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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 1
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Hinz, Marlice: Revolution der Mode
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0059

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KONSTANTINOPEL. DIE ACHMED-MOSCHEE

REVOLUTION DER MODE

VO N

MARLICE HINZ

Auch in der Mode gibt es Freiheitsbestrebungen, Aufstände
und Revolutionen. Das abgeschnittene Haar, der kurze
Rock, das freie Bein, die Reduktion der weiblichen Beklei-
dung auf ein Minimum und der Versuch, selbst die natürliche
Erscheinung der Frau umzuformen, was sind sie anderes, als
Begleiterscheinungen großer Umwälzungen auf dem Gebiete
der Mode. Sie sind eine Folge des Krieges und müssen
überwunden werden, ebenso wie viele Exzentrizitäten des
Tanzes und des Sports.

Alle diese Übertreibungen und Ungebundenheiten sind
auf dem Wege, eine gesunde Reaktion hervorzurufen, die,
in Debatten und heißen Auseinandersetzungen geübt, täg-
lich an Boden gewinnt. Hüten wir uns jedoch, in solch
wichtigen „Weltfragen" unüberlegt und leichtfertig oder nur
aus Freude am Widerspruch Stellung zu nehmen. Die Revo-
lutionäre dürfen nicht zu streng bestraft, nicht wieder ganz
der errungenen Freiheit beraubt werden.

Man kann nicht sagen: das lange Haar ist für alle Zeiten
erledigt, denn das hieße die Behauptung aufstellen, das ab-
geschnittene Haar wäre jetzt das einzig Mögliche. Hier kann
nur die Zeit entscheiden, für uns Lebende behalten noch
beide Lösungen ihre Geltung, nebeneinander, je nach der
individuellen Einstellung der Trägerin. Für den modischen
Ausdruck aber bedeuten zweierlei Grundformen der Frisur
eine Bereicherung der Ausdrucksmöglichkeit und die Frauen
müssen entzückt sein, statt einer allgemeinen Lösung mit
einer Variante rechnen zu können, die ihnen Gelegenheit

gibt, sich nach Wahl am besten zur Geltung zu bringen.
Rein praktische Gesichtspunkte und Erwägungen aber sind
auf dem Gebiete der Mode nie brauchbare Ausgangspunkte
gewesen. Die starke Einbürgerung, die das abgeschnittene
Haar sich errungen hat, ist mehr auf die Freude an einer
modischen Neuerung zurückzuführen, als auf Forderungen
der Vernunft oder der Logik.

Der kurze Rock hat, ebenso wie das kurze Haar, unbe-
strittene Vorzüge. Er ist, seiner Entstehung nach betrachtet,
eine Begleiterscheinung der gymnastischen und sportlichen
Betätigung der modernen Frau, die im Namen der Volks-
gesundheit nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Aber
muß er deswegen auch beim Abendkleid, der großen Toi-
lette, Verwendung finden? Gewiß dient er den Ansprüchen
der zur Zeit herrschenden, der Negromanie entsprechenden,
primitiven und extatischen Tänzen. Aber sind wir nicht schon
auf dem Wege, diese Tänze und ihre Musik entbehren zu
können? Haben wir nicht schon damit angefangen, wieder
Geselligkeit größeren Stils zu treiben, die Toiletten fordert
und statt primitiver Ausdrucksformen all das Drum und Dran,
das uns die Kultur von Jahrhunderten europäischer Gesell-
schaftsform hinterlassen hat? Dem kurzen Rock sein Recht,
am Tage, beim Sport und auf der Straße, dem Abendkleid
aber das uralte Vorrecht eine Toilette darstellen zu dürfen,
mit einer anderen Absicht als der unbehinderter Beweglich-
keit, die das Parkett nicht verlangt.

Das freie Bein ist nicht die Folge des kurzen Rockes, son-

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