Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927
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DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:Bondy, Walter: Ein Besuch bei Charles Despiau
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CHARLES DESPIAU, FRAUENBÜSTE
EIN BESUCH BEI CHARLES DESPIAU
VON
WALTER BONDY
Es ist merkwürdig, daß der Bildhauer Despiau
bis zu seinem fünfzigsten Jahre warten mußte,
um entdeckt zu werden! Oder ist es vielleicht
doch nicht merkwürdig?
Unserer im Entdecken so übereifrigen Zeit,
die gewöhnt ist, die spärlichsten künstlerischen
Anlagen mit Freudengeschrei zu begrüßen, ent-
gehen oft gerade die wirklichen Talente. Dadurch
haben allerdings die wirklichen Talente Muße
sich natürlich zu entwickeln, ohne durch den oft
recht zweifelhaften Dünger einer sensationslustigen
Kunstpresse zu einem unnatürlichen Wachstum
hinaufgezüchtet zu werden. Unter den bedeutend-
sten Erscheinungen des letzten Jahrhunderts ist
wohl kaum eine, der vor dem vierzigsten Jahre
die öffentliche Anerkennung zuteil wurde. Ich
brauche nicht darüber zu reden, daß ach so vielen,
und es waren wahrhaftig nicht die Schlechtesten,
die Freude des Berühmtseins niemals zuteil gewor-
den ist.
Die Ehre, den Bildhauer Despiau entdeckt zu
haben, kann ich leider nicht für mich beanspruchen.
Als ich vor zwei Jahren etwa seinen Namen zum
erstenmal hörte, hatte ein ebenso weitschauender,
*3
EIN BESUCH BEI CHARLES DESPIAU
VON
WALTER BONDY
Es ist merkwürdig, daß der Bildhauer Despiau
bis zu seinem fünfzigsten Jahre warten mußte,
um entdeckt zu werden! Oder ist es vielleicht
doch nicht merkwürdig?
Unserer im Entdecken so übereifrigen Zeit,
die gewöhnt ist, die spärlichsten künstlerischen
Anlagen mit Freudengeschrei zu begrüßen, ent-
gehen oft gerade die wirklichen Talente. Dadurch
haben allerdings die wirklichen Talente Muße
sich natürlich zu entwickeln, ohne durch den oft
recht zweifelhaften Dünger einer sensationslustigen
Kunstpresse zu einem unnatürlichen Wachstum
hinaufgezüchtet zu werden. Unter den bedeutend-
sten Erscheinungen des letzten Jahrhunderts ist
wohl kaum eine, der vor dem vierzigsten Jahre
die öffentliche Anerkennung zuteil wurde. Ich
brauche nicht darüber zu reden, daß ach so vielen,
und es waren wahrhaftig nicht die Schlechtesten,
die Freude des Berühmtseins niemals zuteil gewor-
den ist.
Die Ehre, den Bildhauer Despiau entdeckt zu
haben, kann ich leider nicht für mich beanspruchen.
Als ich vor zwei Jahren etwa seinen Namen zum
erstenmal hörte, hatte ein ebenso weitschauender,
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