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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 2
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Scheffler, Karl: Kunst und Geschichte: Vorwort zu einer Geschichte der Kunst im neunzehnten Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0067

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KUNST UND GESCHICHTE

VORWORT ZU EINER GESCHICHTE DER KUNST IM NEUNZEHNTEN JAHRHUNDERT

VON

KARL SCHEFFLER

^T7"er zu einer Geschichte der Kunst greift,
* * sollte wissen, was sie bieten und nicht bieten
kann, er sollte sich die Bedeutung der Wörter
Geschichte und Kunst klarmachen.

Geschichte ist nicht die Gesamtheit der großen
und kleinen Tatsachen, die das Leben eines Volkes
oder einer Rasse ausmachen. Wäre Geschichte nur
dieses, so müßte jede Darstellung ins Chaotische ge-
raten, so wäre die Formlosigkeit nicht zu überwin-
den. Dem Menschen ist ein nicht zu unterdrücken-
derSinn für Ordnung eingeboren. Diesen Ordnungs-
sinn überträgt er auf die ganze Natur und auf sein
eigenes Leben. Er überträgt ihn auch auf die Ge-
schichte, der sein Leben ja den Körper gibt, und
die ebenfalls Natur ist, Natur nämlich, die durch
den menschlichen Willen dahingegangen und von
ihm verwandelt und gestaltet worden ist. Uber-
all in der Geschichte sieht der Mensch das Wirken

von Kräften, die organisches Wachstum befördern
oder zerstören: hinter diesen Kräften aber ahnt
er Ursache und Wirkung, ahnt er das Gesetz.

Das Gesetz zu erkennen, gelingt freilich nur
sehr bedingt. Es sind der Kräfte zu viele, die am
Geschichtlichen bildend beteiligt sind; Ursachen
und Wirkungen verstricken sich unübersichtlich,
alles verliert sich irgendwie im Dämmer der Ver-
gangenheit oder Zukunft, die Fülle des Kleinen
überwuchert die großen Formen, und die Idee
entgleitet immer wieder ins Unfaßbare. An eine
vollständige Aufhellung ist nicht zu denken, selbst
wenn einmal das aus Quellenstudien gewonnene
Wissen mit genialer Intuition glücklich zusammen-
trifft.

Dennoch wird jeder Geschichtsschreiber, der
diesen Namen zu verdienen strebt, an der Hand
der Tatsachen einen Sinn in die Geschichte zu

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