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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 11
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Beenken, Hermann: Gustaf Britsch und seine Theorie der Bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0456

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KARL BLECHEN, FLUSSLANDSCHAFT

SAMMLUNG GROSELX

GUSTAF BRITSCH UND SEINE THEORIE DER BILDENDEN KUNST

VON

HERMANN BEENKEN

"l7or dem Kriege war es, und ich studierte mein erstes
' Semester in München. Ich hatte den Wunsch, auch
meine ein wenig kümmerlichen Fähigkeiten im Zeichnen
weiterzubilden, und da empfahl man mir Gustaf Britsch.
Ich suchte ihn in seiner Wohnung auf in der Theresien-
straße. Ein Atelier war da nicht. Wer war dieser Herr
Gustaf Britsch denn? Kein Maler, wie sie in München
wimmelten, kein professioneller Zeichenlehrer, auch kein
Mann mit einem akademischen Titel. Einer der sich
nicht einreihen ließ! Und seltsamer noch: als ich kam, und
auch später, wurde mir nicht Papier, Stift, Feder, Kohle
oder Pinsel in die Hand gedrückt, wie ich es erwartet hatte.
Auch Britsch schien dergleichen nie anzurühren. Und ich,
der ich hatte zeichnen lernen wollen, mußte theoretische
Privatkollegs anhören, dieser Mann redete halbe Stunden lang
und länger noch auf mich ein. Was er sagte, habe ich nur
zu einem sehr kleinen Teile begriffen und wohl auch rasch
wieder vergessen. Dabei beschuldigte dieser Herr Britsch
einen bekannten Hochschuldozenten meines Faches, er habe
ihn ausgehorcht, geistigen Diebstahl an ihm begangen, eine
Beschwerde gegen diesen Dozenten liege schon bei den
akademischen Behörden. Ein Querulant also, und ich glaubte,
etwas wie einen dunklen Schwindel zu ahnen. Vielleicht
wäre ich nach der ersten Stunde schon fortgeblieben, hätte

nicht hinter der Empfehlung — Curt Gerstenberg hatte sie
mir gegeben — der verehrte Name Heinrich Wölfflins ge-
standen. Ich blieb also, obschon mich die endlosen theo-
retischen Auseinandersetzungen wenig ergötzten. Bald aber
fesselte mich das zum mindesten ungewöhnliche praktische
Vorgehen dieses Lehrers: er schickte mich in den Zoo,
und ich glaubte, da nun endlich würde ich zeichnen sollen,
aber wieder irrte ich: ich sollte mir irgendwelche Tiere nur
genau ansehen, etwa einen Panther fünf Minuten, ein Reh
fünf Minuten, einen Strauß, einen Marabu und so fort. Erst
zu Hause durfte ich mich daran machen, in einfachen Um-
rissen, die mit Farbe ausgefüllt wurden, diese Tiere wieder-
zugeben. Aus dem Gedächtnisse, wie ich sie mir eingeprägt
hatte. Die Ergebnisse schämte ich mich geradezu vorzu-
zeigen. Zu meiner Verwunderung jedoch wurden meine
traurigen Produkte von Britsch weder kritisiert noch ver-
bessert, sie wurden vielmehr ernstlich gewürdigt, zum Aus-
gangspunkt weiterer sehr gelehrter Erörterungen genommen,
— die ich wiederum nicht verstand — und dann schließ-
lich ad acta gelegt. Und immer wurde ich in den Zoo
geschickt, dann auch in die Vasensammlung, um mir in
ähnlicher Weise antike Gefäßformen einzuprägen. Was
mich überraschte, war nun, wie ich von Besuch zu Be-
such mehr und mehr Gesehenes unterscheiden lernte,

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