opfer bringen; ich plage mich ja auch."
Nach zwanzig Sitzungen sieht ein Kopf aus wie
angefangen und mit hundert ist er oft noch nicht
fertig. Aber wenn er vollendet ist, hat Despiau
alles gegeben, was er kann und dann spricht er
von dem Werk, wie man von einem fremden
Meisterwerk redet. „Sehen Sie diese Stelle an,
dieses Grübchen, diese Linie ... ist das nicht ge-
lungen? Sehen Sie den Ausdruck dieser Augen

24
 
Annotationen