Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Tietze, Hans: Gotik in Österreich
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0128

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MARX REICHLICH, HEIMSUCHUNG

WIEN, SAMMLUNG EMIL SCIIENKER-KARPEL

GOTIK IN OSTERREICH

VON

HANS TIETZE

Ja; ja

T~\ie Ausstellung, die der Verein der Museumsfreunde unter
diesem Titel im Österreichischen Museum für Kunst
und Industrie veranstaltete, strebt eine Revision der Ansichten
über die Malerei und Bildhauerei der österreichischen Gotik
an; sie wendet sich gleichzeitig an zwei Instanzen: einerseits
an die Kunsthistoriker, denen sie ein sonst in viele in- und
ausländische Museen und Privatsammlungen, in finstere
Kirchen und entlegene Klöster verstreutes Material handlich
geordnet vorlegt, anderseits an das größere Publikum, das
darauf gestoßen werden soll, daß sich unter diesen Werken
viele befinden, deren Sehnsucht noch nicht verraucht, deren
Kraft noch nicht versiegt ist, die auch unserer Zeit unmittel-
bar Gültiges zu sagen haben. Der eine Zweck wird un-
zweifelhaft erreicht werden; wenn längst getrennt gewesene
Altarflügel aus weit entfernten Sammlungen wieder für kurze
Zeit zusammenkommen, wenn die Vertreter der verschiedenen
Generationen übersichtlich aneinandergereiht werden, wenn
Innerösterreich und Wien, Salzburg und Tirol durch führende
Kunstwerke in ihrer Eigenart charakterisiert werden können,
dann muß die bisher im Argen liegende Ordnung dieses

Materials merkliche Fortschritte machen; Zusammenhänge
werden gefunden, Beeinflussungen festgestellt, Meisteipersön-
lichkeiten konstruiert werden — wir werden allesamt nach
dieser Ausstellung und durch sie mehr über die österreichische
Gotik wissen als heute.

Fraglich ist jedoch, ob der andere Zweck der Ausstellung,
das Heranbringen der Vergangenheit an die Gegenwart,
ebenso vollständig erreicht werden wird. Das österreichische
und namentlich das Wiener Publikum hat sich bisher aller
gotischen Kunst gegenüber merkwürdig ablehnend verhalten.
In dem großen und bewundernswerten Sammlungsorganismus,
den die Habsburger geschaffen haben, hat gerade diese Kunst
keinen Platz gefunden; der internationalen Einstellung der
Dynastie — die ihr Augenmerk auf Italien, Spanien, die
Niederlande so gut wie auf die deutschen Lande richtete —
lag die Beschränkung auf die engere Heimat, ihrer vornehm-
lich dem Dekorativen und Repräsentativen, dem technisch
Mustergültigen und klassisch Vollendeten gewidmeten Kunst-
liebe das Verständnis für alles Ringende und tief Innerliche
fern. Aber vielleicht sind die Habsburger auch hierin wie

104
 
Annotationen